„Im Stillen wird er weiterpoltern“

Andrej Mohar ist tot. Der kärntnerisch-slowenische Aktivist und Journalist verstarb nach schwerer Krankheit. Er war einer der wichtigsten Vermittler slowenischer Kultur in Österreich. Sein lebenslanger Antifaschismus war ihm in die Wiege gelegt.

Die Nazis, die österreichischen Deutschtümler, und ihre Wiedergänger. Diese Geister haben Andrej Mohar verfolgt, da war er noch nicht einmal auf der Welt.

Der gleichnamige Vater. Zwangsarbeiter auf einem Kärntner Hof im Zweiten Weltkrieg. Der Verwalter, ein strammer Nazi, hatte es auf den Kärntner Slowenen abgesehen. Nach den Misshandlungen der Zwangsarbeit war Andrej senior, genannt Oci, ein Leben lang kränklich und behindert,

Die Mutter Milka. Schwer traumatisiert von der Verfolgung der Kärntner und der Steirer Slowenen nach 1938. Die Nazis steckten tausende slowenische Frauen, Kinder und alte Leute in Konzentrationslager. Nach 1945 kämpfte Milka ein Leben lang als Volksschullehrerin gegen die andauernde Diskriminierung ihrer Ethnie im offiziell antifaschistischen Österreich.

Der Großvater Lorenz Kušej. Erschlagen von einem Wurfkommando weiter aktiver Nazis und der Buben der großdeutschen Großbauern im Jahr 1949. Er war auch der Großvater des jetzigen Burgtheaterdirektors Martin Kušej.

Wie soll man da kein Antifaschist sein?

Die Tragödie der Slowenen und ihr Kampf um Anerkennung in einem Leben

In Andrejs Leben zeigt sich die Tragödie der slowenischen Volksgruppe in Österreich, und in gerade in seinem Leben zeigt sich, dass ihr Kampf um die eigene Kultur und Sprache ein langer und erfolgreicher war.

Wer hätte sich nach den Verbrechen gegen seine Familie einzig und allein wegen ihrer Sprache gedacht, dass einer wie Andrej vor 30 Jahren beim Landesstudio des ORF als Journalist tätig sein könnte? Noch dazu in seiner Muttersprache?

Noch Kärntner Slowenen, die in den 80-ern ihre ersten Kinder bekamen, brachten ihren Kindern kein Slowenisch bei. Die großdeutschen Großbauern hatten wieder Oberwasser und hielten sich mit der FPÖ ihre eigene Partei und ihre eigenen Landeshauptmann. Wer wusste schon, was denen wieder einfallen würde.

Fairerweise: Es war nicht nur die Partei der großdeutschen Großbauern, und es waren nicht nur ihre Buben, die den Kärntner Slowenen das Leben schwer machten.

Jahrzehntelang war Kärnten nach dem Krieg von der SPÖ dominiert, ihrem Selbstverständnis nach eine antifaschistische Partei.

In dieser Zeit wurde Andrejs Mutter Milka Volksschullehrerin. Eine Kärntner Antifaschistin kannte sie gut, und war bei ihr in der ersten Klasse Volksschule. „Sie hat mir erzählt, dass lange viele Slowenen ihre Kinder nicht in die zweisprachigen Schulen geben wollten. Die wurden dann auf Deutsch unterrichtet, obwohl sie zuhause nur Slowenisch gelernt hatten. Milka hat sie oft und eigentlich illegal ihre Prüfungen auf Slowenisch ablegen lassen.“

Was wunder, dass die Zahl der Slowenen im Gebiet des heutigen Kärnten von 100.000 Ende des 19. Jahrhunderts auf heute 10.000 sank?

Noch in den 90-ern warnten organisierte Kärntner Slowenen ein bosnisches Flüchtlingskind vor der Nachbargemeinde: „Da sind die Deutschen. Pass auf.“ Die Angst saß lange tief, und wer kann es vielen Kärntner Slowenen verdenken, dass sie mitunter gegenüber deutschsprachigen Kärntnern nicht nur reinste Sympathien empfanden?

