Der Atheist und die Konvertitin

Die jüdische Gemeinde in Novi Sad ist die zweitgrößte Serbiens. Ihre Synagoge fehlt in keinem Reiseführer zur Stadt. Dennoch ist das Überleben der vielfältigen Gemeinde schwierig.

Um die 20 Touristinnen und Touristen kommen aus dem Haupteingang der Synagoge raus. Ihr Stimmgewirr klingt nach Ivrit.

Eine Touristin schnappt sich den Rollkoffer, den sie vor dem Tor abgestellt hatte.

Der Synagogenführer, ein Mann Mitte 50 in Uniform eines Sicherheitswachmanns verabschiedet die Gruppe freundlich.

In Wien hätte der herr- beziehungsweise in diesem Fall herinnenlose Rollkoffer einen Großeinsatz der Polizei ausgelöst. Aus durchaus nachvollziehbaren Gründen.

Hier in Novi Sad ist es etwas entspannter.

Der Sicherheitswachmann hat ja gesehen, wer den Koffer abgestellt hat und dass die Besitzerin ebenfalls das Gebäude betreten und sich von ihm rumführen hat lassen.

Nicht einmal Metalldetektoren gibt es hier.

„Unsere Offenheit ist unser bester Schutz“, hat es einmal Jakob Finci beschrieben, Präsident der Jüdischen Gemeinde in Sarajevo.

In Novi Sad sieht man das ähnlich.

Neuer und alter Antisemitismus

Nicht, dass es überhaupt keinen Antisemitismus gebe. Mit dem Wiedererstarken der serbisch-orthodoxen Kirche nach dem Zerfall Jugoslawiens hat sich auch die alte Legende von den Christusmördern wieder verbreitet.

Als Wald- und Wiesenantisemitismus beschreibt das die Kultusgemeinde in Belgrad und sieht trotz Besorgnis ob dessen Existenz keine Veranlassung zur Angst.

Neuerdings haben auch manche der am Balkan so beliebten Verschwörungstheorien einen antisemitischen Unterton.

Der regierungsnahe serbische Boulevard unterstellt der Protestbewegung gegen Staatspräsident Aleksandar Vučić, von George Soros finanziert zu sein.

Aber die Vojvodina ist nicht Vučić-Kernland. Auch wenn seine Partei bei der Wahl zum Regionalparlament eine absolute Mehrheit einfuhr.

Umgekehrt gibt es auch Kritiker des Präsidenten, die am Stammtisch in der de facto Gleichschaltung der meisten Medien die jüdische Weltverschwörung sehen. Die stehen vereinzelt da, ihre Meinung findet sich in der Protestbewegung nicht wieder.

Eine Synagoge ohne Kippa

„100 Dinar kostet der Eintritt“, weist mich der freundliche Synagogenführer hin. Das ist nicht einmal ein Euro. „Wir müssen das leider verlangen, das ist ein wichtiger Teil unseres Budgets.“

Ich warte darauf, dass er mir eine Kippa gibt. Nichts passiert.

„Du kannst schon hineingehen.“

„Ohne Kippa? Ist das keine Synagoge mehr?“

„Wir hatten früher welche“, sagt er mit einem leichten Lächeln. „Aber die Besucher haben sie immer mitgenommen. Auch die aus Israel.“

10.000 Besucher würden jedes Jahr kommen, erzählt er mir. „Die meisten natürlich aus Israel. Aber die zweitgrößte Gruppe kommt schon aus Deutschland. Ich finde es spannend und schön, dass es aus Deutschland so großes Interesse gibt.“

Seinen Namen will er mir nicht nennen. „Ich bin doch nicht wichtig“, meint er.

Wenn er wüsste…

Das komplizierte und tragische 20. Jahrhundert

Außer mir ist ein Paar aus dem asiatischem Raum zu Besuch. Sie gehen auch zur Empore rauf, um ein paar Fotos zu machen.

Die Synagoge von Novi Sad in der Jevrevska Ulica 11, der Judenstraße, ist ein großes Gebäude. Erbaut Anfang des 20 Jahrhunderts für eine Gemeinde, die damals 4.000 Mitglieder hatte.

3.000 Mitglieder sind im Holocaust ermordet worden.

Die Eltern von Gemeindepräsident Mirko Adam haben überlebt. Der Vater konnte sich irgendwie vor den Transporten aus Budapest verstecken, wohin er Anfang des Krieges geflüchtet war. Die Vojvodina wurde nach dem deutschen Überfall auf Jugoslawien Ungarn zugeschlagen.

Die meisten Juden der Region fielen den Maßnahmen der ungarischen Pfeilkreuzler zum Opfer.

Adams Mutter und ihre Familie waren nach Rumpfserbien geflüchtet, über die Sava. Die serbische Kollaborationsregierung war weniger gründlich bei der Judenverfolgung. Weniger aus eigenem Antrieb – die Belgrader Juden wurden systematisch verhaftet und in eigene KZs gebracht und kamen von dort weiter nach Auschwitz und andere Vernichtungslager – als mehr aus dem Umstand heraus, dass es in Teilen Serbiens allgemein eher chaotisch zuging während des Krieges.

Von den 1.000 Novi Sader Juden, die den Holocaust überlebten, gingen etwa 700 nach Israel. Wie andere Staatsbürger auch durften die jugoslawischen Juden frei reisen.

Wie sie überhaupt wesentlich besser in die Gesellschaft integriert waren als in allen anderen sozialistischen und in den meisten westlichen Gesellschaften.

