Dieses Buch wird für Diskussionen sorgen. „Četničke postrojbe u službi Nezavisne Države Hrvatske“. „Četnik-Einheiten im Dienst des Unabhängigen Staates Kroatien“ dokumentiert erstmals, wie Četniks ganz offiziell für die und unter dem Kommando der Ustaša gekämpft haben. Die Studie könnte weniger unschuldig sein als man annimmt.
„Četničke postrojbe u službi Nezavisne Države Hrvatske“ der Historikerin Vlatka Vukelić und des Historikers Vladimir Šumanović ist schon für kroatische Verhältnisse eine kleine Revolution. Vor allem ist es die Tatsache, dass es der kroatische Schulbuchverlag Školska knjiga herausbringt. Nicht minder überraschend ist, dass beide Autoren eindeutig im rechten politischen Spektrum zu verorten sind.
Četniks sind in Kroatien auch nachvollziehbaren Gründen nicht populär. Dass die aus nicht nachvollziehbaren Gründen in Kroatien populären Ustaša im Zweiten Weltkrieg auch ganz offiziell auf sie zurückgegriffen haben, zählt nicht zu den Heldenerzählungen des Großteils kroatischer Nationalisten und Neofaschisten.
Und tatsächlich: Einheiten der serbisch-nationalistischen Četniks waren auch formal Teil der Truppen des Ustaša-Staats NDH. Das ist ein bislang wenig aufgearbeiteter Teil der grausamen Geschichte des Zweiten Weltkriegs im ehemaligen Jugoslawien.
Wie sie in das kroatische faschistische Militär integriert waren, welchen Befehlsketten sie unterlagen und wie serbische und kroatische Kriegsverbrecher miteinander im Zweiten Weltkrieg harmonierten, dokumentiert das neue Buch.
Es ist dieser Tage erschienen und hat einiges an freundlicher Aufmerksamkeit erfahren.
Etwa bei Al Jazeera Balkans, Novi List und Index.hr
Das muss man auch vor dem Hintergrund der politischen Spannungen in Kroatien sehen.
Wider den kroatischen Geschichtsrevisionismus
Rechte Parteien versuchen seit 30 Jahren, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs mit Hilfe willfähriger Historiker umschreiben zu lassen, von einer Geschichte des Völkermords und der Kollaboration mit den Nazis zu einer Geschichte des heroischen Unabhängigkeitskampfs des kroatischen Volks gegen den serbischen Nationalismus.
Sofern die Verbrechen der Ustaša nicht völlig geleugnet werden, stellt man sie als allenfalls leicht überschießende gleichsam präventive Notwehr dar.
Eine wissenschaftliche Studie über Četnik-Einheiten im Dienste des Ustaša-Staats stört diese harmonische Darstellung für die allermeisten Anhänger des neofaschistischen und nationalistischen Geschichtsrevisionismus.
Zlatko wird’s schon richten
Einem Seitenstrang dieser Bewegung wird es sicher gelingen wird, auch diese Arbeit für sich zu reklamieren.
Wenn sogar Četniks für die Ustaša gekämpft haben, kann das ja alles nicht so schlimm gewesen sein, hört man hauptberufliche Faschismusverharmloser wie den ehemaligen kroatischen Kulturminister Zlatko Hasanbegović sagen. Vorerst, fairerweise, nur im geistigen Ohr.
Der Logik dieser Leute zufolge widerlegt das glatt, dass die Ustaša in ihrem Herrschaftsbereich einen Völkermord an hunderttausenden Serben und zehntausenden Juden und Roma begangen haben.
Es ist nicht auszuschließen, dass die Buchautoren dieser Denkrichtung nahestehen.
Die Homepage von Vlatka Vukelić etwa mutet, nun ja, sehr patriotisch an. In einem dort verlinkten Interview tritt sie dafür ein, dass Kroatien den Tag des antifaschistischen Kampfes abschafft.
In ihrer Heimstadt Sisak ist sie Gemeinderatsmitglied für eine rechte Wahlliste, die von der klerikal-nationalischen HDZ angeführt wird.
Auch von Vladimir Šumanović sind öffentliche Aussagen dokumentiert, die zumindest an den Grenzen der Ausgewogenheit gehen. So bezeichnet er Jugoslawien als „totalitäres Regime“. Das würden die meisten Historiker verneinen.
