Eine Deutsch-Iranerin will ihre Töchter aus dem Iran nach Deutschland bringen. Sarajevo ist für sie Zwischenstation und erste und letzte Hoffnung. Laut österreichischer Regierung dürfte das gar nicht sein. Sie hat angeblich die Balkanroute geschlossen. Eine persönliche Reportage.
„Dass es so eine Stadt in den Bergen gibt!“
Melek schaut begeistert aus dem Busfenster. „Wie ein Traum ist das.“
Ava nickt zustimmend von der anderen Seite des Ganges aus. Sie wirkt nervös.
Der Blick auf Sarajevo scheint sie kaum abzulenken.
„Wann sind wir denn da“, fragt mich Ava.
„20 Minuten oder so“, sage ich. „Hängt vom Verkehr ab.“
Der kann mörderisch sein am Nachmittag auf dem Weg von Sarajevo nach Istočno Sarajevo.
Unser Bus kommt aus Serbien, seine Endstation ist der Busbahnhof im Süden der bosnischen Hauptstadt, gelegen im serbisch dominierten Teilstaat Republika Srpska.
Das macht alles ein wenig komplizierter und länger.
Ich bin es gewöhnt.
Melek, einer Deutsch-Iranerin, ist es fast egal. Sie will ihren lange vermissten Bruder in Sarajevo treffen.
Ava macht es nervös. Auch sie ist eine Iranerin, die in Deutschland lebt.
Ein unwahrscheinlicher Zufall
Zwei Deutsch-Iranerinnen im gleichen Bus von Beograd nach Sarajevo. Es gibt sehr unwahrscheinliche Zufälle. Das ist einer.
Zumal Ava erst in Bosnien zugestiegen ist, in einem Kaff ein paar Stationen nach Zvornik.
Sie hätte gestern schon in Sarajevo sein wollen. Und stieg aus unerfindlichen Gründen zu früh aus.
Wie sie es geschafft hat, ein Quartier in dem Kaff zu bekommen, ist rätselhaft. Ebenso, wie sie im richtigen Bus gelandet ist.
Ava spricht kaum Englisch. Die Sprache ohne Namen erst recht nicht.
Das trifft auch auf Melek zu. Aber die weiß wenigstens, wo sie hin will. Wir kennen uns, seitdem unser Gepäck quasi gemeinsam durchsucht wurde.
Ava, die vielleicht ganz anders heißt, ist nur orientierungslos und wirkt angespannt.
„Ich krieg gleich eine Adresse von einem Hotel“, sagt sie mir. „Ich brauch dazu nur W-LAN.“
Ich beschließe, sie sicher dorthin zu lotsen.
Das Cafe am Busbahnhof von Istočno Sarajevo, den die Einheimischen Lukavica nennen, hat glücklicherweise W-LAN.
Vor dem Busbahnhof grüßt uns ein Schild mit „Nein zur NATO“.
Ava sitzt nervös im Schanigarten und bittet mich um eine Zigarette. „Ich rauch sonst nicht, aber jetzt brauch ich eine.“
Melek, auch sie im mobilen Netz, flucht. „Mein Bruder ist nicht in der Stadt. Der hat das Datum verwechselt. Ich weiß nicht, wo ich hin soll.“
„Bist du österreichische Polizei oder was?“
Adi, mein Gastgeber, holt mich ab. Er nimmt auch die zwei Frauen mit. Ein Zimmer hat er frei, stellt sich heraus. Das bekommt Melek.
Für Ava treiben wir unterwegs etwas in einer Pension am anderen Ufer der Miljacka auf.
Sie ist immer noch nervös.
„Ich muss gleich wieder W-LAN kriegen, die können jederzeit anrufen.“
„Haben die deine deutsche Nummer nicht“, frage ich.
„Nein, wir machen das über Skype.“
„Was machst du eigentlich hier“, frage ich sie.
„Ich kann dir das nicht sagen“, meint sie. „Ich weiß nicht, kann ich dir vertrauen? Woher soll ich wissen, ob du österreichische Polizei bist, oder was“.
