Wenn Slowenen Kolo tanzen

Im Stadtzentrum von Novi Sad spielt eine Roma-Kapelle auf. Das Quartett aus Vladičin Han bringt den Menschen viel Freude – aber nicht nur. Eine Vignette.

Am Trg Slobode tanzt eine Gruppe Kolo zu einem Romalied, gespielt von zwei Trompeten, einer Tuba und einer Trommel.

Die Burschen halten Bierdosen in der Hand, auch beim Tanzen. Sie tragen alle das gleiche T-Shirt mit der Aufschrift Carketova Fantovščina. Die Mädchen oder jungen Frauen sind eher sportlich gekleidet.

Es sind Slowenen. Mit einer tagelangen Tour feiern sie den Junggesellenabschied eines gewissen Dejan.

Man hat Spaß zu den Klängen des Roma-Quartetts. Es ist früher Abend. Die sinkende Sonne färbt den Platz rötlich.

Eine kleine Gruppe Schaulustiger hat sich auch zusammengefunden, ein paar klatschen zu den Klängen mit.

Nach dem Kolo geht der jüngste Musiker, ein Trompeter, mit einem Schukarton durch die Menge. Auch ein paar größere Scheine landen drin, etwa ein Fünf-Euro-Schein. Für serbische Straßenmusiker ist das eine hohe Einzelspende.

Die Gruppe junger Leute ist immer noch da. Man diskutiert, ob man noch ein Lied abwarten soll. Man trinkt aus den Bierdosen.

Die Band stimmt Đurđevdan an. Oder Ederlezi, je nach Auffassung und Geschmack. Für Roma-Bands ist das sozusagen die Atombombe der Simmungsmache. Mehr geht nicht.

Spontan singen einige Novi Sader mit, die anderen klatschen.

In der Gruppe hat irgendwer ein Fläschlein Rakija dabei, das er spontan auspackt.

Als auch der Letzte am Platz ausgesungen hat, dass er nicht mit der ist, die er liebt, verabschieden sich die jungen Leute herzlich mit Handschlag von den Musikern.

Die Souvenirstandler eilen herbei. „Bitte geht jetzt. Wenn ihr hier weiterspielt, kriegen wir alle Probleme. Dann kommen das Gewerbeamt und die Polizei“.

Das Quartett geht zur Absperrung der Baustelle für die Tiefgarage und spielt dort weiter. Das sind 20 Meter. Höchstens.

„Aus Vladičin Han sind wir“, sagt mir der Tuba-Spieler. „Wir treten oft anderswo auf Hochzeiten oder Feiern auf. Und wenn wir schon unterwegs sind, auch mal auf der Straße.“

Vladičin Han ist eine Kleinstadt im Süden Serbiens mit etwa 8.000 Einwohnern, mit Umlandgemeinden sind es 21.000. Etwa 1.500 sind laut Volkszählung Roma.

Im Süden des Landes leben deutlich mehr Roma als im Norden. Dass Roma-Bands aus dem Süden in Beograd, in der Vojvodina oder auch bei Maturafeiern in Bosnien auftreten, ist nicht ungewöhnlich.

Häufig sind das auch keine Engagements sondern man macht das auf gut Glück für Bakšiš.

Musik ist eine der wenigen Nischen, in der balkanische Gesellschaften Roma allgemein akzeptieren und sogar wertschätzen.

Die Gruppe um die Musiker ist etwas kleiner geworden.

Die Musiker sind nicht die Einzigen, die auf Bakšiš aus sind

Ich gehe auf einen Kaffee.

Das Quartett hört man noch mehr als hundert Meter weiter.

Kaum habe ich mich hingesetzt, fragt mich eine sehr junge Frau mit Kleinkind am Arm, ob ich Geld für ihr Kind hätte. Sie ist sichtbar Romni.

Ich sage ihr, dass ich nichts habe. Sie fragt mich, ob ich ein Parfum brauche und hält mir einen kleinen grünen Pappkarton entgegen.

Zwei Minuten später kommt eine ältere Romni vorbei. Sie will mir irgendwelchen Tand verkaufen. Ich sage, ich brauche nichts. Sie fragt, ob ich ihr nicht ein wenig Geld geben könnte.

Ich verneine. Sie geht zum Nebentisch.

Ich nippe an meinem Espresso und zücke mein Notizbuch.

Eine weitere ältere Romni kommt vorbei und fragt, ob ich nicht etwas Kleingeld hätte.

Vor dem Lokaleingang stehen die Kellnerin und ein Kellner. Sie schäkern miteinander und rauchen eine Zigarette.

Ein höchstens Zwölfjähriger in ärmlicher Kleidung schnorrt sie um eine Zigarette an. Die Kellnerin sagt, dass sie Kindern keine Zigaretten gibt.

Er zuckt mit den Schultern und geht zielstrebig zu meinem Tisch. Man sieht mir den Ausländer an. Ausländer hier heißt: Geld.

Ob ich ihm nicht etwas Geld geben könnte, fragt er.

Nein.

Er versucht sein Glück bei einem der anderen Tische.

Auch der Bub ist Rom.

Ich bestelle einen zweiten Espresso.

Bevor ich den ausgetrunken habe, besuchen mich noch ein zweiter Bub etwa im gleichen Alter mit einer Tafel, in der er um Spenden bittet, und ein etwas jüngeres Mädchen, mit dem gleichen Anliegen. Auch sie sind Roma.

Eine der älteren Bettlerinnen probiert es ein zweites Mal.

Die balkanische Gesellschaft produziert diese Zustände

Die Bettler, die man sonst in Novi Sad sieht, sind praktisch nie Roma. Einschließlich Umlandgemeinden machen sie gerade mal ein Prozent der Stadtbevölkerung aus.

Nicht, dass es hier keinen Rassismus gebe. Aber man ist toleranter als im Süden, und vor allem reicher. Die wenigen Roma hier können sich einfacher in die Gesamtgesellschaft einfügen als etwa in Niš oder Vladičin Han, und finden leichter Arbeitsplätze.

Am nächsten Tag ist die Band aus Vladičin Han weitergezogen. Auch die Bettler sind es.

Ich vermute einen Zusammenhang zwischen dem Auftritt des Quartetts und den vielen Bettlern.

Innerhalb von allenfalls einer halben Stunde sechsmal angeschnorrt zu werden, ist nicht angenehm.

Nur, das ist ein Ergebnis dessen, wie die balkanische Gesellschaft Roma großteils behandelt. Viele Roma sehen keine Möglichkeit, zu überleben, als innerhalb der Nischen, die man ihnen lässt. Viele haben auch nie etwas anderes kennengelernt.

Das setzt freilich auch einen Teufelskreislauf in Gang. Leben innerhalb der Stereotype legitimiert die Stereotype für weite Teile der Mehrheitsgesellschaft. Nicht nur in Serbien sondern in der gesamten Region.

Besonders traurig ist, dass bis heute viele Roma-Kinder in dieses Leben sozialisiert werden. Ihnen wird jede Chance genommen, aus diesem Teufelskreislauf auszubrechen.

Diese Aspekte werden ausführlicher in mehreren Beiträgen auf diesem Blog behandelt. Wenn euch die Situation von Roma am Balkan interessiert, könnt ihr sie hier nachlesen.

Skadarlija, spätnachts.

Kind für einen Augenblick.

Nišer Straßenszene. 2019.

Von Steinen und Menschen.

Sie nannten ihn Vladi.

Zehn Hektar Kosovo.

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