Viel mehr als kroatische Nationalisten wird diese Arbeit die serbischen Kollegen von Hasanbegović stören.
Die Volten des König Aleksandar
In deren Heldenerzählung waren die Četniks antifaschistische Freiheitskämpfer.
Das ist seit Kurzem auch die offizielle politische Haltung des Regimes des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić.
In mehreren offiziellen Gedenkzeremonien hat es die Četnik den Partisanen gleichgesetzt.
Das war auch bei den bislang öffentlich aufgearbeiteten Informationen eine glatte Geschichtslüge.
Dass Četniks noch während der kurzlebigen Republik von Užice die Partisanen verrieten und gemeinsam mit den deutschen Besatzern gegen die Befreier kämpften, ist seit Jahrzehnten bekannt.
Dass sie bei praktisch jeder sich bietenden Gelegenheit mit deutschen, italienischen und kroatischen Faschisten kollaborierten, ebenso.
Ein Zeugnis für das mitunter freundschaftliche Verhältnis ist das Titelbild. Es zeigt Uroš Drenvić, General der Četniks, und einige Četnik-Offiziere, die mit einem Offizier der Ustaša und einem Offizier der kroatischen Heimwehr, der Domobrancen, anstoßen.
Das Foto ist seit langem bekannt. Es ist auch alles andere als ein Einzelfall. Das dokumentiert unter anderem diese Seite sehr gut.
Um aus den Četnik antifaschistische Widerstandskämpfer zu machen, musste man all das ignorieren.
Eine Četnik-Einheit, die auch offiziell Teil der Truppen des Ustaša-Staats NDH war, das ist eine neue Dimension.
Historikern war das seit Längerem bekannt, der Öffentlichkeit weniger.
Jetzt ist die Katze aus dem Sacke und man fragt sich, welche Volten König Aleksandar schlagen wird.
Welcher Patriot schaut schon zu, wenn hunderttausende seiner Landsleute abgeschlachtet werden?
Das fragt sich unter anderem auch das Portal Faktor.ba in seiner Rezension des neuen Buchs.
Für einen Četnik-Verehrer ist das wie die Quadratur des Kreises.
Eine Taktik, mit der sie die massenhaften Kriegsverbrechen der Četniks entschuldigt haben, war ja, dass die Četnik eine Schutzmacht der bosnischen und kroatischen Serben vor dem Völkermord durch die Ustaša waren.
Dass Draža Mihailovićs Truppen gelegentlich tausende bosnische Muslime massakrierten wie 1943 in Višegrad, wurde als allenfalls leicht überschießende Stressreaktion relativiert, wenn nicht ganz abgestritten. Für serbische Nationalisten ist es ohnehin Nebenthema.
Dass Četniks gleichzeitig offiziell Teil der Armee des Ustaša-Staats NDH waren und den Völkermord der Ustaša an den Serben bekämpften, lässt sich kaum glaubhaft vermitteln.
Wobei die Fußtruppen schon jetzt diesen Völkermord verharmlosen, damit sie den serbischen Völkermord von Srebrenica an bosnischen Muslimen im Jahr 1995 feiern können.
Es stellt auch aus serbisch-nationalistischer Sicht die Motivation der Četniks infrage.
Wie patriotisch kannst du schon sein, wenn du mit jemandem schunkelst, der vor deinen Augen hunderttausende deiner Landsleute abschlachtet?
Wie patriotisch kannst du schon sein, wenn du für ein faschistisches Großkroatien kämpfst, das weite Teile deines autoritären bis faschistischen Großserbien für sich beansprucht?
Man kann davon ausgehen, dass die eher regimenahen Medien in Serbien „Četničke postrojbe u službi Nezavisne Države Hrvatske“ eher totschweigen werden. Und sollte das nicht mehr gehen, werden sie es zerreißen.
Klar ist: Vučić will nicht, dass du das liest.
Titelbild: Wikimedia Commons
Sehr interessant – und wieder einmal ein Beispiel, wie Geschichtsmythen entstehen, gefördert werden und sich irgendwann verfestigen, Nicht nur in Jugoslawien und seinen Nachfolgestaaten. Und leider ist es nicht (nur) die schlampige Tendenz vieler Geschichtsbuchverfasser:innen, schamlos voneinander abzuschreiben, sondern oft auch massiver politischer Wille…
LikeLike