„Warum soll ich Polizist sein?“
Langsam rückt Ava mit ihrer Geschichte raus. „Ich warte hier auf meine Töchter aus dem Iran.“
Melek schaut sie groß an. Adi versteht glücklicherweise kein Wort.
Ava atmet tief durch. „Ich versuche, sie nach Deutschland zu bringen. Sie sind 16 und 17.“
Sie scheint erleichtert, dass sie das ausgesprochen hat.
Zwei Mädchen wollen aus dem Iran flüchten. Da muss man nicht mehr fragen, warum.
Mir ist sofort klar, das ist eine Fluchtgeschichte. Und, dass Ava Hilfe brauchen wird.
Glücklicherweise kenne ich in Bosnien einige Leute. Dolmetscher, Rechtshilfe und ähnliches wird sich aufstellen lassen, zur Not auch ein Quartier, wo die Töchter das Verfahren abwarten können.
Was auch immer an legaler Hilfe geleistet werden kann, den Zugang werden wir Ava verschaffen können.
Zwei minderjährige Mädchen, die aus dem Iran flüchten wollen. Das muss niemand mehr begründen.
„Machen wir so“, sage ich Ava, „ich telefoniere und hol dich am Abend im Hotel ab. Dann schauen wir, was du alles brauchen könntest.“
Brauchen kann sie viel. Nicht nur der Töchter wegen. Ich muss Ava erst erklären, dass sie hier mit serbischen Dinar nicht zahlen kann und wo sie Geld wechseln kann.
Auch wenn ich streng an legale Hilfe denke, in Bosnien ist das ein heikles Thema.
Eine Fluchtroute, die es nicht gibt.
Bis Anfang Juni sind etwas mehr als 6.000 Flüchtlinge in Bosnien registriert worden, meldet das Bundesinnenministerium.
Etwa 600 haben Asylanträge in Bosnien gestellt. Der Rest will weiter, die angeblich gesperrte Balkanroute hinauf.
Die bosnischen Behörden kümmern sich nur widerwillig um sie.
In einem Land, dessen Bewohner vor 25 Jahren zu Hunderttausenden flohen, hat es Monate gedauert, den meisten Flüchtlingen eine feste Bleibe zur Verfügung zu stellen.
Hunderte mussten davor nahe des Stadtzentrums von Sarajevo campieren.
Versorgt wurden sie von Freiwilligen und NGOs.
Eine dieser Organisationen ist Pomozi. „Hilf mir“. Für 300 Flüchtlinge hat Pomozi Unterkünfte besorgt. Für viele andere ist sie Anlaufstation
Auf der Homepage hat Pomozi als ersten und größten Punkt eine Hilfs- und Spendenaktion für Geflüchtete.
Ich besuche sie im Hauptquartier im Stadtteil Čengić Vila.
An diesem Samstagvormittag drängeln sich Privatautos in dem großen Innenhof der Organisation.
„Man muss helfen“
Sarajili laden Kisten und Säcke aus, unter ein großes Zeltdach.
Es sind Kleiderspenden. Sie gehen an Flüchtlinge, die in Bosnien gestrandet sind und an bedürftige Bosnierinnen und Bosnier.
Letztere können sich die gereinigte Kleidung in einem Saal im Gebäude von Pomozi abholen.
Im Vorraum liegen diverse andere Materialien und 125 Kilogramm Mehl in 25-Kilo-Säcken.
Die Kinderecke geht über vor Kleidung und Kinderbüchern.
Alle zwei bis drei Minuten fährt ein Auto vor. Seine Insassen laden neue Spenden aus.
„Viele kommen und sagen, das ist für die Flüchtlinge“, sagt mir eine Helferin.
„Mir ist es egal, wer meine Sachen kriegt“, sagt ein Pensionist. Er hat soeben einen Karton voll Kleidung und Schuhe deponiert.
