Eine kleine Fluchtgeschichte

Diese Geschichte hat nicht direkt mit dem Balkan zu tun. Aber mit Umständen, die denen ähneln, denen am Balkan zehntausende Menschen unterworfen sind. Es ist die Geschichte, wie Freunde von mir unter Lebensgefahr geflohen sind.

Es ist das Jahr 1966. Die Deutsche Demokratische Republik hat ihrer Bürgerinnen und Bürger hinter dem Eisernen Vorhang und der Berliner Mauer eingesperrt. Ohne Zustimmung der Regierung in den Westen zu reisen, ist lebensgefährlich.

Hans Christian aus Schweden und Isolde aus der DDR haben sich verliebt und wollen den Rest ihres Lebens miteinander verbringen. Wo, können sie nicht frei entscheiden. Das tut die SED für sie.

Hans Christian macht den Pilotenschein. Wenige Tage vor der Flucht.

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Hans Christians schwedischer Pilotenschein

„Mehr Flugübung wäre sicher gut gewesen. Wir hatten aber keine Zeit zu verlieren. Die Stasi war Isolde bereits auf den Fersen.“

Hans Christian mietet in Wien eine Cessna. Fliegt über den Eisernen Vorhang. In die Tschechoslowakei. Kann jederzeit abgeschossen werden. Will mit Isolde „rübermachen“, wie es im damaligen Jargon heißt.

Ein erster Versuch mit dem Auto war gescheitert.

Die Stasi hatte Hans Christian am Checkpoint Charlie verhört. „Ich habe es geschafft, meine Beziehung zu Isolde zu verheimlichen. Sonst wäre ihre Flucht gefährdet gewesen“, erzählt er heute.

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Stasi-Verhörzelle (c) Hans-Christian Cars

Ein erster Versuch mit dem Flugzeug scheitert ebenfalls. Isolde taucht nicht auf.

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Hans Christian überfliegt zum ersten Mal den Eisernen Vorhang (c) Hans Christian Cars

Im zweiten Anlauf klappt es. Isolde kommt in ein westdeutsches Flüchtlingslager. Auf die Freiheit muss sie noch warten.

„Den westdeutschen Verhörleitern erschien die Fluchtgeschichte so unglaublich, dass sie Isolde verdächtigten, eine Spionin zu sein“, sagt Hans Christian.

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Isolde (c) Hans Christian Cars

Der Verdacht kann ausgeräumt werden. Isolde und Hans Christian heiraten in Schweden.

Die Geschichte macht Schlagzeilen.

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(c) Hans Christian Cars

Die Geschichte soll auch auf Deutsch erscheinen

Hans Christian und Isolde sind bis heute verheiratet. Beide haben sich in den vergangenen Jahrzehnten in außergewöhnlicher Weise für ihre Mitmenschen engagiert.

Sie haben ihre Fluchtgeschichte auf Schwedisch als Buch veröffentlicht und wollen sie auch auf Deutsch als Buch erzählen.

Um das zu ermöglichen, haben sie ein Crowdfunding-Projekt gestartet. Mit dieser Methode haben sie auch den Druck des schwedischen Buchs finanziert.

Übersetzte Auszüge und Rezensionen gibt es hier zu lesen.

Niemand soll auf einer Flucht sein Leben riskieren müssen

Vermutlich gibt es unter den Menschen, die diesen Blogeintrag gelesen haben, niemanden, der Isolde den Grund zu flüchten absprechen würde.

Keine Regierung der Welt hat das Recht, Menschen die Entscheidung zu verwehren, ob sie zusammenleben wollen und wo sie das tun wollen.

Unter meinen Leserinnen und Lesern gibt es vermutlich niemanden, der sich nicht freut, dass diese Flucht erfolgreich war.

Dass es mir genauso geht, darf als gegeben vorausgesetzt werden. Sonst würde ich diese Geschichte nicht erzählen.

Fairerweise muss man dazu sagen: Isolde und Hans Christian flüchteten aus sehr verständlichen und nachvollziehbaren Gründen.

Aber – und das soll die Legitimität der Flucht keinenfalls einschränken – glücklicherweise mussten die beiden nicht vor einem Bürgerkrieg fliehen, nicht vor Bomben auf ihre Heimat, nicht vor der Gefahr, als Sklaven verschleppt zu werden, nicht vor der Gefahr, einfach so wegen eines vermeintlich falschen Glaubensbekenntnisses umgebracht zu werden.

Im Vergleich zu den Umständen, vor denen die Menschen aus Syrien und dem Irak flüchten, auch aus Afghanistan, waren Hans Christian und Isolde privilegiert. Und haben genauso wie die Flüchtlinge heute auf der Flucht ihr Leben riskiert.

Wer Hans Christian und Isolde die Berechtigung zuspricht, zu fliehen, – und das sollte jeder anständige Mensch – muss erst Recht den Menschen in Syrien, im Irak, in Afghanistan dieses Recht zusprechen.

Und muss dafür eintreten, dass diese Menschen Schutz und Sicherheit finden. Und dass sie nicht in Lagern zwischen geschlossenen Grenzen im Dreck dahinvegetieren.

Greek authorities are struggling to provide adequate shelter as other EU countries do not provide enough aid and leave Greece to deal with the Situation on ist own. Photo: (c) Betty Martin
Greek authorities are struggling to provide adequate shelter as other EU countries do not provide enough aid and leave Greece to deal with the Situation on ist own. Photo: (c) Betty Martin
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(c) Betty Martin

Es soll nie wieder mehr ein Mensch sein Leben riskieren müssen, um in Freiheit, Würde und Sicherheit leben zu dürfen.

Das sollte uns die Geschichte von Isoldes und Hans Christians Flucht lehren.

 

 

 

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