Sarajevo ehrt seinen Onkel Jovo

Im Historischen Museum in Sarajevo ist die wohl am sehnlichsten erwartete Ausstellung Bosniens des ganzen Jahres eröffnet worden: Sie beschäftigt sich mit Leben und Werk von Jovan Divjak. Der in Beograd geborene General verteidigte Sarajevo im Krieg und wurde danach zu einem der bekanntesten humanitären Aktivisten Bosniens.

Čika Jovo nannten ihn die Bosnien, die ihn mochten. Onkel Jovo.

Gemocht hat ihn jeder normale Mensch in diesem Land.

Gehasst haben ihnen alle Nationalisten.

Onkel Jovo verteidigt Sarajevo

Als der Krieg in Bosnien 1992 ausbrach, war der 1937 in Beograd geborene General der JNA längst in Sarajevo stationiert.

Er wechselte sofort zur bosnischen Armee. Jugoslawien war zu diesem Zeitpunkt tot. Seine neue Heimat war Bosnien. Auf die wollte er nicht schießen.

In der 1425 Tage langen Belagerung Sarajevos organisierte er mehrfach die erfolgreiche Abwehr von Angriffen der Armee der Republika Srpska.

Das haben ihm serbische Nationalisten bis heute nicht verziehen.

Bosnjakische Nationalisten haben ihm bis heute nicht verziehen, dass sie auf ihn angewiesen waren, einen von nur zwei Nicht-Bosnjaken im Generalstab der neuen bosnischen Armee,

Kroatische Nationalisten haben ihm bis heute nicht verziehen, dass er gebürtiger Serbe war.

Onkel Jovos Einsatz für die Zukunft

Nach dem Krieg baute er die Organisation Obrazovanje gradi Bosnu i Hercegovinu (OGBH) auf – Bildung baut Bosnien und Hercegovina.

Nur wenn die jungen Menschen Bildung erhielten, hätten sie eine Perspektive und ließen sich Hass und Spaltung im Land überwinden, so seine Überzeugung.

Mit OGBH organisierte er finanzielle Unterstützung für tausende Schüler aus dem ganzen Land – etwa das Geld für den Schulbus, eine warme Mahlzeit oder einen Platz im Internat. Auch Bildungsreisen wurden so für die Stipendiaten möglich. Etwa nach Italien, wie dieses Exponat dokumentiert.

Foto: Filipo Cadili

Ein ausführliches Portrait des Vereins und von Jovan Divjak könnt ihr HIER lesen.

„Das Erbe von Divjak ist das Erbe aller Bürger von Sarajevo und Bosnien und Herzegowina. Drei Jahrzehnte kontinuierlicher Arbeit im Bereich der Philanthropie zeigen, dass Veränderungen auf lokaler Ebene, die beim Einzelnen beginnen, einer der möglichen Wege sind, die Welt zum Besseren zu verändern. Wir glauben, dass diese Ausstellung den Menschen erneut bewusst machen wird, wie wichtig es ist, positive soziale Geschichten zu erzählen und in museologischer Sprache über die Menschen zu sprechen, die unsere Gesellschaft nachhaltig verändert haben“, sagt Edin Bećarević bei der Eröffnung der Ausstellung im Historischen Museum Bosniens und der Hercegovina in Sarajevo. Er ist Nachfolger Divjaks als Geschäftsführer von OGBH.

Onkel Jovos Schreibtisch

Um diesen unterschiedlichen Aspekten gereicht zu werden, hat Kuratorin Elma Hodžić die Ausstellung zweigeteilt: Der erste Teil beschäftigt sich mit der Biografie Divjaks, vor allem mit seiner Zeit in der JNA und der bosnischen Armee.

Der zweite und umfangreichere Teil behandelt die Ziele und Erfolge von OGBH – und enthält zahlreiche persönliche Erinnerungsstücke, die der Verein dem Museum zur Verfügung gestellt hat.

Hier ist etwa sein Schreibtisch nachgebaut.

