Nišer Straßenszene. 2019.

Dinge, die man in Europa nicht sehen möchte. Ein Nachmittag in Niš. Der Kampf zwischen einem Kellner und drei Brüdern, im Hinter- und machmal im Vordergrund Straßenhunde. Für die Brüder geht’s ums Überleben.

In der Seitengasse der Obrenovićeva im Nišer Stadtzentrum grenzen die Schanigärten der Cafes und Restaurants aneinander.

Sie heißen Kafeterija, pleasure, Galija.

Ich sitze keine Minute im Galija, da spricht von der Gasse aus ein hagerer, auffallend hagerer, nicht ganz sauberer Junge an.

Unverkennbar ist er ein Roma-Junge. Am rechten Arm schläft ein weniger Wochen alter Welpe.

„Kannst du mir was geben“, flüstert er.

Der Wind hat für einen kurzen Moment die Wolken vertrieben. Auch unterm Sonnendach des Galija scheint mir die Sonne schräg in die Augen.

Ich wimmle den Jungen ab.

Er versucht’s beim Cafe gegenüber.

Kaum eine Minute später kommt ein Teenager, ebenfalls Rom, zu unserem Schanigarten.

„Hast du etwas Geld, damit ich mir was zum Essen kaufen kann?“

Als der jüngere Kellner des Galija herauskommt, geht er ein paar Schritte weiter.

Mit seinem Haarschnitt würde man dem Kellner sofort einen Vulkanier im Star Trek-Universum spielen lassen.

Nur die spitzen Ohren fehlen.

Die Burschen sind aus meinem Blickfeld verschwunden.

Ein Bub flüchtet vor einem Hund

Sehr viele Leute schlendern die Gasse entlang. Auffallend viele sind jung und gut gekleidet.

Ein paar Touristen sind dabei, vor allem Griechen.

Heute war Militärparade in der Stadt. Der serbische und der griechische Präsident gaben einander die Ehre.

Von hinten kläfft ein Hund. Sehr unfreundlich.

Ein weiterer Romajunge, der jüngste bisher, läuft, so schnell er kann und es die Schlenderer zulassen in Richtung Obrenovićeva.

Vor dem Wetttempel biegt er scharf rechts ab.

Der kläffende Hund ihm hinterher, die Haare aufgestellt.

Er will nicht spielen.

Die Wolken haben sich wieder vor die Sonne geschoben.

Der Kellner bringt mir eine Portion Niški Kebap.

Man könnte das Faschierte am Metallspieß auch als Schwert des Ostens bezeichnen.

Man spielt für Bakschisch

Zwei alte Roma ziehen durch die Gasse. Man hört sie von fern.

Der Größere spielt Akkordeon, der Kleinere schlägt eine Trommel.

Man spielt für Bakschisch.

Die meisten Gäste nehmen nicht mal Notiz von den beiden.

Außer Betteln, Wahrsagen und Handel mit Altmetallen und sonstigem Gebrauchtem lässt man den Roma hier praktisch nur die Musik als Nische.

Aus dem pleasure gegenüber tönt Frank Sinatra.

Der Junge mit dem Welpen ist wieder da.

Auch der Kleine, der vor dem Hund davongelaufen ist. Er trägt eine leere Box vor sich her.

Wahrscheinlich in der vagen Hoffnung, jemand möge etwas hineinlegen.

Selbiger hat sich still und heimlich in den Schanigarten geschlichen.

Er erblickt oder erriecht den Kleinen und verkläfft ihn unfreundlich.

Die Sodaflasche betritt die Szene

Der Beinahe-Vulkanier-Kellner holt eine Sodaflasche aus dem Lokal und bespritzt den Hund.

Der läuft davon.

Den Kindern, zu denen sich in der Zwischenzeit der Teenager gesellt hat, deutet er, sie sollten sich vom Acker machen.

Die drei, es sind Brüder, gehen ein paar Schritte an das Ende des Schanigartens, aus dem Blickfeld des Kellners.

Sehnsüchtig starren sie auf unsere Teller.

Die Gäste an einem Tisch sind soeben aufgestanden. Wahrscheinlich Dijaspora-Serben aus den USA. Der Mann hatte Dollarscheine dabei.

Ein paar Brocken Brot und vielleicht ein paar Stücke Fleisch liegen am Teller.

Der Beinahe-Vulkanier-Kellner kehrt diesem Tisch den Rücken zu. Er räumt einen anderen ab.

Die Drohung genügt

Der Bub mit der leeren Box sprintet zum Tisch und greift sich ein Stückchen von einem Teller.

Der Kellner hat’s gehört.

Die Sodaflasche ist noch griffbereit.

Er nimmt sie und zielt auf den Buben.

Die Drohung genügt.

Es ist Europa und wir schreiben das Jahr 2019.

Die zwei älteren Brüder stehen gerade außerhalb des Schanigartens und damit des Bannkreises des Kellners.

Als sich der Kellner umdreht, stecke ich aus Protest den Burschen alles Brot zu, das bei mir am Tisch steht und ein bisschen Geld.

„Wartet“, sage ich ihnen und deute auf meinen Spieß.

Den muss ich ihnen einpacken lassen.

Die Frau gibt dem Hund ein paar Brocken

Der Kellner ist wieder im Inneren des Lokals.

Der Bub mit dem Welpen greift sich ein paar Bissen von einem verlassenen Tisch.

Ein Straßenhund kommt in den Garten. Ein mittelgroßer schwarzer.

Er ist so abgemagert wie die drei Brüder.

Langsam macht er sich an einen Tisch, an dem ein Paar isst.

Die Frau gibt ihm ein paar Brocken. Den Kindern hat sie nichts gegeben.

Der Kellner kommt raus, ein Plastikgeschirr in Alufolie gewickelt. Vermutlich voller Essensreste.

Er gibt es dem Buben mit der leeren Box.

Der Kellner lächelt, als er sich umdreht.

Bis er den Hund sieht. Der kriegt wieder einen Spritzer von der Sodaflasche.

Er trottet weg. Die Abschreckung wird keine fünf Minuten halten.

Ich nippe an einer Rakija und warte auf die Rechnung und darauf, dass der Rest meines Kebaps verpackt wird.

Die Brüder reden mit zwei älteren Frauen am Tisch hinter mir.

Ich bezahle und nehme das Sackerl mit meinem halben Riesenkebap in die Hand.

Ich will es den Brüdern geben.

Die sind mittlerweile verschwunden.

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