Sarajevo Pride, das Projekt einer Künstlerin gegen die Blut- und Boden-Rhetorik der politischen Eliten nicht nur am Balkan, das Leugnen des Völkermords von Srebrenica, ein Industrieunfall in Banja Luka und der Kampf eines Vaters, dass der Mord an seinem Sohn aufgeklärt wird. Facetten eines Kampfes, der nur gemeinsam geführt werden kann. Die Performance „Pure Blood“ der bosnischen Künstlerin Smirna Kulenović führt die Stränge zusammen.
Zwei Kilometer ist die Blutspur lang, die die bosnische Künstlerin Smirna Kulenović im Industriegebiet Incel in Banja Luka zieht.
Auf ihren Knien. Zuerst mit einer Bürste. Danach mit bloßen Händen.
Zwei Kilometer „reines Blut“, wie die Aktion heißt. PURE BLOOD. ČISTA KRV.
Natürlich ist es Kunstblut. Den Gestank echten Blutes hätte niemand ertragen.
Nichtsdestotrotz: Die Farbe, die hier vergossen wird, steht für das „Reine Blut“, das politische Eliten beschwören.
Sie tun es nicht nur in Bosnien. Und es sind nicht nur Rechtsradikale, die mehr oder weniger offen heile Abstammungslinien gegen „wilde Zuwanderung“ und die Verlockungen der Moderne beschwören.



Blut und Boden sind wieder in. Wer nach Nation und Rasse schreit, fährt Wahlerfolge ein.
Smirnas Aktion ist ein Aufschrei gegen diese Zustände.
Ausgelöst durch die so genannte Flüchtlingskrise und eine Umweltkatastrophe.
Die Flüchtligssituation hat sich in den vergangenen Monaten in Bosnien zugespitzt.
Hunderte Flüchtlinge wurden auf einer ehemaligen Mülldeponie quasi entsorgt (siehe HIER), Hilfe kam vor allem durch den deutschen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten Dirk Planert (siehe HIER) und Menschen aus dem Westen, die durch die Berichterstattung aufgerüttelt wurden (siehe HIER).
In Banja Luka, der Hauptstadt des serbisch dominierten bosnischen Teilstaats Republika Srpska (RS) mobilisiert man ebenfalls gegen Geflüchtete.
In Banja Luka, it is currently even legally forbidden to help these people, and the system treats them exactly as the “dirty” blood that shouldn’t “pollute” the city centers of some “civilized” country. The borders on the other side are being kept by soldiers who even started shooting at refugees. This is not only the case here, but also in many European countries.
Smirna Kulenović auf ihrer Homepage
Vergiftetes Blut
Das ist auf sehr tragische Weise ironisch.
Hat doch kapitalistische Gier das Blut der Arbeiter gerade von Banja Luka im wahrsten Sinn des Wortes verunreinigt.
Banja Luka has recently been hit by an ecological disaster by spilling poisonous perylene in the Incel industrial zone, and it has been revealed that the workers themselves are poisoned, because their blood contains huge amounts of toxic metals.
Smirna Kulenović
Betroffene Arbeiterinnen und Arbeiter versuchen sich, gegen die Zustände zu wehren.
Und haben sich mit Smirna und ihrer Aktion solidarisiert.
Sie haben es ihr ermöglicht, ihre Installation im Industriegebiet Incel durchzuführen.
Und hätten auch großes Interesse daran gezeigt, schreibt sie.
Vertuschtes Blut
Dass die Aktion nicht im Stadtzentrum von Banja Luka durchgeführt werden kann, hat mit einem anderen Strang des Kampfes gegen die herrschenden Zustände zu tun.
Versammlungen und öffentliche Aktionen sind in der Stadt de facto verboten. Mit diesem Schritt will die Polizei die Bewegung Pravda za Davida unterdrücken.
Sie fordert die Aufklärung des Mordes an David Dragičević im Vorjahr.
Die Bewegung wurde zur größten Protestbewegung in Bosnien seit dem Krieg.
(Für Hintergünde zu Pravda za Davida, siehe HIER)
Smirnas Aktion ist ebenfalls Protest gegen die politischen Zustände der RS.
Verleugnetes Blut
Serbische Kriegsverbrechen in Bosnien herunterzuspielen oder zu leugnen ist nach wie vor sozusagen Staatsräson dieses bosnischen Teilstaats.
Daneben spielen die Machthaber regelmäßig auf der Angst-Klaviatur. Die Serben in Bosnien seien bedroht, reden sie den Menschen ein, nur die Abspaltung der RS vom dysfunktionalen Gesamtstaat sei eine Rettung.
The genocide reoccurs in this negation and creation of the image of a war criminal as a hero – as new generations in Bosnia (mostly in Republika Srpska) now grow up with similar fascist and Nazi ideas. Because of this, I wanted to show an „apocalyptic“ vision of the future, which unfortunately at the moment also a represents a realistic image of a situation we pretend not to see completely, leading the entire world to complete destruction. Both of us and the ecosystems we inhabit.
Smirna Kulenović

Man kann es drehen und wenden, wie man will.
Egal, gegen welche Facette der herrschenden Zustände man kämpft – es ist unweigerlich der gleiche Kampf.
Erfolgreich kann er nur sein, wenn das die wichtigsten Akteurinnen und Akteure begreifen. Und den Kampf gemeinsam führen.
Smirnas Aktion und Tijanas Analyse (siehe HIER) können und sollten viele Menschen dazu bringen, wenigstens darüber nachzudenken.
Alle Fotos stammen von Smirna Kulenovićs Homepage. Fotos vom Boden: (c) Predrag Milašinović. Drohnenaufnahmen: (c) Dalibor Danilović.