„Ich habe genug und es gibt Leute, die Hilfe brauchen. Ob das Bosnier sind oder Migranten. Man muss helfen.“
Es ist das Andere Sarajevo, das an diesem Samstagvormittag hier vorbeschaut.
Auch aus Österreich helfen viele aus der bosnischen Dijaspora mit. Sie haben nicht vergessen, wie es ist, flüchten zu müssen. Für sie hat Pomozi ein eigenes Spendenkonto eingerichtet (siehe unten).
Das gibt die Stimmung im Land nicht wieder.
Medien verbreiten Angst vor Flüchtlingen
„In wenigen Monaten ist es hier ziemlich rassistisch geworden“, schildert Selma, eine Bekannte. „Seitdem Flüchtlinge kommen, gibt es kein anderes Thema und man macht Angst.“
Heute morgen hat etwa das öffentlich-rechtliche Radio vermeldet, dass mehr als 200 Flüchtlinge zurück nach Serbien geschickt wurden.
In den vergangenen Tagen haben mit Ausnahme von Oslobodjene alle größeren Tageszeitungen einen Aufmacher zum Thema Flüchtlinge gebracht.
„Bosnier haben Angst vor Migranten“, hieß es.
„Iraner kommen über Serbien“, lautete eine Schlagzeile des Boulevardblatts Dnevni Avaz.
Hier muss ich grinsen.
Ob dieser Titel Avas Töchter meint, die mit mehreren anderen Geflüchteten von der Grenzpolizei in der Nähe von Višegrad aufgegriffen wurden?
In der Gegend kommen die meisten Flüchtlinge ins Land. Die Grenze zu Serbien verläuft in den Bergen.
Die Drina, im unteren Verlauf der Grenzfluss zum Nachbarland, liegt ganz auf bosnischem Territorium. Hier ist sie keine natürliche Grenzbarriere.
Ava wartet auf eine Nachricht
Ava hat das in der Nacht davor erfahren.
Wir sitzen in einem Restaurant mit W-Lan.
Sie ist neu eingekleidet, in T-Shirt und Sporthose. Als sie nach Bosnien kam, hatte sie nichts mit außer einem kleinen Rucksack. Die Reisetasche hatte sie vor drei Tagen in der Hektik in Serbien zurückgelassen.
Ava bekommt kaum einen Bissen runter. Sie starrt auf ihr Smartphone.
Warten auf eine Nachricht. Irgendeine.
Ich versuche sie abzulenken. Frage, wie gut die Töchter in der Schule sind. Was ihre Talente sind.
Was sie selbst in Deutschland arbeitet. Sie lebt dort seit 15 Jahren. Die Töchter musste sie gemäß islamischem Recht bei der Scheidung beim Vater in Schiras lassen.
Der hat wieder geheiratet. Zu den nicht vorhandenen Frauenrechten im Iran kommt eine schwierige Situation mit der Stiefmutter dazu.
Ava muss ihren Akku aufladen. Unter der Bank ist die nächste Steckdose. Das Ladekabel reicht nicht bis an den Tisch.
Ava sitzt gekrümmt und schief, das Handy in der Hand.
Das Telefon vibriert.
„Was mach ich jetzt“, sagt Ava. Sie weint beinahe. „Das ist er!“
„Wer? Der Vater?“
„Nein, Mehmet. Ein Schleuser. Mit dem will ich nichts zu tun haben.“
Sie hat ihre Kinder auf der Fluchtroute in einem anderen Balkanstaat einem anderen anvertraut. Einem, nennen wir’s, professionellen Helfer.
Jemandem, der sicherstellen soll, dass die Mädchen dort hinkommen, wo sie hinsollen.
Jemandem, der für diese Hilfe Geld nimmt.
2015 noch brauchte man solche Jemande kaum mehr, sobald man auf der Balkanroute war.
Seitdem dort kontrolliert wird, die heutige österreichische Regierung brüstet sich damit, sie geschlossen zu haben, sind diese Jemande für die nach wie vor zehntausenden Flüchtlinge pro Jahr unverzichtbar geworden.