Slowenisch sein und sprechen, das kann man heute zumindest in den meisten Gegenden Kärntens. Das ist in erheblichem Maß Andrej zu verdanken, und Mitstreitern wie dem Verleger Lojze Wieser. Dazu später.

Gegen das große Schweigen: Der Kampf für die Erinnerung an den Freiheitskampf

Ein weiteres Lebensthema Andrejs ist eines, über das man in Kärnten und Teilen der Steiermark bis Deutschlandsberg hinauf besser nicht spricht. Das sind die Kärntner Partisanen – der größte bewaffnete antifaschistische Widerstand auf österreichischem Boden.

Eine Truppe zusammengewürfelt aus meist slowenischen Wehrmachtsdeserteuren, die nicht für ein Land kämpfen wollten, das ihre Frauen, Kinder, Eltern ins KZ steckte, deutschen und österreichischen Deserteuren, und slowenischen Antifaschisten, die irgendwie Wehrpflicht und Verfolgung entkommen waren.

900 Männer und Frauen gehörten zwischen 1941 und 1045 den Kärntner Partisanen an, und sie hatten sich dem Volksbefreiungskampf der jugoslawischen Partisanen Titos angeschlossen. 800 Gefechte lieferten sie sich mit Polizisten, Soldaten und der Gestapo.

Wie es diesen Kärntner Partisaninnen und Partisanen erging und wie die Slowenen unter den Nazis zu leiden hatten, dokumentieren unter anderem die Bücher Gämsen auf der Lawine nach den Erinnerungen von Karel Prušnik-Gašper, Jelka nach den Erinnerungen von Helena Kuchar und Graparji. So haben wir gelebt nach den Erinnerungen von Anton Haderlap. Sie sind im Wieser Verlag erschienen.

Wie wenige half Andrej, ihren Freiheitskampf dem Vergessen und vor allem Verschweigen zu entreißen. Unter anderem tat er das mit den Büchern Otoki Spomina/Gedenkinseln, erschienen im Drava-Verlag, und Ponosni na prednike. Pregon in odpor v Bilčovsu/Stolz auf die Vorfahren. Vertreibung und Widerstand in Ludmannsdorf/Bilčovs, erschienen im Globus-Verlag.

Und jahrzehntelang engagierte er sich im Zveze koroških partizanov/Verein der Kärntner Partisanen und beim Društvo/Verein Peršman.

Der Peršman-Hof in Bad Eisenkappel/Železna Kapla war ein Partisanenstützpunkt. Am 25. April 1945 überfiel ihn eine Einheit des 13. SS-Polizeiregiments und massakrierte elf Zivilisten. Zwei Tage später erklärte sich Österreich für unabhängig. Die Mörder vom Peršman-Hof standen nie vor einem Gericht.

Nach dem Krieg interessierten sich allenfalls ein paar kommunistische Widerstandskämpfer und ein paar Slowenen, was am Peršman-Hof passiert war, und vielleicht noch eine Handvoll Sozialdemokraten.

Die großdeutschen Großbauern, die 1920 für das autoritäre Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen der Großgrundbesitzer gestimmt hatten und nichts fürs demokratische Österreich, im Gegensatz zu den slowenischen Kleinbauern und Arbeitern, und ihre Buben wollten alles vergessen. Wie auch die Tatsache, dass ihr geliebtes Großdeutschland hunderte slowenische Familien ins KZ stecken ließ. Lieber redeten sie über die „bösen Partisanen“ und inszenierten sich am Ulrichsberg als die Opfer und als Missverstandene.

Dass heute ein Museum am Peršman-Hof steht, und die Wirtshausreden der Enkel der großdeutschen Großbauern nicht mehr nur zustimmendes Kopfnicken auslösen, wäre ohne die Arbeit von Andrej und vielen slowenischen Antifaschisten unvorstellbar.

Auch südlich der Grenze engagierte sich Andrej, unterstützte vor allem ab den 1990-ern die im nationalistischen Furor zunehmend isolierten antifaschistischen Verbände im ehemaligen Jugoslawien.

