Das Wüsteneiland

Die Trinkwasserversorgung in Sarajevo steht vor dem Zusammenbruch. Seit dem Sommer wird in beinahe der ganzen Stadt in der Nacht die Wasserversorgung gesperrt. Tausende Einwohner haben auch am Tag nur ein paar Stunden Wasser.  Verantwortlich sein will niemand.

„Duschen?“ Lejla Avdić-Džalo lacht, als ich das Wort verwende. „Wir können zuhause nicht mal unsere Zähne putzen, bevor wir in die Arbeit gehen. Das ist wie im 14. Jahrhundert.“

Gemeinsam mit ihrem Mann Merso steht sie im Park vor der Kantonalregierung von Sarajevo. Sie sind zu einer Unterschriftenaktion der Kampagne „Vodoodbrana Sarajeva“ gekommen. „Wasserrettung Sarajevos“.

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Die Kampagne wird organisiert von den Bürgerinitiativen Eko Akcija und Jedan grad, jedna borba.

In den vergangenen drei Tagen hat das Ehepaar nur zwei Stunden Wasser am Tag gehabt.

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Merso und Lejla Avdić-Džalo

„Gebt mir auch ein paar Formulare mit. Ich sammle Unterschriften in der Nachbarschaft“, sagt Jovana Šego zu Aktivist Boriša.

„Mir geht’s ja noch gut. Ich wohne gleich neben dem Krankenhaus. Da können sie das Wasser nicht abstellen. Ich hab also 24 Stunden am Tag Wasser. Im Nachbargebäude gibt’s zumindest in der Nacht schon kein Wasser mehr“, schildert sie.

„Ich kenne Leute, die haben so gut wie nie Wasser, seit Wochen. Die haben das lange hingenommen. Zuletzt war es im Krieg so schlimm. Jetzt aber reicht es ihnen. Es ist gut, dass es so eine Initiative gibt.“ Jovana Šego

Anela ist eine von denen, denen es reicht. Gemeinsam mit ihrer Mutter und einer Freundin stellt sie sich bei dem improvisierten Unterschriftenstand an.

„Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich für eine politische Initiative unterschreibe“, sagt sie. „Die stellen das Wasser ab, wann sie wollen. Aber das Geld, das wollen sie pünktlich. Wahrscheinlich sollten wir aufhören, unsere Wasserrechnungen zu bezahlen.“

„Du musst genau planen, wann du zuhause bist“

Jovana Kljajić aus dem Stadtteil Čengić Vila ist PR-Managerin für die NGO Pod Lupom. Bei ihr herrscht nicht nur zuhause Wasserknappheit. „Im Büro sperren sie uns das Wasser von 11 bis 4 am Nachmittag.“

Das sorgt für Stress, sagt sie: „Wenn du am Abend fortgehst, musst du genau planen, wann du zuhause bist und wann du Reservewasser einkaufst. Die Menschen haben das lange akzeptiert, aber jetzt bewegt sich was. Das ist gut.“

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Jovana mit der Unterschriftenliste

„Die Menschen hier lassen sich viel gefallen“, sagt Aktivist Boriša von Jedan grad, jedna borba. „Wir haben Monate lang von der Wasserknappheit gesprochen und es hat sich wenig getan. Aber als wir unsere Vermutung geäußert haben, dass es auf eine Privatisierung des Wassernetzes hinausläuft, sind die Menschen aktiv geworden.“

Leute holen sich Listen ab, um Unterschriften in der Arbeit zu sammeln

Ein Mann Mitte 40 in Arbeitskleidung kommt vorbei und übergibt Boriša mehrere Seiten voller Unterschriften. „Das hab ich der Arbeit gesammelt“, erzählt er stolz.

„Das machen viele“, schildert Anes Podić von Eko Akcija. „Seitdem wir sammeln, drucken Leute das Unterschriften-Formular auf unserer Homepage aus und sammeln auf eigene Faust, in der Nachbarschaft oder in der Arbeit. Andere holen sich ein Formular von uns und kopieren es in der Firma, damit sie sammeln können.“

Darauf ist man auch angewiesen. „Wir finanzieren das alles mit unserem privaten Geld“, schildert Boriša.

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Ein Pensionist schildert Boriša seine Probleme mit dem Trinkwasser

Es scheint, als würde es vielen Sarajli reichen. Nicht nur des Wassers wegen. Sie haben auch das Gefühl, von der Politik angelogen zu werden.