Die Flucht ist teurer und riskanter geworden. Das ist der einzige nachweisbare Effekt der „geschlossenen Balkanroute“.
Dieser Jemand arbeitet offenbar mit Mehmet zusammen. Das wusste sie vorher nicht, sagt Ava. Mehmet hat einen sehr schlechten Ruf, sagt sie.
Ein Foto von Avas Töchtern
Ava drückt den Anruf weg.
Kurz darauf bekommt sie eine Nachricht mit einem Foto.
Ava steckt das Telefon ab und zeigt es mir: „Das sind meine Töchter“.
Es sind zwei heranwachsende Mädchen. Sie liegen im Gras an einem Felsen und schlafen.
Aufgenommen wurde das Bild offenbar ein paar Stunden früher. Es ist noch hell.
„Er will mir damit sagen, dass er sie hat. Verdammtnocheinmal.“
Die Mädchen reagieren nicht auf Whatsapp-Anrufe.
Ava schnorrt noch eine Zigarette von mir. Und trinkt auf meinen Rat eine Rakija.
Dass der Alkohol in ihrer Kehle brennt, lenkt sie kurz ab. Ruhiger wird Ava nicht.
Wenn nur Melek da wäre, denk ich mir. Die könnte mithelfen, sie abzulenken.
Aber Melek trifft heute abend ihren Bruder. Das ist ihr verständlicherweise wichtiger.
Sarajevo, die einzige, erste und letzte Hoffnung
„Was mach ich bloß“, wimmert Ava. Sie weint beinahe und rauft sich die Haare mit ersten grauen Strähnen.
Wenn die Töchter nur in Sarajevo wären, meint sie. Dann könnte man durchschnaufen.
Die Stadt als Ruhepol. Auch als Ankerpunkt für die nächsten Etappen.
Sarajevo, die Stadt in den Bergen als die große Hoffnung.
Mensch, wenn Sarajevo deine erste, letzte und einzige Hoffnung ist, wie verzweifelt musst du sein?
Gut, dass uns hier niemand versteht, denke ich.
Die Chance, dass es einen Gast gibt, der etwas gegen Flüchtlinge hat, ist nicht klein.
Schauergeschichten machen die Runde
„Viele sind als Taschendiebe unterwegs“, erzählt mir Elvis, ein Hotelwirt aus dem Stadtzentrum.
„Ich versteh schon, viele haben nichts. Aber trotzdem. Touristen bestehlen, das ist schlecht für unser Geschäft.“
Im ganzen Stadtzentrum machen Geschichten von Taschendiebstählen die Runde. Fast jeder will jemanden kennen, der jemanden kennt…
Dabei gibt es nicht mehr und nicht weniger Taschendiebstähle als sonst, höre ich von besser informierten Stadtbewohnern.
„Die Diebe sind meistens Bosnier, die sich verkleiden wie Touristen, damit sie in der Altstadt nicht so auffallen“, erklärt mir Adi, mein Gastgeber von der Pension Bujrum.
Nur, derlei Details scheinen in der aufgeheizten Stimmung wenige Menschen zu kümmern.
Die Angstmaschinerie läuft, gut geölt von den bosnischen Boulevardblättern.
Und von der bosnischen Politik, die kaum ein anderes Thema zu haben scheint.
Dabei sind Immigration und Flüchtlinge ein eher vernachlässigbares Problem. Emigration ist ein mehrfach größeres.
Jahr für Jahr verlassen 25- bis 40.000 Bosnier das Land. Meist sind sie gut ausgebildet.
Und da wären Armut, die chronische und nur leicht gemilderte Wasserknappheit in Sarajevo und das dysfunktionale Staatswesen, das dazu führt, dass dieses Land nicht einmal eine offizielle Nationalbibliothek hat. Oder vielleicht doch, das weiß niemand so genau.
