Helden ihres Volkes

Heute gedenkt die Welt der sechs Millionen Juden, die im Holocaust ermordet wurden. In Ex-Jugoslawien wurde die jüdische Gemeinde beinahe ausgelöscht. Balkan Stories will zum Auschwitz-Gedenktag an die jüdischen Jugoslawen erinnern, die mithalfen, dem Morden ein Ende zu setzen. Und deren Beitrag zur Befreiung ihrer Heimat das offizielle Jugoslawien immer ehrte.

Sie waren Schülerinnen, Arbeiter, Lehrer, Ärztinnen. Als die deutschen, italienischen und kroatischen Faschisten kamen, wurden sie Partisanen.

Sie kämpften. Sie spionierten. Sie retteten Leben. Die meisten ließen für die Befreiung ihrer Heimat ihr Leben.

Sie waren Narodni Heroji, Nationalhelden Jugoslawiens.

Zum Nationalhelden ernannt zu werden, das war die höchste militärische Ehrung, die Titos Jugoslawien für Kämpfer der Volksbefreiungsarmee zu vergeben hatte.

1.322 Menschen durften diesen Titel tragen. Elf waren jüdisch: Zehn Männer und eine Frau.

Nisim Albahari (1916-1992).

Isidor Baruh (1910-1941).

Pavle Goranin Ilija (1915-1944).

Robert Domani (1918-1942).

Ilija Engel (1912-1944).

Ovadija Estreja Mara (1922-1944).

Pavle Pap Šilja (1914-1941).

Moša Pijade (1890 – 1957).

Adolf Štajnberger Drago (1916-1943).

Vojo Todorović Lerer (1914–1990).

Slaviša Vajner (1903–1942).

Damit ist der jüdische Anteil unter den Titelträgern annähernd doppelt so hoch wie an der Gesamtbevölkerung Jugoslawiens vor der Zerschlagung und dem deutschen Einmarsch 1941.

Acht der elf fielen.

Sie starb mit 22 Jahren

estreya_ovadia

Als jüngste starb die Arbeiterin Ovadija Estreja Mara aus Bitola in Mazedonien. Sie war schon als Teenager politisch aktiv, zuerst in jüdischen Jugendorganisationen, später in der KP. Sie stammte vermutlich aus einer sephardischen Familie.

Ovadija Estreja Mara kämpfte als Mitglied einer mazedonischen Einheit der Partisanen gegen die italienischen Besatzer.

1944 fiel sie im Alter von nur 22 Jahren als Politkommissarin in der Siebten Mazedonischen Brigade.

Von der jungen Frau ist offenbar nur ein einziges Foto überliefert.

Moša Pijade, Bildhauer, Revolutionär und Gründer der TANJUG

mosastari

Der bekannteste jüdische Nationalheld Jugoslawiens war wohl Moša Pijade, der in der Illegalität den Kampfnamen Čiča Janko trug. Er war Bildhauer, Journalist und Revolutionär. Einer der Männer, die in der Zeit der Illegalität im Königreich Jugoslawien die KP am Leben erhielten, die 1941 zur Keimzelle der Volksbefreiungsbewegung werden sollte.

Und vor allem gründete er die Nachrichtenagentur TANJUG, im Krieg das wichtigste Informationsorgan der Partisanen und der Volksbefreiungsbewegung.

Im Zweiten Weltkrieg stieg er schnell zu einem Vertrauten Josip Broz Titos auf und war Ziel antisemitischer Propaganda der Nazis und der Četniks. Ihn wollte man zur Hassfigur machen, um die Partisanen als „jüdisch unterwandert“ darzustellen, wohl in der Hoffnung, dass sich antisemitisch eingestellte Kroaten, Serben oder Bosnjaken keiner Bewegung anschließen würden wollen, in der Juden entscheidende Positionen hatten. Und wahrscheinlich auch, um zu suggerieren, die Partisanen kämpften nicht für die Befreiung des jugoslawischen Volks.

Die Propaganda verfing nicht. Zumindest nicht in großem Ausmaß.

Pijade war einer von nur drei aus der Liste, die den Krieg überlebten.

Eine vielfältige Gemeinschaft

An den Namen erkennt man auch, wie vielfältig die jüdischen Gemeinden Jugoslawiens waren und, sofern sie überlebt haben, bis heute sind.

Ein Beispiel ist die Gemeinde von Sarajevo, die bis heute sowohl ashkenazisch wie sephardisch ist. Sie war bis zum Krieg die größte Jugoslawiens.

Auch die Heldin und die zehn Helden des Volks tragen ashkenazische und sephardische Namen. Die sephardischen überwiegen.

Bis ins 19. Jahrhundert war ein Großteil der Juden auf dem Gebiet des späteren Jugoslawiens sephardisch, mit Ausnahme der Regionen, die unter Kontrolle Österreich-Ungarns standen.

Erst als ab 1878 das Osmanische Reich den Rückzug vom Westbalkan antrat und Österreich-Ungarn Bosnien annektierte, kamen größere Gruppen ashkenazischer Juden auf den Balkan.

