Sie lassen die Nachbarn und Mitmenschen nicht im Stich

Bei den Rettungsarbeiten nach dem katastrophalen Erdbeben in der Südtürkei und Nordsyrien leisten Helferinnen und Helfer aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens einen überproportionalen Beitrag. Aus allen Nachfolgestaaten sind Hilfsteams im Katastrophengebiet, und deren Rettungsaktionen sorgten bis Freitagabend für einen Funken Hoffnung.

Sie mögen sich nicht mehr Jugoslawen nennen, sie mögen einander zum Teil misstrauisch beäugen, manche mögen jede Erinnerung an eine gemeinsame Geschichte tilgen wollen.

Aber mit Ausnahme von Azerbeidschan kommen aus keiner Region so viele Helferinnen und Helfer wie aus dem ehemaligen Jugoslawien.

Zumindest das haben sie gemeinsam: Sie lassen ihre Nachbarn und Mitmenschen nicht im Stich.

An die 650 müssen es zusammen sein, Bosnien stellt mit 140 Freiwilligen den größten Einzelbeitrag.

Genau weiß man es nicht.

In einer Liste mit den internationalen Helfern vergaß die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anatolya am Freitag auf Slowenien und Mazedonien.

Foto: Verteidigungsministerium der Republik Nordmazedonien

Im allgemeinen Chaos nach dem katastrophalen Erdbeben ein verständlicher Fehler.

Und doch einer, der schmerzt.

Immerhin retteten die Mazedonier Donnerstagabend einen fünfjährigen Buben unter besonders schwierigen Bedingungen.

Sie sorgen für einige der wenigen guten Nachrichten, die noch Hoffnung geben

Auch Freitagnachmittag waren es die Rettungseinheiten aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens, die für einige der wenigen guten Nachrichten sorgten, die es fast fünf Tage nach dem Erdbeben mit mehr als 20.000 Toten aus dem Katastrophengebiet gibt.

Eine Rettungseinheit der serbischen Feuerwehren rettete ein 17-jähriges Mädchen aus den Trümmern eines siebenstöckigen Gebäudes.

Zuvor hatten sie dort eine Frau aus den Ruinen gezogen und just, als sie mit einer Maschine begannen, die Trümmer wegzuräumen, hörten sie die Schreie des Mädchens.

Drei Stunden brauchten die Helfer, um sie zu befreien, berichtet Nova.rs unter Berufung auf das serbische Innenministerium.

Das Ministerium koordiniert den Einsatz der Freiwilligen aus Beograd, Novi Sad, Kragujevac, Užice, Valjevo, Niš und Bor.

Begleitet werden sie von Rettungshund Zigi.

Ebenfalls Freitagnachmittag retteten Helfer aus Montenegro den vierjährigen Ahmet.

Acht Stunden lang gruben sie gemeinsam mit türkischen Einsatzkräften einen Tunnel, um das Kind zu erreichen.

Für seine Mutter und ein weiteres Familienmitglied kam leider jede Hilfe zu spät, berichteten die Helfer im montenegrinischen Fernsehen.

Wie HIER berichtet, befreite eine Einheit der Bergrettung Sarajevo Novi Grad in Iskenderun einen Mann und eine Frau aus den Trümmern eines fünfstöckigen Hauses.

Mehrere Stunden zuvor hatten sie aus dem gleichen Haus ein Ehepaar und seine vier Kinder gerettet, und während der Rettung bemerkt, dass es noch Überlebende in den Ruinen gab.

„Kämpfen mit all unserer Kraft“

Es sind Nachrichten wie diese, die den Helfern aus der Türkei und der ganzen Welt die Kraft geben, weiterzumachen, auch wenn sie beinahe fünf Tage nach dem Erdbeben weit mehr Tote bergen als Lebende retten.

„Wir arbeiten und während der Boden bebt, kämpfen wir mit all unserer Kraft. Unser Ziel ist es, einen lebende Menschen zu finden, aber wenn Sie auf eine Leiche stoßen, können Sie nicht taub sein und sie ignorieren. Wir hören auf jedes Geräusch und versuchen, Leute zu finden“, sagt Davor Vidović, Leiter der serbischen Rettungseinheit, im Gespräch mit Nova.rs und spricht für wahrscheinlich alle Rettungsteams, wo sie auch herkommen mögen.

Im gleichen Gesprüch kündigt er an, dass sein Team gemeinsam mit türkischen Helfern eine Rettungsaktion für hundert Menschen in einem Geschäfts- und Wohngebäude vorbereitet.

Allerdings wird nicht klar, ob Hoffnung besteht, dass die Eingeschlossenen noch leben.

