In Zagreb geschieht Außergewöhnliches: Die Namen von zumindest vier Ustaša sollen aus dem Stadtbild verschwinden. Vier nach ihnen benannte Straßen werden umbenannt. Die klerikalnationalistische HDZ leistet keinen Widerstand.
Wenn Ivo Goldstein von einer positiven Überraschung spricht, hat das Gewicht.
Er ist einer der prominentesten Zeithistoriker Kroatiens und findet lobende Worte, dass die Filip Lukas-, die Vladimir Arko- , die Antun Bonifačić- und die Ivan Šarić-Straße im Zagreber Bezirk Peščenica in den nächsten Monaten oder vielleicht Wochen umbenannt werden sollen.
Filip Lukas, Vladimir Arko, Antun Bonifačić und Ivan Šarić haben nicht nur gemeinsam, dass nach ihnen Straßen in der kroatischen Hauptstadt benannt sind.
Vor allem waren alle vier Unterstützer des Ustaša-Regimes des so genannten Unabhängigen Staates Kroatien (Nezavisna Država Hrvatska, NDH) unter Ante Pavelić im Zweiten Weltkrieg.
Goldstein und der ebenfalls prominente Historiker-Kollege Hrvoje Klasić hatten sich dafür eingesetzt, die Straßen nach weniger anstößigen Menschen zu benennen.
Noch Anfang Februar hatte die Bezirksverwaltung angekündigt, man sei ja irgendwie schon dafür, das Ganze werde sich aber in die Länge ziehen, weil, was würden denn die Leute denken, und die müsse man jedenfalls befragen.
Dass man sie nicht gefragt hatte, als nach der kroatischen Unabhängigkeit in den 1990-ern in Bausch und Bogen Straßen und Plätze umbenannt wurden – und häufig nach Ustaša-Größen -, geschenkt.
Es gab einen kleinen Aufschrei unter den anständigen Kroaten, und der scheint gewirkt zu haben.
Anfang der Woche ließ die Bezirksverwaltung bekanntgeben: Die Straßen werden umbenannt, und das so schnell wie möglich.
Das berichtet die Zeitung Jutarnji List.
Und, vielleicht noch überraschender für kroatische Verhältnisse: Im Bezirksparlament hatten alle Abgeordneten für die rasche Umbenennung gestimmt – einschließlich derer der klerikalnationalistischen HDZ.
Das ist man nicht gewohnt in Kroatien.
Wo die HDZ einflussreich ist, werden Kirche und Kroatentum gestärkt, und jede Erinnerung an Jugoslawien und den antifaschistischen Befreiungskampf getilgt.
So wurde etwa der Trg maršala Tita in Zagreb umbenannt, der Platz des Marschall Tito – auf Initiative des revisionistischen Historikers und früheren Kulturministers der HDZ, Zlatko Hasanbegović.
Und erst im November des Vorjahres berichtete Balkan Stories über die Anzeige gegen Velimir Meničanin aus Jakšič.
Der hatte am Dan Republike, dem Jahrestag der Neugründung Jugoslawiens im Zweiten Weltkrieg, die jugoslawische Fahne gehisst. In Kroatien ist das nicht verboten. In seiner Heimatgemeinde hat die HDZ eine absolute Mehrheit im Gemeinderat.
Nach diesen Ustaša-Sympathisanten sind die Straßen benannt
Nach wem sind diese vier Straßen benannt?
Filip Lukas war Schriftsteller und Publizist. Seit den späten 1920-ern propagierte er ein stramm nationalistisches Weltbild mit Blut-und Boden-Ideologie.
Nach Einschätzung von Historikern trugen seine Arbeiten bei, das Klima zu schaffen, in dem der Völkermord gegen Serben, Juden und Roma im Ustaša-Staat NDH möglich wurde.
Dem Völkermord fielen nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 4- und 700.000 Menschen zum Opfer, der Großteil Serben.
