Mostar ist der Tourismusmagnet in Bosnien schlechthin. Gleichzeitig steht die Hauptstadt der Herzegovina wie kaum eine andere Stadt des Landes für das Scheitern der Friedensordnung von Dayton. Eine Reportage von Max Bitter.
Nennen wir die zwei jungen Männer Zvonimir und Ante. Sie sitzen im Schanigarten des Pubs der Mostarer Ultras und dürften beide kaum über 20 sein.
Zvonimir studiert die Tabellen mit den heutigen Wettquoten. Ante tippt auf seinem Smartphone und richtet gelegentlich einen Blick auf sein Auto. Ein alter Audi mit defektem Rücklicht. Registriert ist das Gefährt laut Nummerntafel in Makarska in Kroatien.
„Du kommst also aus Wien?“ fragt mich Zvonimir. „Da lebt auch ein Freund von mir. Der hat dort Arbeit gefunden. Hier gibt’s ja nichts. Ich glaub, der wohnt im 11. Bezirk. Kann auch der 12. sein.“
Der untersetzte Kellner bringt mir ein kleines Bier. Er trägt ein Lonsdale-T-Shirt. Der etwas ältere Gast, der gerade ins Lokal geht, ebenfalls. Er hat sich auch das Logo des Westmostarer Fußballvereins auf den rasierten Unterschenkel tätowieren lassen.
Zvonimir steht auf und geht ins Lokal. Ante fährt eine Runde mit seinem Audi mit kroatischem Kennzeichen. 15 Minuten später wird er mit Essen zurückkommen.
Es ist billig in diesem Lokal, selbst für Mostarer Verhältnisse. Ein Espresso kostet eine Mark, das sind 50 Cent.
Zvonimirs Wetttabellen sind offenbar fertig gelesen. Er spielt mit dem Gast mit Lonsdale-T-Shirt Backgammon. Der Kellner und ein weiterer Gast Mitte 20 spielen eine Partie Darts. Geld muss man in den Automaten offenbar keines einwerfen.
Wer arbeitslos ist und kroatisch genug, kann es sich finanziell leisten, hier den Tag totzuschlagen. Und kriegt Tag für Tag ein Stückchen Hass gefüttert.
Ein Extrembeispiel. Aber nicht untypisch.
Über der Klima-Anlage, am Türrahmen des Lagers und am Spülkasten des Klos hängen Thor-Steinar-Pickerl.
Ein Kalender dokumentiert stolz mit Fotos die Aktivitäten der „West Mostar Crew“. Auf einer Abbildung steht eine schwarz gekleidete Abordnung von um die 30 Mann am Rande eines Fußballplatzes und hebt den rechten Arm zum Ustaša-Gruß.
Ich schaue mich möglichst unauffällig weiter um und entdeckte einen antimuslimischen Sticker am Getränkekühlschrank im Hauptraum des Lokals. Gleich daneben ein Pickerl mit einem Hakenkreuz. Aus der politischen Gesinnung macht man hier keinen Hehl.
Schräg gegenüber dem Pub der Ultras steht eine Moschee. Die Außenmauern sind besprayt mit Parolen, die man nicht gerade als Willkommensgruß an die bosnjakische Bevölkerung interpretieren würde.
Immer wieder findet sich der Schriftzug „West Mostar Crew“, auch WMC abgekürzt. Einer der Namen der Ultras-Vereinigung.
Jedes Fenster der Moschee ist mit Außengittern geschützt. An jeder Ecke hängt eine Überwachungskamera.
Man wird das Gefühl nicht los, das stehe in einem engeren Zusammenhang mit diesem Pub.
Dass dieses Lokal ein Bollwerk des Antifaschismus sei, hätte man vernünftigerweise auch nicht erwarten können. Es ist ein Extrembeispiel für die Stimmung westlich des Bulevar.
Diese Straße trennt den mehrheitlich bosnjakischen Ostteil Mostars vom praktisch „ethnisch reinen“ Westteil.
Nur, das Vereinslokal der Ultras ist ein typisches Beispiel. Die Kroaten lassen einen keine Minute lang vergessen, wer im Westen der Stadt das Sagen hat. Das Kreuz auf dem Hügel Hum gleich neben West-Mostar, ist 33 Meter hoch. Es wurde 1999 errichtet. Vier Jahre nach Kriegsende.