Dem Wasserwerk fehlt das Geld

Lange haben sich das Wasserwerk Vodovod i Kanalizacija Sarajevo und die Kantonalregierung darauf ausgeredet, dass es zu wenig geregnet hätte.

Eko Akcija konterte mit Statistiken, dass es bis September nur 80 Prozent des durchschnittlichen Niederschlags gegeben habe – das sei aber immer noch mehr als in den Jahren 2000 und 2003. Damals gab es keine Probleme mit der Wasserversorgung.

Die Kantonalregierung schoss sich als Reaktion auf den Direktor der Wasserwerke ein. Er steht vor der Ablöse.

Dass bei den Einwohnern Sarajevos kein Wasser ankommt, liegt an den Leitungen. Zwischen 75 und 80 Prozent des Trinkwassers gehen verloren, bevor sie in Firmen und Haushalten ankommen.

Dem Wasserwerk fehlt seit Jahren das Geld, die Leitungen instand zu halten. Den Wasserpreis darf es nicht erhöhen. Mit 1,3 Mark (0,65 Euro) beträgt er ziemlich genau ein Drittel etwa des bereits günstigen Wasserpreises von Wien.

Gleichzeitig hat die zuständige Kantonalregierung über Jahre die Subventionen gekürzt. Für 2017 wurden nur knapp mehr als 900.000 Mark Zuschüsse für die Instandhaltung der Wasserleitungen an das Wasserwerk Sarajevo budgetiert. Das sind 450.000 Euro.

Der Kanton hat die Richtigkeit der online verfügbaren Zahlen gegenüber Balkan Stories auch auf mehrmalige Nachfrage nicht bestätigt.

Proteste zeigen Wirkung. Ein wenig zumindest.

„Ich habe 12 Jahre für die UNO gearbeitet. Ich war in der Zentralafrikanischen Republik und im Kongo“, schildert Aktivist Anes. „Selbst dort hatten wir rund um die Uhr Wasser. Man konnte es vielleicht nicht trinken, aber es war da. Hier funktioniert das nicht.“

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Anes im Interview mit einer örtlichen Zeitung

Mittlerweile zeigen die Proteste erste Wirkung. In einer Krisensitzung hat die Kantonalregierung ein Sonderbudget beschlossen.

800.000 Mark bekommt das Wasserwerk, um die Situation innerhalb der nächsten 60 Tage zu beheben. 400.000 Euro. Zusätzlich gibt es 280.000 Mark für neue Wasserpumpen.

Gegenüber Balkan Stories hat sich die Kantonalregierung auch auf mehrfache Nachfrage nicht zur Frage geäußert, ob das jahrelange finanzielle Aushungern des Wasserwerks etwas mit der heutigen Lage zu tun haben könnte.

Die anderen sind schuld

Das zuständige Ministerium im Kanton Sarajevo schiebt in einer Presseaussendung die Verantwortung anderen zu: Viele Leute würden illegal Wasser abzweigen.

Bei der Inspektion von 3.000 Haushalten und Wasserkunden seien 405 illegale Entnehmer gefunden worden, heißt es in der Pressemeldung. Das Wasserwerk habe sechs Monate Zeit, um genügend Inspektoren einzustellen.

Eine Pensionistin unterschreibt die Liste und ruft auf die Schnelle acht Familienmitglieder an, ob sie auch gegen den Wassermangel und eine möglicherweise drohende Privatisierung unterschreiben wollen.

Alle sagen ja. Vielleicht nicht astrein. Aber eine Petition im juristischen Sinn ist die Aktion nicht. Vielmehr ist es ein offener Brief an die politisch Verantwortlichen für die Misere.

Von der Politik alleine gelassen

„Kommen Sie, protestieren Sie mit. Es geht ums Wasser“ agitiert Aktivistin Gorana einen Passanten im Park an.

„Ich hab Wasser“, sagt der und geht weiter.

„Und was ist mit der Solidarität?“, ruft ihm Gorana nach.

Der Anzugträger geht weiter.

„Der arbeitet wahrscheinlich für den Kanton“, sagt ein Mann, der darauf wartet, unterschreiben zu können.

Allgemeines Gelächter.

Das Ansehen der Kantonalregierung scheint verbesserbar zu sein.

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Woran nicht zuletzt die späte Reaktion auf die Wassermisere schuld ist. Erst Wochen, nachdem die Wasserversorgung in der Hauptstadt zusammengebrochen war, äußerte man sich.