Religiosität wurde nicht gern gesehen im Titoismus. Aber sonst machte man keinen Unterschied nach Herkunft oder Religionsbekenntnis.

Eher sogar im Gegenteil: Dass sich 3.000 Juden im Partisanenkampf engagiert hatten, wurde offensiv gewürdigt.

Die ersten Denkmäler für ermordete Juden in Jugoslawien datieren aus den frühen 50-er Jahren.

Wenngleich mit dem kleinen Makel behaftet, dass auf den Steinen in der Regel nur von den Opfern des Faschismus die Rede ist und nicht speziell von den jugoslawischen Juden, von denen 80 Prozent dem Holocaust zum Opfer gefallen waren. Dass die Denkmäler ihnen galten, wird aus dem Kontext klar: In Novi Sad und in Sarajevo etwa stehen sie auf dem jüdischen Friedhof.

Vielleicht ist auch das mitverantwortlich, dass der Antisemitismus auch nach dem Zerfall Jugoslawiens nicht zu einem so großen Problem wurde wie in anderen ehemaligen sozialistischen Ländern.

Keine 700 Mitglieder

Heute hat die Gemeinde 680 Mitglieder, erzählt mir Gemeindepräsident Mirko Adam. „Die sind in allen Altersschichten“, sagt er. „Wir haben ein paar ganz Alte, aber eben auch etliche Jugendliche und sogar ein paar Babies.“

Die meisten stammen von ungarischen oder deutschsprachigen Juden ab.

Bis 1918 gehörte die Vojvodina mit ihrer Hauptstadt Novi Sad zur ungarischen Hälfte des Habsburgerreichs. Heute gehört etwa ein Drittel der Bevölkerung der ungarischen Minderheit an.

Daneben gibt es eine größere slowakische und eine ruthenische Bevölkerungsgruppe und kleinere Reste der früher starken deutschsprachigen Minderheit. Amtsgebäude müssen mindestens viersprachig gekennzeichnet sein, ebenso die meisten Ortstafeln.

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So wie die meisten anderen Vojvodiner ist Mirko mehrsprachig.

Jiddisch ist hier ausgestorben

Neben dem serbischen Idiom beherrscht er Englisch und Ungarisch. Das dürfte für viele andere Gemeindemitglieder ebenfalls gelten. Jiddisch freilich ist ausgestorben, sagt er. „Es hat noch einige alte Holocaustüberlebende gegeben, die es konnten. Die haben es aber den Jüngeren nicht beigebracht.“

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Von sich selber sagt der 70-jährige Mirko, ein ehemaliger Fernsehjournalist: „Ich bin Atheist. Aber ich bin auch stolzer Jude“. Die meisten seien nicht sehr religiös meint er. Aber es gibt auch eine Konvertitin: „Sie war eine christliche Serbin. Nachdem sie in einer Theateraufführung Anne Frank gespielt hat, ist sie nach Israel gegangen und dort zum Judentum konvertiert.“

Vom Atheist zur Konvertitin eint die Gemeindemitglieder, dass sie das jüdische Leben in Novi Sad erhalten wollten und das reichhaltige jüdische Erbe Jugoslawiens und Serbiens bewahren.

Gerade die Vojvodiner Juden können einiges vorweisen. Mit Ivan Ivanji kommt einer internationalen bekanntesten Schriftsteller Jugoslawiens und Serbiens aus der autonomen Provinz. Er hat Buchenwald überlebt und schildert das in seinem Roman Schlussstrich. Jahrzehntelang war er Titos Übersetzer. Sein Sohn Andrej ist bekannter Journalist bei der kritischen Zeitschrift Vreme. Wie der Vater veröffentlicht er auch auf Deutsch.

Vermietung sichert finanzielles Überleben

Auf einer Bühne vor Thoraschrein und Birma sind einige Sessel und Mikrofone aufgebaut. Morgen Abend wird hier ein Konzert aufgeführt.

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„Bei uns ist mehrmals im Monat was los. Komm vorbei, wenn du Zeit hast“, meint der freundliche Portier/Synagogenführer/Sicherheitswachmann.

Auch damit ist die jüdische Gemeinde zu einem wichtigen Bestandteil des kulturellen Lebens von Serbiens zweitgrößter Stadt geworden.

Sie bietet einen Rahmen für vielfältige Kulturveranstaltungen mit sehr niedrigem oder gar keinem Eintrittsgeld. Die Mieten aus den Veranstaltungen bilden neben Spenden vorwiegend aus Israel und Deutschland das finanzielle Rückgrat der Gemeinde.

Von den knapp 80.000 Euro Eintrittsgeld im Jahr lässt sich die große Synagoge kaum erhalten. Von den sonstigen Aktivitäten der Kultusgemeinde ganz zu schweigen.

„Wir arbeiten alle ehrenamtlich, nur ein Mitarbeiter bekommt ein kleines Anerkennungsgeld“, sagt Gemeindepräsident Mirko. Aber auch ohne Gehälter kosten Kinderbetreuungsgruppen, Chor und Tanzgruppen sowie Sozialprojekte Geld.

Eine Gemeinde mit nicht einmal 700 Mitgliedern kann das nur eingeschränkt finanzieren.

Dass die Synagoge für allgemein zugängliche Kulturveranstaltungen vermietet wird, hilft nicht nur mit dem Geld. Es macht auch deutlich, dass die Juden zu Novi Sad gehören wie Novi Sad zu ihnen.

Diese Offenheit könnte auch in Zukunft der beste Schutz sein, den sich die Gemeinde vorstellen kann.

Diese Reportage erschien zuerst auf der Seite Die Jüdische.

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