Und war so einer der Initiatoren der Proteste gegen das alljährliche Ustaša-Gedenken in Bleiburg im Jahr 2018. Es war nicht zuletzt diese Demonstration, die der neofaschistischen Veranstaltung den Garaus machte. (Mehr könnt ihr in dieser Reportage nachlesen.)

Andrej Mohar als Organisator der ersten antifaschistischen Demonstration in Bleiburg 2018

Eine erstaunliche Karriere

Das macht es umso erstaunlicher, dass Andrej in den 1990-ern beim ORF-Landesstudio Kärnten zu arbeiten begann. Noch dazu war Andrej zuvor bei der kommunistischen Zeitung Volkswille gewesen. Das verrät uns zwei Dinge: Andrej konnte sehr viel. Und der damalige Landesintendant hatte sehr viel Mut.

Es war auch eine Zeitenwende. Die Slowenen bekamen bekamen eine eigene Redaktion im Landesstudio, im Radio wie im Fernsehen. Andrej interviewte landauf landab Menschen, stellte sie in ihren Berufen, Hobbies, Eigenarten und mit ihren Talenten einer breiten Öffentlichkeit vor, ließ slowenische Vertriebe und andere Zeitzeugen von ihren Erlebnissen erzählen.

2012 produzierte er den Dokumentarfilm „Vertrieben als Slowenen“/“Pregnani zaradi slovenstva“. Es war die erste Doku über die Verfolgung der österreichischen Slowenen im Nationalsozialismus, die eine österreichweite Öffentlichkeit erreichte.

Andrej förderte nicht zuletzt die Entwicklung der slowenischen Sprache in Österreich, indem er den slowenischsprachigen Internetauftritt des ORF aufbaute.

Dass er in slowenischen Vertretungsorganisationen aktiv war, verstand sich da von selbst – unter anderem im Zveza slovenskih organizacij/Zentralverband slowenischer Organisationen in Kärnten.

Am Wochenende starb Andrej nach schwerer Krankheit im Alter von 67 Jahren.

„Im Stillen wird er weiterpoltern“

Wie wichtig Andrejs Lebenswerk ist, kann man unter anderem an der Würdigung von Verleger und Mitstreiter Lojze Wieser sehen, die Balkan Stories hier ungekürzt wiedergibt: „Andrej „Krpan“ Mohar, der seinen „Partisanennamen“ nach der legendären Gestalt des Salzschmugglers von Fran Levstik, Martin Krpan, mit Stolz trug, hat unter anderem. dazu beigetragen, dass der aus der Geschichte würdigen, lange Zeit zur Minderheit degradierten ‚ersten Sprache‘ in diesem Land, wieder Würde und Achtung widerfuhr – auch in schriftlicher Form, z.B. im öffentlich-rechtlichem ORF. Im Stillen wird er weiterpoltern! Dafür sei ihm gedankt! Lepo pot ti želim in pozdravi vse tam. Krepko naj zadoni uporniška pesem!“

Wie sehr sich heute unter anderem Dank Andrejs jahrzehntelangem Kampf die Wahrnehmung der österreichischen Slowenen verbessert hat, zeigt die Stellungnahme von Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ): „Andrej Mohar hat mit seiner journalistischen Arbeit aber auch durch sein Engagement außerhalb seines Berufs, stets den Verständigungsprozess zwischen deutsch- und slowenischsprechenden Kärntner Landsleuten gefördert. Durch sein Wirken hat er zur Entspannung zwischen den Volksgruppen beigetragen und so den Weg zur Aussöhnung mit geebnet. Er war nicht nur als Journalist wertvoll, sondern auch als Mensch, den ich persönlich kannte und schätzen lernte“.

Peter Kaiser ist wohl der erste Kärntner Landeshauptmann, der einen slowenischen Aktivisten und Antifaschistischen würdigt.

Beileidsbekundungen an Freunde und Familie kommen auch vom Verband der bosnischen Antifaschisten.

Einen ausführlichen Nachruf auf Andrej Mohar könnt ihr beim ORF auf Deutsch und auf Slowenisch lesen.

Mehr über die Kärntner Slowenen könnt ihr in der Reihe Slowenische Bibliothek im Wieser Verlag nachlesen.

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