Die offizielle Sprachregelung dehumanisiert Flüchtlinge
„Das sind doch Wirtschaftsflüchtlinge“, sagt Elvis. „Die meisten flüchten nicht vor einem Krieg sondern wollen ein besseres Leben. Und überhaupt, was wäre mit diesem Land passiert, wenn nicht mein Bruder und mein Vater hier geblieben und es verteidigt hätten?“
Als ob die zehntausenden Bosnier, die das Land jedes Jahr verlassen, allein aus Fernweh für immer weggingen.
Vergessen scheinen bei vielen die Jahre des Bürgerkriegs mit seinen Massenvergewaltigungen, „ethnischen Säuberungen“ und dem Völkermord von Srebenica.
Unterstützt wird das von der offiziellen Sprachregelung.
Politik, Polizei und Medien sprechen durchgehend von „migranti“. Das Wort „izbjeglice“, das eigentlich Flüchtlinge bedeutet, wird nach Möglichkeit vermieden.
Die Sprachregelung hat sich so sehr durchgesetzt, dass sogar Hilfsorganisationen wie Pomozi lieber von „migranti“ sprechen.
Der offiziellen Stimmungsmache gegen Flüchtlinge hilft, dass die meisten Flüchtlinge aus dem arabischen Raum kommen.
Bosnier mögen keine Araber. Sie haben ähnliche Vorurteile gegen sie wie viele Menschen im Westen gegen Muslime im Pauschalen.
Die Polizei greift durch
In der aufgeheizten Stimmung macht sogar die bosnische Polizei punktuell, was sie generell vermeidet: Gesetze durchsetzen. Mögen sie auch noch so absurd sein.
„Die haben einen Taxifahrer festgenommen, der entlang einer Straße ein paar Kunden aufgenommen und nach Sarajevo gebracht hat“, erzählt mir Adi. Der Vorwurf lautet auf Schlepperei. „Dafür kann er zehn Jahre kriegen“.
Für ihn ein grotesker Fall: „Was soll er denn machen? Sollen jetzt Taxifahrer die Pässe ihrer Kunden kontrollieren? Außerdem: Wenn er die Leute nicht mitgenommen hätte, hätte er eine Strafe riskiert. Ein Taxifahrer darf einem Kunden nicht einfach so die Fahrt verweigern.“

Avas Töchter sitzen irgendwo in Ostbosnien fest. Semilegal. Die Grenzpolizei hat sie mehrere Stunden festgesetzt und mit einem offiziellen Papier wieder laufen gelassen.
Jetzt warten sie auf irgendjemanden, der sie nach Sarajevo bringt, sagt Ava.
Mittlerweile hat sich die Älteste gerührt.
„Sie schreibt: Wir können nicht mehr. Wir haben Hunger und wir haben Angst. Ich sag ihnen: Haltet noch durch.“
Angeblich soll jemand mit einem Auto kommen und sie in einem Waldstück abholen.
Zwei Stunden lang geht das hin und her.
Bei jedem Scheinwerferlicht, das auftaucht, schreibt eine der Töchter: „Das Auto ist da.“
Bei jeder dieser Nachrichten strahlt Ava. Sie sieht ihre Töchter bei sich.
Jedes Mal wird es nach ein paar Minuten heißen: „Das war’s doch nicht. Wir wollen weg von hier.“
Dann bricht der Kontakt erneut ab.
Das Restaurant schließt. Mit Mühe kann ich Ava überzeugen, zurück ins Hotel zu fahren.
„Ich schau morgen bei dir vorbei, dann hab ich alle relevanten Nummern für Dolmetscher und so“, sage ich.
Avas Töchter sind in Sarajevo
Ich komme gerade rechtzeitig.
Ava unterhält sich in gebrochenem Englisch mit ihrer Hotelwirtin und läuft weg, ohne mich zu sehen.
Sie murmelt etwas von „über den Fluss und an der Moschee vorbei.“
In Sarajevo ist das alles andere als eine präzise Ortsbeschreibung.
Ich renne ihr nach.