Lukas wurde wegen seiner Unterstützung für den NDH nach dem Krieg in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Er floh und starb 1958 in Rom.
Vladimir Arko war einer der führenden Industriellen im Königreich Jugoslawien und belieferte nach 1941 Ustaša, italienische Besatzer und Wehrmacht mit den Produkten seiner Zagreber Fabrik.
Als er im Juni 1945 wegen Kollaboration verhaftet werden sollte, beging er Selbstmord.
Online verfügbare Lexikon-Einträge und Kurzbiografien Arkos enden ausnahmslos damit, dass er Ende der 30-er Präsident der jugoslawischen Handelskammer wurde. Seine Tätigkeiten im Ustaša-Staat NDH werden auffälligerweise überall verschwiegen.
Lediglich sein Tod wird lapidar vermerkt.
Antun Bonifačić war kroatischer Schriftsteller und brachte es im NDH zum Mitarbeiter für kulturelle Beziehungen im Außenministerium und zum Vizepräsidenten der kroatischen Schriftstellervereinigung.
1945 floh er nach Brasilien. Im Exil engagierte er sich für die neofaschistische Vereinigung HOP, die von Ante Pavelić als Nachfolgeorganisation der Ustaša gegründet worden war. Er starb 1973.
Ivan Šarić war der katholische Erzbischof Sarajevos. Er kollaborierte mit den Ustaša, zu deren Marionettenregime auch Bosnien gehörte.
Unter anderem formulierte er mehrere schwärmerische Gedichte zu NDH-Führer Ante Pavelić, unter anderem eine „Ode an den Führer“.
Šarić unterstützte nach Einschätzung mehrerer Historiker die Verfolgung von Serben im NDH, die im Völkermord mit mehreren hunderttausend Opfern mündete. Ausdrücklich begrüßte er, dass Serben zwangszweise zum Katholizismus konvertiert wurden.
Dazu, dass die Ustaša und die Nazis 80 Prozent der Juden Sarajevos ermordeten, fand er kein Wort – und duldete antisemitische Publikationen eines seiner Untergebenen, die den Völkermord als gottgewollt rechtfertigten.
In seiner Unterstützung für das Regime ging Šarić deutlich weiter als Alojzije Stepinac, der Erzbischof und spätere Kardinal von Zagreb.
Šarić floh 1945 nach Österreich. Die Briten ließen ihn unbehelligt, aber unter Aufsicht, im Bischofspalast der Diözese Gurk-Klagenfurt leben. Von dort emigrierte er über die Schweiz nach Spanien. Dort starb er 1960 im Bett.
Kein Beschluss über neue Straßennamen
„Arko, Šarić, Lukas und Bonifačić spielten wichtige Rollen in der NDH und unterstützten das Ustascha-Regime mit ihren Aktionen. Solche Leute sollten keine eigenen Straßen haben und Ehrlich gesagt hoffe ich, dass dies der Beginn der De-Ustašisierung des öffentlichen Raums in Zagreb und Kroatien ist“, sagt Historiker Ivo Goldstein gegenüber Jutarnji List.
Wie die vier Straßen heißen sollen, die nach diesen Ustaša-Sympathisanten benannt sind, ist offenbar nicht beschlossen.
Die Letztentscheidung liegt beim Zagreber Gemeinderat.
Der hat seit den Gemeinderatswahlen 2021 eine deutlich liberale Mehrheit. Die klerikalnationalistische HDZ erhielt nur 11 Prozent der Stimmen.
Man darf vermuten, dass das erst ermöglicht hat, dass die Namen von vier Ustaša-Sympathisanten aus der Öffentlichkeit verschwinden.
Vorerst bleibt die Entfaschisierung in Teilen Zagrebs eine Zwischenstation der kroatischen Politik.
Dass zumindest diesmal nicht einmal die HDZ hinhaltenden Widerstand geleistet hat, darf man vorsichtig optimistisch als gutes Zeichen sehen.
Das grenzt an ein Wunder. 😳 Freut mich.
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