Die Teilung lähmt die Stadt
Überall in diesem Teil der Stadt hängen Wahlplakate der HDZ, der nationalistisch-konservativen kroatischen Regierungspartei, und ihres bosnischen Ablegers.
Das ist insofern bemerkenswert, als die Gemeinderatswahlen in Mostar im Vorjahr wieder einmal abgesagt wurden. Die lokale HDZ und die bosnjakisch-nationalistische SDA, die größte Partei in Gesamt-Mostar, konnten sich nicht einigen, wie die Wahlsprengel aufgeteilt werden, nach denen die Mandate vergeben werden.

Die Stadt hat seit acht Jahren kein verfassungsgemäß gewähltes Gemeindeparlament mehr. Der Alt-Gemeinderat regiert mehr oder weniger provisorisch.
Bürgermeister gibt es keinen. Zumindest keinen rechtmäßigen. Die Not-Budgets für die 100.000-Einwohner-Stadt sind jedes mal ein Drahtseilakt.
Mostar besteht de facto aus zwei Städten
Der Westen und der Osten haben seit dem Krieg ihre jeweils eigene Infrastruktur aufgebaut. Es gibt zwei Müllabfuhren, zwei Spitäler, zwei Stromversorgungsgesellschaften, zwei Tourismusbüros und laut einer Reportage der Neuen Zürcher Zeitung sogar zwei Telefongesellschaften.
Dass es zwei Schulsysteme und zwei Universitäten gibt, ist keine lokale Absurdität. In ganz Bosnien ist das Bildungssystem ethnisch beziehungsweise religiös segregiert.
Hier im Westen der Stadt sehen sogar die Straßenschilder anders aus und die Straßen tragen Namen kroatischer Heiliger und Könige und haben nicht selten eine nationalistische Botschaft.
Lojize Stepinac als Säulenheiliger
Eine Straße etwa wurde nach Kardinal Lojize Stepinac bekannt. Er war zu Beginn der Ustaša-Herrschaft eine Stütze der kroatischen Faschisten und distanzierte sich erst spät und halbherzig.
Der Heilige Stuhl hat Stepinac selig gesprochen als Märtyrer. Er war nach dem Krieg wegen seiner Rolle im Faschismus zu lebenslangen Hausarrest verurteilt worden. Kroatischen Nationalisten gilt er als Säulenheiliger.
Die Zagreber Innenstadt ist voll von Plakaten, auf denen seine Heiligsprechung gefordert wird. Auch in der Franziskaner-Kirche in Mostar soll regelmäßig für ihn gebetet werden. Der Kirchturm wurde nach dem Krieg neu gebaut. Er ist höher als jedes Minarett der Stadt.
„Ich krieg nicht so leicht Angst“
„Von uns geht kaum wer in den Westen“, sagt mir ein bosnjakischer Kellner im Cafe Marshall in der osmanischen Altstadt im Ostteil der Stadt. Das Cafe ist sowohl nach dem Lautsprecherhersteller benannt wie nach Tito. Seinen Namen will der junge Mann nicht in der Zeitung lesen.
„Von denen kommt auch praktisch niemand hier rüber. Die haben ja fast alle kroatische Pässe und bleiben unter sich.“ Er selbst sei einer der wenigen, der regelmäßig den Bulevar überquert.
„Ich bin dort geboren und meine Eltern leben heute noch dort. Ich besuch sie fast jeden Tag. Ich krieg nicht so leicht Angst“. Unangenehme Situationen habe es aber immer wieder gegeben. Details nennt er keine.
Objektiv scheint es wenig Anlass für die Mostarer Kroaten zu geben, sich benachteiligt zu fühlen.
Sieht man von der osmanischen Altstadt ab, ist offensichtlich, dass das meiste Geld seit dem Krieg in den Westen geflossen ist.
Es gibt weitaus weniger zerschossene Häuser im Westen. Die Fassaden wirken besser instandgehalten als im Osten. Auch die Straßen und Gehsteige sind in besserem Zustand als jenseits des Bulevar.
