Suzanas und Dženitas Kampf

Sie kämpfen auch in der neuen Heimat um Gerechtigkeit für ihre ermordeten Angehörigen in Bosnien: Suzana Radanović und Dženita Memić. In Wien haben sie mit einer Kundgebung der Bewegungen Pravda za Davida (Gerechtigkeit für David) und Pravda za Dženana (Gerechtigkeit für Dženan) auf Korruption und die Unfähigkeit der Behörden in ihrem Geburtsland aufmerksam gemacht.

Es sind um die 100 Menschen, die vor der Wiener Staatsoper der Kälte trotzen.

Sie kommen aus allen Teilen Bosniens, vornehmlich aus Banja Luka und Sarajevo. Einige sind auch hier geboren.

Vereinzelt sind auch Unterstützerinnen und Unterstützer aus Serbien da.

Es sind Menschen jeglichen Alters, die heute die geballte Faust emporstrecken, die zum Zeichen des Kampfs für die Mordopfer David Dragičević aus Banja Luka und Dženan Memić aus Sarajevo geworden ist.

 

Die Morde beider junger Männer sind nicht aufgeklärt.

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„Heute sind es 300 Tage, dass David ermordet wurde. Noch immer gibt es keinen Verdächtigen“, sagt Dženita Memić ins Megafon. „Und es sind drei Jahre, dass mein Cousin Dženan ermordet wurde. Nach zweieinhalb Jahren haben wir wenigstens ein Gerichtsurteil aus Sarajevo, dass es kein Autounfall war, wie die Polizei zuerst behauptet hat, sondern Mord.“

Verurteilt wurde freilich auch in diesem Mordfall bislang niemand.

„Pravda“ rufen die Teilnehmenden. Laut und trotzig. „Gerechtigkeit“.

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Auch Suzana Radanović schildert ihren Kampf um Gerechtigkeit für ihren Sohn David Dragičević.

Erzählt, wie die Polizei den Tod des Studenten mit den Rastas zunächst als selbstverschuldet ausgegeben hat, ihn als Drogensüchtigen dargestellt.

Und wie erst durch öffentlichen Druck eine neue Untersuchung gestartet wurde, die zum eindeutigen Schluss kam, dass David ermordet wurde.

Sie wirkt müde, erschöpft vom Kampf.

„Ich kriege jeden Tag Anrufe, e-mails von Menschen, denen es ähnlich geht“, sagt sie nach ihrer Rede gegenüber Balkan Stories. „Ausruhen kann ich mich seit 300 Tagen nicht.“

Warum sie trotzdem weitermacht?

„Das ist mein Sohn. Was soll ich denn sonst tun?“

Viele andere Angehörigen haben den Kampf um Gerechtigkeit für ihre ermordeten Töchter, Söhne, Geschwister in Bosnien längst aufgegeben.

Erhoffen sich nichts mehr von dem Staat, dessen Politik und Behörden als korrupt gelten, dessen politische Organe sich in einer nationalistischen Selbstlähmung befinden, den die Menschen jedes Jahr zu Zehntausenden verlassen.

Dutzende ungeklärte Mordfälle gibt es in Bosnien.

„Bin dankbar, dass ich die Kraft habe“

„Die Polizei und die Behörden wollen nichts tun“, schildert ein Demo-Teilnehmer, der in Wien ein Unternehmen hat. „Da kriegt der Staatsanwalt von jemandem 70.000 Euro für eine Wohnung und ermittelt nicht gegen einen Verdächtigen.“

Wie weit solche Schilderungen zutreffen, ist eine andere Frage. Dass sie so breit kursieren, zeigt freilich, wie unfähig häufig bosnische Behörden sind – ob gewollt oder nicht – und wie sehr die offene Korruption der politischen Klasse das Vertrauen in den Staat insgesamt erschüttert hat.

„Ich habe die Kraft zu kämpfen“, sagt Suzana. „Ich weiß nicht, wieso, aber ich bin dafür dankbar.“

Sie verstehe auch Menschen, die es längst aufgegeben haben. „Da gibt es Familien, wo zuerst das Kind ermordet wurde und dann der Vater an Krebs erkrankt ist. Da kann man nicht kämpfen.“

Den Mächtigen auf die Zehen getreten

Suzana versucht, den Kampf für David irgendwie abzustimmen auf die Bedürfnisse ihrer Familie in Wiener Neustadt nahe Wien und auf ihren Arbeitsplatz.

Ihre Waffe ist vor allem das Internet.

Unten, in Banja Luka, ist nach wie vor Suzanas Ex-Mann Davor, Davids Vater, die Galionsfigur des Protests.

Seitdem gegen ihn vor drei Wochen ein von außen eher willkürlich erscheinender Haftbefehl erlassen wurde,  ist er abgetaucht. Er fürchtet um sein Leben, ließ er die Mitglieder der Bewegung Pravda za Davida in einem Video wissen.

Auch das ist symptomatisch für Bosnien und vor allem für den serbisch dominierten Teilstaat Republika Srpska (RS).

Die Protestbewegung mit Davor an der Spitze ist den Mächtigen der RS auf die Zehen getreten.

Die Gefolgsleute der Mehrheitspartei SNSD haben alle Fäden in der Hand, kontrollieren Polizei und – indirekt – die meisten Medien.