Eine große Rolle kommt Rettungshunden bei den Einsätzen zu.

Hier stellen die kroatischen Helfer einen besonders großen Beitrag.

Foto: Kroatischer Zivilschutz/Ravnateljstvo civilne zaštite MUP RH

Auch wenn auf diesem Bild „nur“ acht vierbeinige Helden zu sehen sind, sind aus Kroatien insgesamt zehn Rettungshunde samt Hundeführern im Einsatz.

Der erfahrenste Rettungshund ist übrigens der Labrador Gizmo, links im Bild. Er hat nach Auskunft des Zivilschutzes nach drei schweren Beben in Kroatien und Albanien geholfen, Überlebende zu finden.

Neben ständigen Nachbeben und der zusammengebrochenen Infrastruktur stehen die Helfer vor einem weiteren Problem.

Viele der Bewohner im Katastrophengebiet sprechen kein Englisch, berichtet Nova.rs-Reporterin Anđela Krstović aus der Provinz Hatay – wo auch, so weit ersichtlich, alle Rettungsteams aus dem ehemaligen Jugoslawien im Einsatz sind.

Auch aus Slowenien sind Einheiten des Zivilschutzes im Katastrophengebiet im Einsatz, ebenso aus dem Kosovo.

Einzelheiten über ihren Einsatz am Freitag waren zunächst nicht in Erfahrung zu bringen.

Die Helfer aus dem Kosovo retteten am Donnerstag einen Zweijährigen in der Provinz Hatay.

Hilfe nicht nur bei der Suche nach Überlebenden

Die Teams aus dem ehemaligen Jugoslawien helfen nicht nur bei der akuten Rettung.

Bosnien hat eine Katastrophenhilfeeinheit seiner Armee in die Türkei geschickt, die hauptsächlich aus medizinischem Personal besteht.

Sie sollen helfen, die zehntausenden Verletzten des Bebens zu versorgen.

Die serbischen Hilfseinheiten haben eine kleine Zeltstadt errichtet. die unter anderem auch als mobiler Einsatzstab und Logistikzentrum nicht nur für die serbischen Helfer fungiert.

Zudem erreichen zahlreiche Konvois mit Hilfsgütern aus dem Balkan aktuell oder in den nächsten Tagen das Katastrophengebiet aus der Türkei.

Einige sind Ergebnis zentraler Sammelaktionen, in der Regel organisiert vom örtlichen Roten Kreuz oder der Caritas.

Der slowenische Konvoi etwa wird von Verteidigungsminister Marjan Šarec begleitet.

Andere entspringen spontanen lokalen Initiativen, von Moscheen bis zu Sammelaktionen, die von der türkischen Dijaspora ins Leben gerufen wurden.

Spendenaktionen für die Überlebenden der Katastrophe

In Österreich ruft der ORF mit seiner Aktion Nachbar in Not zu Spenden für die Betroffenen der Katastrophe auf.

(Weitere Spendenaktionen findet ihr im Artikel vom Donnerstag.)

Der Österreichische Gewerkschaftsbund sammelt Spenden für Wiederaufbauprojekte in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften im Katastrophengebiet.

In Bosnien hat Pomozi mit seiner Spendenaktion schon mehr als 70.000 Euro gesammelt (Stand Freitagabend).

In Kroatien ruft das Rote Kreuz zu Spenden auf, ebenso das Rote Kreuz in Montenegro und das Rote Kreuz Slowenien.

In Serbien sind mehrere Spendenaktionen angelaufen, unter anderem vom Serbischen Philantropischen Forum und vom Roten Kreuz Serbien.

Zudem organisieren im serbischen und montenegrinischen Sandžak Moscheen Spendenaktionen.

In Skopje ist eine Sammelstelle für Spenden für die Erdbebenopfer eingerichtet worden, das mazedonische Rote Kreuz hat einen Spendenaufruf gestartet.

Im Kosovo hat die türkische Community eine Spendenaktion ins Leben gerufen.

Und das ist mit Sicherheit nur ein Teil der Hilfsaktionen, die alleine aus dem ehemaligen Jugoslawien für die Überlebenden der Katastrophe angelaufen sind.

Balkan Stories bittet um Verständnis, dass keine vollständigere Liste verfügbar ist.

Im Katastrophengebiet müssen zehntausende Verletzte versorgt werden, wahrscheinlich mehrere hunderttausend Menschen sind durch das Erdbeben obdachlos geworden.

Für die Versorgung dieser Menschen wird jeder Euro benötigt.

Titelfoto: Serbisches Innenministerium/MUP Srbije

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