„Ajde u pičku materinu“

Auch 71 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg tun sich viele Kroaten schwer, den Völkermord an Serben, Juden und Roma durch die Ustaša zu akzeptieren. Nationalisten leugnen den Genozid offen. In einem Ausmaß, das für deutsche oder österreichische Verhältnisse unvorstellbar wäre. Ein drastisches Beispiel dieser Genozid-Leugnung hat Balkan Stories via e-mail erreicht.

„Ajde u pičku materinu“.

Mein Kollege Jugoslav ist sonst nie um einen Wortschwall verlegen.

Als er das Mail liest, das ich ihm weitergeleitet habe, kann er nur mehr schimpfen. Fast alle Brüder seines Großvaters sind im Zweiten Weltkrieg umgekommen. Ob als Partisanen bei Kämpfen oder als Mordopfer der Ustaša, weiß man nicht.

Ich möge mich doch unbefangen mit dem historischen Beweismaterial zum kroatischen KZ Jasenovac auseinandersetzen, beschwört mich ein Mann, der online das Pseudonym Fra Toni verwendet.

Balkan Stories kennt seinen Klarnamen.

Der Inhalt des Mails von Fra Toni wird hier unverfälscht wiedergegeben.

„Anbei sind Artikel über das kroatische Lager Jasenovac, den Schandfleck kroatischer Geschichte, aus einer anderen historischen Sicht als bisher jahrzehntelang verbreitet. 

Herr Igor Vukić (Politologe und Journalist) ist ein ein Serbe aus Kroatien, und erforscht seit Jahren Jasenovac. Gebürtig ist er aus der unmittelbaren Nähe von Jasenovac. Sein Vater und die Großmutter stammen aus dem Dorf Donja Gradina, gegenüber von Jasenovac. Sie waren in Jasenovac inhaftiert, und sein Großvater war Partisan, so dass er mit Sicherheit kein “Ustascha” oder “Faschist” ist, wie man in Kroatien oft vorschnell alle etikettiert, die den aufgebauschten Opferzahlen von Jasenovac keinen Glauben schenken, und anstatt dessen, ungeachtet der Weltanschauung oder Religionszugehörigkeit, den gesunden Menschenverstand gebrauchen. Die Opferzahlen von 84.000 bis 700.000 sprechen dem gesunden Menschenverstand einen Hohn. Nach heutigen Erkenntnisen gab es in Jasenovac ca. 700 Opfer.

Tomislav Vuković erforscht auch jahrelang unter anderem Jasenovac, so wie auch andere kroatische Historiker.

Hoffe, dass Sie bestimmt auch anderen Forschungsergebnissen, anstatt der jahrzehnelangen Propaganda, über Jasenovac offen sein können, da man heutzutage in Kroatien darüber kritisch schreiben und forschen darf.“

In bester Holocaust-Leugner-Gesellschaft

Holocaust-Leugner David Irving hätte es nicht eleganter formulieren können.

Bei der Opferzahl kann der berüchtigte Srbosjek, der Serbenschneider, nicht oft zum Einsatz gekommen sein. Die KZ-Wärter trugen die Klinge mit einem Lederhandschuh statt eines Griffs und schnitten ihren Opfern die Kehle auf. Oft genug schnitten sie den Kopf ab.

Dass der Srbosjek an der Hand befestigt war und nicht in der Hand gehalten werden musste, sollte verhindern, dass man ihn aus Erschöpfung fallen lässt.

So etwas kauft man nicht, wenn man seine Opfer nicht umbringen will.

Es gibt seriösen wissenschaftlichen Konsens

Ich frage Gordan Bosanac, was er von diesem offenen und dreisten Revisionismus hält. Er arbeitet im Centar za Mirovne Studije in Zagreb und ist Experte für die neofaschistischen Umtriebe in Kroatien.

„Für mich ist die einzig relevante Liste die der Gedenkstätte in Jasenovac„, schreibt Gordan. „Sie beinhaltet 83.145 Namen, allerdings gibt es einen Hinweis, dass die Zahl nicht zu 100 Prozent exakt ist.“

Das ist die Zahl der Opfer von Jasenovac, die dokumentiert werden kann. Man darf davon ausgehen, dass sie eine konservative Schätzung der Opfer allein in diesem KZ ist.