Einige der Nationalhelden tragen auch typisch slawische Vornamen. Wie auch anderswo war ein erheblicher Teil der jüdischen Jugoslawen assimiliert und weitgehend säkular. Bei diesen elf trifft das in erhöhtem Maße zu: Praktisch alle waren Mitglieder oder Funktionäre der Kommunistischen Partei, einige waren sogar vor dem Krieg beigetreten.

Anderswo wurden die Juden vergessen

img_1232
Mahnmal für die Opfer des Holocaust und des Faschismus am Jüdischen Friedhof von Sarajevo

Jugoslawien war das einzige sozialistische Land, das an die jüdischen Opfer der Faschisten erinnerte und aktiv jüdische Partisanen ehrte.

In der Historiografie der UdSSR und Polens spielten diese Gruppen jahrzehntelang nur eine Nebenrolle, ebenso in der DDR.

Die Geschichte der jüdischen Widerstandsbewegungen blieb jahrzehntelang unaufgearbeitet. Vor allem in Polen lag das am weit verbreiteten Antisemitismus.

Die jüdische Bevölkerung Jugoslawiens wurde fast ausgelöscht

Etwa 66.000 der 83.000 jüdischen Jugoslawen dürfte im Zweiten Weltkrieg ums Leben ermordet worden sein. Der Großteil wurde Opfer der Ustaša und der Nazis.

Die Ustaša unterhielten in Kroatien und Teilen Bosniens ein eigenes Netzwerk an Konzentrationslagern, die für ihre Brutalität berüchtigt waren – allen voran Jasenovac nahe Zagreb. Die Ustaša ermordeten auch 600.000 Serben und zehntausende Sinti und Roma.

Auch das serbische Kollaborationsregime ließ Juden in das KZ Sajmiste bei Beograd stecken und lieferte sie den Deutschen aus. Die ermordeten zwischen März und Mai 1942 8.000 Menschen in Gaswagen.

Die Juden in der Vojvodina fielen den Judentransporten aus Ungarn 1944 zum Opfer. Serbien nördlich der Sava war Ungarn zugeschlagen worden.

Die Rolle der serbischen Četniks im Holocaust ist wenig untersucht. Dass es zu Pogromen durch Četniks kam, ist wahrscheinlich. Juden waren allerdings nicht die Hauptziele der Vertreibungen und Massaker, die von Četnik-Truppen begangen wurden. Die richteten sich vor allem gegen Kroaten und Bosnjaken.

Mazedonien wurde von Bulgarien annektiert. Die dortigen Juden wurden 1943 von der bulgarischen Polizei ans Deutsche Reich ausgeliefert und nach Treblinka deportiert.

In allen Fällen leisteten auch Teile der örtlichen Bevölkerung Hilfsdienste oder ermöglichten die Morde mit ihrer Passivität. Die Kolloboration erreichte allerdings nie die Ausmaße wie im Baltikum, in Weißrussland oder Teilen Polens. Das lag auch daran, dass weder in Serbien noch in Bosnien der Antisemitismus traditionell verwurzelt war.

Die hohe Opferquote erklärt sich vor allem daraus, dass es kaum Fluchtmöglichkeiten gab. Alle Nachbarländer Jugoslawiens waren von den Nazis besetzt oder Verbündete des Dritten Reichs. Überlebenschancen gab es – außer in Einzelfällen – nur für die, die in Gebiet fliehen konnten, das die Partisanen kontrollierten. Als relativ sicher galten noch die italienischen Besatzungszonen.

Ein hoher Anteil zur Befreiung der Heimat

Knapp 4.600 Juden waren in der jugoslawischen Volksbefreiungsbewegung aktiv, die nach dem Überfall der Nazis und der Zerschlagung des Landes gegründet worden war. Knapp 3.000 waren Mitglieder von Partisanen-Einheiten.

Die anderen unterstützen den Befreiungskampf mit Hilfsdiensten wie Spionage, Propaganda oder indem sie medizinische Hilfe leisteten und Spenden sammelten.

Etwa 3.300 dieser Widerstandskämpferinnen- und kämpfer überlebten den Krieg. Damit war fast jeder fünfte jugoslawische Jude, fast jede fünfte jugoslawische Jüdin, der oder die den Krieg überlebt hatte, im Widerstand.

Bedenkt man auch, dass tausende den faschistischen Mordaktionen zum Opfer fielen, bevor sie fliehen oder in den Widerstand gehen konnten, leisteten Jugoslawiens Juden einen übermäßigen zur Befreiung ihrer Heimat.

Wahrscheinlich war bis zur Hälfte der Jüdinnen und Juden, die Ende 1942 noch am Leben und in Freiheit waren und altersmäßig wie körperlich in der Lage, die Faschisten zu bekämpfen, im Widerstand.

Mehr über die Rolle der Frauen im jugoslawischen Freiheitskampf kann man in dieser neu erschienen Broschüre über die Antifašističkog fronta žena Jugoslavije lesen (pdf in der Sprache, die früher serbokroatisch hieß)

Dieser Beitrag wurde vom Magazin Die Jüdische übernommen.

Wenn euch dieser Beitrag gefällt…

Wenn ihr meine Arbeit unterstützen wollt, könnt ihr das ab sofort auf Buy Me A Coffee tun. Und wenn euch dieser Beitrag gefällt, bitte teilt ihn auf euren sozialen Netzwerken, lasst ein Like da oder kommentiert.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..