Foto: Historisches Museum Bosniens und der Hercegovina

Mit der Ausstellung zu Jovan Divjak kommt das Historische Museum nicht nur seinem Anspruch nach, den Menschen historische Ereignisse und Persönlichkeiten wissenschaftlich korrekt und verständlich näherzubringen.

Direktorin Elma Hašimbegović hat mit dieser Schau auch den Nerv der Sarajlije, ja der Bosnier insgesamt getroffen.

Kaum eine Ausstellungseröffnung in Bosnien ist so sehnlich erwartet worden wie diese. Wer etwa Izložba + Jovan Divjak googelt, kommt auf 14.500 Ergebnisse – und das von Wien aus. Hier werden nicht alle lokalen Medienberichte angezeigt.

Foto: Historisches Museum Bosniens und der Hercegovina

Ein Teil der Einträge beschäftigt sich mit früheren Ausstellungen von OGBH.

Die Ausstellung „Vaš Jovan, Bosanac i Hercegovac sa dna kace“ freilich ist die erste, die sich mit dem gesamten Leben Divjaks beschäftigt, den man wohl als einen der beliebtesten Bosnier in der modernen Geschichte des Landes bezeichnen kann.

Entsprechend groß war der Publikumsandrang, wie Fotos auf der Facebook-Seite des Museums zeigen.

Einer der ersten Interessierten war auch Filippo Cadili aus Italien. Er ist ein alter Freund und besucht Sarajevo, so oft er kann.

„Jovan Divjak war ein großartiger Mensch, seine humanitäre Arbeit war wirklich beeindruckend“, fasst er seine Eindrücke zusammen. „Das bringt die Ausstellung sehr gut rüber.“

Foto: Filippo Cadili

Auch politisch dürfte die Ausstellung einen Nerv getroffen haben.

Ein letztes Foul der Nationalisten an Onkel Jovo

Kurz nach der Eröffnung organisierte die Regierung des serbisch dominierten bosnischen Teilstaats Republika Srpska eine Gedenkfeier am Ort der Schüsse auf abziehende JNA-Soldaten im Jahr 1992, als Divjak einer der kommandierenden bosnischen Offiziere war.

Offenbar wollte man nicht einmal den Jahrestag am 3. Mai abwarten, um Jovan Divjak in die Nähe eines Kriegsverbrechens zu rücken.

Mehrere Soldaten Soldaten der jugoslawischen Armee wurden an diesem Tag erschossen. Die genaue Opferzahl ist umstritten.

Dass gerade Divjak mit den bekannten und dokumentierten Worten „Nicht schießen“ alles tat, was er konnte, um den sicheren Abzug der JNA-Soldaten zu gewährleisten, wird bequem vergessen.

Das bestätigen auch internationale und nationale Ermittlungen.

Das hinderte mehrere serbische Regierungen und die Regierungen der Republika Srpska nicht daran, Divjak bis an sein Lebensende 2021 juristisch und polizeilich verfolgen zu lassen.

Gegen ihn gab es einen aufrechten Haftbefehl in Serbien. Wenn serbische Behörden von geplanten Auslandsreisen erfuhren, ersuchten sie die Behörden des mutmaßlichen Ziellandes, den Haftbefehl zu vollstrecken und Divjak auszuliefern.

2011 wurde Divjak in Österreich nach einem serbischen Haftbefehl festgenommen und kam erst nach meheren Tagen gegen eine Kaution von 500.000 Dollar frei.

Die Stadt, in der er geboren und aufgewachsen war, sah er nach dem Krieg nie wieder.

Man verzieh ihm eben nie, dass er als gebürtiger Serbe für die Unabhängigkeit Bosniens kämpfte.

Das wird viele Menschen aus der Republika Srpska nicht davon abhalten, die Ausstellung über den Mann zu besuchen, den sie wie alle anderen Čika Jovo nannten. Onkel Jovo.

Titelfoto: Historisches Museum Bosniens und der Hercegovina.

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