Unaufgearbeitete Traumata und ein schwieriges historisches Erbe
„Viele Kroaten in Mostar sind im Krieg aus ihren Heimatdörfern vertrieben worden“, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter einer internationalen Hilfsorganisation. Der Schotte lebt seit dem Krieg in Sarajevo und kämpft gegen den Nationalismus in seiner neuen Heimat.
„Das sind auch die, von denen der meiste Hass ausgeht. Die, die in Mostar geboren wurden, sind nicht so von Hass erfüllt.“
Nicht nur die unaufgearbeiteten Traumata machen laut ihm und anderen Beobachtern die Lage heikel. Was dazu kommt, ist der Wunsch vieler bosnischer Kroaten nach einem dritten Teilstaat.
Neben der serbischen dominierten Republika Srpska im Osten soll die bosnjakisch-kroatische Federacija Bosna i Hercegovina in einem bosnjakischen und einen kroatischen Teil aufgespalten werden, der in etwa die Herzegowina und einen Korridor in den Norden zur kroatischen Grenze umfassen würde.

Dazu kommt das historische Erbe. Die Herzegowina war schon in den 1930’ern Ustaša-Hochburg.
Kroatisch-nationalistische Narrative haben hier auch die Tito-Ära überdauert und waren in den 1990-ern leicht mobilisierbar.
Daraus zu schließen, dass die Mehrheit der bosnischen Kroaten verbohrte Nationalisten seien, wäre voreilig. Allerdings ist es eine Erklärung, warum der Nationalismus hier besonders offen ausgelebt werden kann.
Wenige Projekte gegen den Hass
Projekte, die den Hass überwinden sollen, gibt es wenige. Und 22 Jahre nach Kriegsende müssen viele um ihre Finanzierung kämpfen.
Der Mostar Rock School etwa sind viele internationale Sponsoren abhandengekommen. Der Bosnienkrieg ist zu lange her. Internationale Einrichtungen verlieren langsam aber sicher ihr Interesse am Land. Eine Spendenkampagne soll die Musikakademie am Leben erhalten, die nach eigenen Angaben viele Jugendliche aus beiden Teilen der Stadt erstmals zusammengebracht hat, um gemeinsam Rock zu lernen.
Eine der Kampagnen für die Mostar Rock School ist das deutsch-bosnische Bierbrauprojekt drinkforpeace.
Das Muzički centar Pavarotti verfolgt eine ähnliche Zielsetzung mit Schwerpunkt Klassische Musik. Es hat sein Programm in den vergangenen Jahren ebenfalls reduziert.
Diesen negativen Entwicklungen zum Trotz scheinen Hass und Angst kein unentrinnbares Schicksal für die Mostarer zu sein.
Die Teilung ist nicht absolut
Die Hotellerie entlang der osmanischen Altstadt im Ostteil ist auf den ersten Blick fast erstaunlich ethnisch gemischt. Viele Pensionen tragen typisch kroatische oder seltener serbische Vornamen.
„Bei uns ist es egal, wer du bist“, sagt Sanja, die Wirtin meiner gleichnamigen Pension in der Ulica Maršala Tita. Sie ist Bosnjakin. „Die nächste Pension gehört einer Kroatin“, sagt sie. „Das Grundstück, auf dem der Garten zu meiner Pension steht, hab ich von einem Serben gepachtet. Hier müssen wir zusammenhalten. Hass können wir uns nicht leisten.“
Freilich, im Westen war sie auch schon länger nicht. Was soll Sanja dort auch? Den Kroaten beim Kroatisch sein zusehen?
Dennoch: Austausch gibt es. Die bosnische Künstlerin Majda Turkić etwa hat an einer Ausstellung in einer Galerie im Westen teilgenommen. „Das war ein tolles Projekt“, sagt sie. „Mit hat es Spaß gemacht und die Leute waren wirklich offen.“
Offenheit allein wird nicht ausreichen, um aus West-Mostar und Ost-Mostar wieder eine Stadt zu machen.
Es wird gezielte Anreize brauchen, damit die Bewohner der beiden Stadtteile einander wieder täglich begegnen. Die können nur von der internationalen Gemeinschaft kommen. Die darf das Land und diese Stadt nicht länger alleine lassen.
Reportage: Max Bitter
Dieser Text ist auch in der Ausgabe 01/17 der Volksstimme erschienen.
Ein Gedanke zu “Die Geschichte zweier Städte”