„Meine Töchter sind da“, strahlt sie müde, als sie mich sieht.
„Weißt du, wo du hinmusst?“
„Über den Fluss und an der Moschee vorbei. Da ist das Hotel.“
„Welches?“
Ava sagt einen mir unbekannten Namen und rennt drauflos, über die nächste Brücke, an der nächsten Moschee vorbei.
Wo, wenig überraschend, kein Hotel steht.
Ich rufe im Bujrum an. Marija hebt ab. Sie googelt und gibt mir die Adresse.
Ich kapere das nächste Taxi. Ava ist nur mit Mühe zu überzeugen, einzusteigen.
Der Taxifahrer weiß nicht, wo die Adresse genau liegt. Ich gebe ihm die ungefähre Gegend.
Er fährt drauf los.
„Ich habe nur zwei Stunden geschlafen“, sagt Ava.
„Wieder nur? Das war doch die Nacht davor auch nicht mehr.“
Der Taxifahrer bleibt stehen und steigt aus. Er fragt zwei Passanten nach dem Weg.
Sie plaudern kurz.
Ava verliert die Nerven
„Mach schon“, flüstert Ava zwischen den Zähnen hervor.
So nervös hat sie noch nie geklungen. Und Ava klingt nervös, seitdem ich sie kennengelernt habe.
„Das ist Bosnien“, sage ich. „Wenn du hier jemandem nach dem Weg fragst, musst du auch ein wenig plaudern. Das ist eben so hier.“
Die Passanten wissen es auch nicht und erklären dem Taxifahrer, wie er jemanden findet, der es weiß.
„Sag ihm, ich will ins Hotel“, stöhnt Ava, als er erneut stehenbleibt und nach dem Weg fragt.
„Wir fahren doch dorthin“, sage ich.
„Nein, zu mir ins Hotel. Die können jeden Augenblick kommen.“
„Wie, ich dachte, du holst sie dort ab.“
Wir sind am finalen Halt angekommen, vor einem „Einfahrt verboten“-Schild einer Einbahn.
„Dort muss es sein“, sagt der Taxifahrer. „Ich frag noch mal.“
„Ich will ins Hotel“, beginnt Ava zu toben. Und fährt mich an: „Und wenn sie dich sehen, rennen sie doch gleich weg.“
Der Taxifahrer hat eine Frau gefunden, die Ava ins Hotel bringen will, wo ihre Töchter warten.
Bevor die Frau am Auto ist, springt Ava heraus und verschwindet auf der Straße in Touristenmassen.
Ich rufe ihr nach.
„Schrei mich nicht an!“ ist das letzte, was ich von ihr höre und sehe.
Ihr nachzulaufen wäre zwecklos. In dem Gewirr würde ich sie nicht finden.
Mehr kann ich leider nicht tun. Ich lasse mich ins Bujrum bringen.
Mit etwas Glück sind sie in Deutschland
„Ja, sie hat sehr verloren gewirkt“, sagt Adi, als ich ihm von der Episode erzähle.
Du hast keine Ahnung wie, denke ich mir, du hast sie ja nur kurz gesehen.
Am nächsten Tag ruft Adi auf meine Bitte bei Avas Hotel an.
„Gestern Nachmittag ist sie mit ihren Töchtern dort aufgetaucht und hat ausgecheckt“, schildert Adi. „Wenigstens die Mädchen hat sie gefunden.“
Wo sie ist, weiß keiner.
Mit etwas Glück hat sie es mit den Töchtern nach Deutschland geschafft. Dort wird es ein Kampf werden, dass die beiden bleiben können.
Nach all den Gesetzesverschärfungen reicht es nicht mehr, als Frau diskriminiert und entrechtet zu werden, um Schutz und ein Leben in Freiheit zu bekommen.
Österreichisches Spendenkonto für Flüchtlinge in Bosnien:
ERSTE BANK
IBAN: AT64 2011182266475400
BIC: GIBAATWWXXX
Wien
Name: hilfhelfen-pomozi.ba