Auf etwa 80.000 Opfer allein in Jasenovac haben sich auch die Angehörigen einer kroatischen und einer serbischen Historikerkommission geeinigt. Es gibt auch unabhängig voneinander zwei Schätzungen von Historikern, die auf die gleiche Größenordnung kommen.

Schlechter erforscht als Auschwitz

Viel mehr kann man nicht über die Opferzahl der Stätte sagen, die als das Auschwitz des Balkan bezeichnet wurde.

Anders als die Nazis führten die kroatischen Faschisten nie genaue Listen über ihre Deportationen und Morde.

Folgt man „Fra Toni“, sind die Historiker, die sich auf diese Zahl geeinigt haben, von jeglichem gesunden Menschenverstand verlassen. Nur seine Hobbyforscher sehen klar.

Und benutzen die exakt gleichen Methoden wie selektiven Grabungen und Berechnungen wie David Irving und andere Auschwitz-Leugner.

Nur ist Jasenovac weitaus schlechter erforscht als Auschwitz. Unter der Parole „Bratstvo i jedinstvo“ versuchte die KP in Jugoslawien jegliche Diskussion über den Völkermord der Ustaša an den Serben möglichst klein zu halten. Seriöse historische Forschung unterblieb.

Das gab den kroatischen Neofaschisten und anderen Nationalisten willkommene Gelegenheit, die Sache am besten ganz zu leugnen. Oder zumindest bis ins beinahe Lächerliche kleinzureden.

Wie „Fra Tonis“ Helden.

Das Problem mit dem kroatischen Revisionismus

Seit 1991 können sie das in manchen und meist tonangebenden Kreisen der kroatischen Gesellschaft ganz offen tun. Das hat Ausmaße erreicht, die in Österreich oder Deutschland unvorstellbar wären.

Unwidersprochen bleibt der Revisionismus nicht. Außerhalb nationalistischer Kreise gibt es eine breite antifaschistische Bewegung in Kroatien. Die bekämpft die Verharmlosung des faschistischen Regimes mit allen legalen Mitteln.

Nur wird sie unter den aktuellen Machtverhältnissen nicht so sehr gehört wie die Wiedergänger der Ustaša.

Auch serbische Nationalisten instrumentalisieren Jasenovac

Kroatische Nationalisten sind nicht die einzigen, die die Zahl der Ustaša-Opfer instrumentalisieren.

Serbische Nationalisten versuchen, die Zahlen möglichst hochzutreiben. Mit ebenso unwissenschaftlichen Methoden. Vor allem in der Republika Srpska, dem serbisch dominierten Teilstaat Bosniens.

Im Muzej Republike Srpske in Banja Luka etwa ist von bis zu 800.000 Opfern allein in Jasenovac die Rede.

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Die 800.000 sind die obere Grenze seriöser Schätzungen zur Gesamtzahl des Völkermords im „Unabhängigen Staat Kroatien“ im Zweiten Weltkrieg. Diese Zahl schließt die Opfer anderer kroatischer KZs und anderer Massaker mit ein.

Tut man so, als seien diese Menschen alleine in Jasenovac umgebracht worden, treibt man die Gesamtopferzahl implizit noch weiter hinauf.

Das Kalkül ist auch hier politisch. Es soll den gewaltsamen Versuch legitimieren, zwischen 1991 und 1995 einen serbischen Staat auf bosnischem und kroatischem Territorium zu errichten.

Und es soll die Opfer des Genozids in Srebrenica und die um zehntausenden Opfer „ethnischer Säuberungen“ im Vergleich zu den serbischen Opfern des kroatischen Völkermords etwas weniger schrecklich wirken lassen.

Die Aufarbeitung ist politisiert

Es ist fast unmöglich, Jasenovac aufzuarbeiten, ohne mit diesen Formen des Revisionismus konfrontiert zu werden.

„Jeder, der sich auf die Diskussion um Jasenovac nur im Rahmen der Opferzahlen einlässt, politisiert die Debatte“, rät mir Goran. „Lass dich nicht auf diese Debatte ein.“

Das nicht. Aber ich zeige auf, wie diese Debatte geführt wird. Und welche Reaktionen sie bei den Menschen auslöst, die Opfer zu beklagen haben.

Titelbild: Die Steinblume von Jasenovac, das Mahnmal für die Opfer. (c) Tomislav Medak

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