Dass es erst Ende September eine Krisensitzung mit Beschlüssen gab, machte die Lage nicht besser.

Die Sozialdemokratie? Abgemeldet.

Die Opposition, etwa die Sozialdemokraten, haben ebenfalls wenig getan, die Bürger zu unterstützen.

Bei einer Demonstration unter dem Titel „Ostajemo ovjde“ („Wir bleiben hier“) forderte die Parteijugend im Stadtzentrum vor zwei Wochen umfangreiche Reformen, etwa im Schulwesen. Auch gegen die Verharmlosung des Faschismus sprach man sich aus.

Bei den vielen Parolen auf vielen Tafeln fand sich ein Wort nicht – Wasser.

Dass Trinkwasserflaschen für die Teilnehmer mit dem Slogan der Demo etikettiert waren, war ebenfalls nicht als subtiler Protest verstehen. Es diente schlicht dem Branding der Demo.

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Die Aktivisten von Eko Akcija und Jedan grad, jedna borba sehen die Bürger in der Angelegenheit auf sich gestellt.

Vor allem die langsame Reaktion der Kantonalregierung ist für sie alles andere als Zufall.

Soll das Wassernetz privatisiert werden?

„Das Wassernetz wurde bewusst vernachlässigt“, sagt Aktivist Anes. „Die wollen es ruinieren, damit sie einen großen Investor hervorzaubern können, an den sie das Wassernetz verkaufen können oder mit dem sie eine Public Private Partnership (PPP) eingehen“.

Von der Hand zu weisen ist die Sichtweise nicht.

In seltener Einigkeit haben die Regierung der Teilstaaten Federacija und Republika Srpska PPPs als scheinbares Allheilmittel entdeckt.

Auf einer Homepage wird Bosnien als Zielland für Investoren präsentiert und den Bürgern preist man die angeblichen Vorteile des Modells an.

Verantwortlich für die Seite ist eine das Amt für die Reform der öffentlichen Verwaltung im Auftrag des bosnischen Ministerrats.

Dass in Deutschland PPPs wegen hoher Mehrkosten in Kritik stehen – und nicht nur dort – wird wenig überraschend nicht erwähnt.

Es wäre nicht Bosnien, würden nicht Gerüchte kursieren. Die Regierungspartei SDA habe einen türkischen Investor fürs Wassernetz parat und warte nur auf den geeigneten Moment, erzählen einige der Unterschreibenden heute.

Die Aktivisten kommentieren die Gerüchte nicht.

Balkan Stories hat mehrmals bei der Kantonalregierung angefragt, ob eine PPP für das Wasserwerk geplant wäre. Eine Antwort gab es nicht.

Bei dem Tempo dauert es 1.000 Jahre

Es gab auch keine Antwort auf die Frage, wie viel man in den nächsten Jahren in das Wassernetz investieren wolle.

Das Notfallpaket mit etwas mehr als einer Million Mark wird nicht für mehr als ein Placebo reichen.

Die letzte große Sanierung des Wassernetzes von Sarajevo kostete knapp 100 Millionen Dollar. Das war 1976. Damals versickerte nur etwa halb so viel Wasser in den Leitungen wie heute.

Das wären heute etwa 400 Millionen Dollar.

Fallen die Notbudgets für die Leitungsreparaturen weiter so großzügig aus, wird es wohl 1.000 Jahre dauern, bis alle Einwohner Sarajevos wieder verlässlich Wasser haben.

Ein Gedanke zu “Das Wüsteneiland

  1. In Süditalien, und ich habe das nur aus den Medien, gibt es eine ähnliche Situation. Dort versickert auch ein Großteil des Wassers in den desolaten Leitungen. Dort profitiert allerdings anscheinend die Mafia davon, die die Infrastruktur mit ihren Tanklastern aufrechterhält, natürlich kostenpflichtig für den Staat.

    Wasserversorgung zu privatisieren ist auch in Österreich ein heikles Thema. Du bringst in deinem Blog Hinweise darauf, dass man sich auch in Bosnien schon fragen muss: cui bono? Der Protest ist deinem Blog nach eine politische Initiative, ich würde das auch so sehen. Ich kenne die politischen Verhältnisse in Serbien so halbwegs, die in Bosnien aber nun fast gar nicht. Hast du eine Vorstellung davon, warum eine kleine Oppositionspartei wie die Sozialdemokraten das Thema nicht aufgreift?

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