Pravda za Davida macht die SNSD rund um ihren Gründer, den Nationalisten Milorad Dodik, verantwortlich dafür, dass der Mord an David vertuscht wurde. Und vermutet, der oder die Mörder kämen aus den Reihen der Polizei. Die steht unter dem Kommando des Innenministers der RS, der Mitglied der SNSD ist.

Seit Wochen versucht die Polizei in Banja Luka, Pravda za Davida zu zerschlagen. Balkan Stories hat ausführlich berichtet.

In Wien beobachtet ein junger Polizist die Demo. Er wirkt freundlich und leicht gelangweilt.

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In den Griff bekommen hat die Polizei der RS Pravda za Davida nicht. Nach wie vor veranstaltet die Bewegung täglich Protestkundgebungen in Banja Luka.

Suzana spielt ihre Rolle herunter

Seit Davor abgetaucht ist, sind die kleiner geworden.

„Davor ist die Führungsfigur“, sagt Suzana. „Jetzt, wo er nicht aktiv ist, sind die Menschen verunsichert und wissen nicht, was sie tun sollen. Aber sobald er wieder da ist, werden wieder Tausende auf die Straße gehen. Wir in Bosnien brauchen eben eine Führungsfigur.“

Dass sie selbst nach dem Verschwinden Davors einige Tage lang diese Führungsfigur war, dass sie Proteste in Banja Luka angeführt hat, bevor sie zurück nach Österreich musste, das spielt sie herunter.

Vielleicht liegt ihre ehrliche aber fehlgeleitete Bescheidenheit daran, dass sie anders als ihr Ex-Mann Davor keine mitreißende Rednerin ist.

Was sie zu sagen hat, erzählt sie sachlich.

Für große Emotionen, spürt man, fehlt ihr im Moment die Kraft.

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Dennoch ist auch diese leise Frau zu einer Galionsfigur geworden im Kampf gegen das dysfunktionale bosnische Staatswesen.

Für sie steht der Mord an ihrem Sohn im Vordergrund.

Symbole für einen versagenden Staat

Aber längst geht es nicht mehr nur um die Morde an David und Dženan.

Dass die Mörder der jungen Männer nach wie vor unbekannt sind, ist für Zehntausende zum Symbol geworden für den versagenden Staat.

„Ich bin aus Banja Luka und kenne Davids Eltern“, erzählt Ana, die ebenfalls auf der Demo vor der Staatsoper ist.

„Ich habe auch einen Cousin, der ist etwas jünger als David. Wenn ich denke, dass David ermordet wurde und niemand verhaftet wurde, stell ich mir manchmal vor, was meinem Cousin passieren könnte.“

Ana, die in Österreich lebt, war von der ersten Stunde an Teil der Bewegung Pravda za Davida, hilft in ihrer Freizeit, zu organisieren und zu informieren.

 

Nicht nur viele „unten“ haben die Schnauze voll. Auch ihre Familien in der Dijaspora setzen sich dafür ein, dass irgendetwas in Bosnien funktioniert.

Die Pravda-Bewegungen zerstören Bosniens nationalistischen Konsens

Längst hat dieser Kampf alle ethnischen Grenzen überschritten. Nicht nur hier stehen die bosnische Serbin Suzana und die bosnische Muslimin Dženita Seite an Seite.

Auch in Bosnien marschieren sie gemeinsam, fragt bei den Bewegungen niemand mehr, wer wer ist. Unterstützen die Eltern beider Mordopfer einander.

Die Korruption und das Versagen des Staats sind nicht auf einen Teilstaat beschränkt.

Nie seit der Unabhängigkeit war eine Protestbewegung in Bosnien so groß, und vor allem hat nie davor eine in beiden Landesteilen, Republika Srpska und Federacija, stattgefunden.

Das in einem Land, wo sich die offiziellen politischen Vertretungen von Bosnjaken, Serben und Kroaten in der Regel nach Kräften bemühen, einander gegenseitig zu lähmen.

Wo vor allem aber nicht nur die nationalistischen Machthaber in der RS vorgeben, sie und nur sie könnten die serbische Kultur in Bosnien, oder im Fall der kroatischen HDZ die kroatische oder im Fall der muslimischen SDA die bosnjakische, verteidigen.

Die Pravda-Bewegungen haben das Potential, den nationalistischen Konsens auszuhebeln, nach dem Bosnien seit Kriegsende gestaltet wird.

„Aber dazu brauchen wir auch die Hilfe der EU und der internationalen Gemeinschaft“, sagt Suzana.

„Vielleicht sollten einmal Vertreter der EU an einen größeren bosnischen Grenzübergang gehen und sehen, wie an einem Tag 100 oder 400 Menschen das Land für immer verlassen.“

Suzana Radanović

Darauf verlassen will man sich freilich nicht.

Wie es auch zwischen Bosnien und Serbien passiert, wird überlegt, sich in Wien mit den örtlichen Organisatorinnen und Organisatoren der serbischen Protestbewegung zu vernetzen.

Unter Umständen könnte es bald eine gemeinsame Protestkundgebung geben.

Außerdem wird angedacht, einen Verein zu gründen, der Korruptionsopfer in Bosnien unterstützt.

„Es geht nicht nur um David und Dženan“, sagt Suzana. „Es geht um Gerechtigkeit für die Kinder von uns allen.“

3 Gedanken zu “Suzanas und Dženitas Kampf

  1. Es ist alles die Warheit was diese Frauen erzählen,und noch ärger.Viele leute sind eungeschüchtert und von der diktatur bedroht. Wir werden kämpfen bis die Gerechtigkeit nicht da ist !!!!

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