Sie sind aus dem gesamten deutschsprachigen Raum gekommen: 4.000 Menschen haben der ex-jugoslawischen Kultband Bijelo Dugme auf ihrem einzigen Österreich-Konzert an der Wiener Stadtgrenze zugejubelt. Für ein paar Stunden lebte der Traum von einem gemeinsamen Erbe wieder auf. Eine Spurensuche.
Es ist Sašas erstes Konzert überhaupt. Der 37-Jährige ist aus dem Schweizer Aargau angereist. „Ich freu mich seit Jänner darauf. Da hab ich auf Whatsapp die Nachricht mit dem Ticket von einer Freundin gekriegt“.
Sein Hemd mit dem weißen Knopf, dem Logo von Bijelo Dugme, deren Name übersetzt eben Weißer Knopf ist, am Rücken hat er eigens anfertigen lassen. „Ich kenn die Musik schon aus der Kindheit“, erzählt er strahlend.
Auch zwei Menschen, über die dieser Blog berichtet hat, sind hier: Amel Salihbašić, Autor eines der umfangreichsten Reiseführer zu Bosnien bislang, und Flüchtlingshelfer Renato Čiča. Bijelo Dugme ist aus seiner Heimatstadt Sarajevo.

Die Pyramide in Vösendorf ist voll. 4.000 Menschen warten auf Bijelo Dugme. Eine Band, die sich 1989 aufgelöst hat.

Ticketverkauf durch Community-Kanäle
Organisiert wurde der Massenandrang sozusagen unterhalb des Radars deutschsprachiger Medien. Für mitteleuropäische Vorstellungen gab es gerade mal eine Handvoll Verschleißstellen, meist in Balkan-Clubs- und Lokalen in Wien, Graz und Linz und einigen Läden.
Poster? Werbung im öffentlichen Raum? Außerhalb der Viertel mit hoher Balkan-Community-Dichte unsichtbar.
„So funktioniert das generell in der Balkan-Dijaspora“, schildert der Autor und Journalist Robert Rigney, der aus Berlin zu diesem Konzert angereist ist. Er ist auch Co-Autor dieses Blogs.
Fikret Vukalić, Chef des Konzertveranstalters Fantom, organisiert effizient.
Die Dramaturgie der Verzögerung
Wie groß der Mythos Bijelo Dugme ist, zeigt sich darin, dass die Band erst eine Stunde nach dem offiziellen Konzertbeginn um 21 Uhr auf die Bühne kommt. Das kann nur eine Gruppe, die sich ihrer Wirkung auf die Fans sehr sicher ist.
Das Warten facht die Ungeduld an, steigert die Erwartung, lässt zappeln, sorgt dafür, dass die 4.000 hier nach jedem Ton gieren, der von der Bühne kommt.
Das kalkulierte Hinauszögern hat Methode heute abend. Was zur Dramaturgie eines jeden guten Konzerts gehört, wird heute Nacht auf die Spitze getrieben, steigert meisterhaft die Stimmung auf den Höhepunkt zu.
Das ist vor allem Bregas Werk. Goran Bregović, Gründer der Band aus Sarajevo, hat die westliche Vorstellung von Balkanmusik so geprägt wie niemand sonst. Auch heute ist er unverkennbar der Arrangeur einer Show, die beinahe orgiastische Züge trägt.
Eine Blasmusik-Kapelle in wohl von serbischer Tracht inspirierter Kleidung schreitet durchs Publikum, bereitet die Bühne für den Großmeister der Balkanmusik auf. Sie sind Teil von Bregas eigener Band.
„Das ist unsere Kultur“
Rebekas Augen glänzen, als Brega im roten Anzug die Bühne betritt. „Das ist eben unsere Kultur“, sagt sie.
Wie ihre Freundinnen Anja und Magdalena kam sie auf die Welt, als es Bijelo Dugme lange nicht mehr gab und Jugoslawien der Geschichte angehörte.
Die Mädchen sind in der Vojvodina geboren und leben heute bei Wiener Neustadt in der Nähe von Wien.

Noch ist Brega allein mit seiner Kapelle und einem Drummer. Mit „Bella Ciao“ setzt er einen ersten kleinen Höhepunkt.
Als er vor dem Publikum steht, scheint es, als würden Jahrzehnte von ihm abfallen. Der 65-Jährige mag früher gelenkiger gewesen sein. Allein, sein Lächeln ist nach wie vor burschenhaft, wirkt manchmal fast spitzbübisch.
Von der Brega- zur Bijelo Dugme-Show
Es beginnt wie eine Brega-Show und kurz fragt man sich, ob das Revival von Bijelo Dugme nicht eher Marketing-Gag ist, um ihn in Szene zu setzen.
Die Zweifel verschwinden, als Alen die Bühne betritt. Alen Islamović, der letzte Sänger von Bijelo Dugme, der dem größten Erfolg der Band seine Stimme gegeben hat: Dem Album Ćiribiribela. Hier steht Bijelo Dugme auf der Bühne.
Alens charakteristische Mähne ist heute Geschichte. Hier steht ein gesetzter Mann mit Schnurrbart, charmant, leichtfüßig, fröhlich, ohne Bregas manchmal kalkulierte Verspieltheit.
Die Rollenverteilung zwischen beiden ist perfekt. Fast, als sei nicht ein Jahrzehnt vergangen zwischen dem letzten Revival der Band. Das gipfelte in einem der größten Konzerte einer einzelnen Band aller Zeiten mit 250.000 Zuhörern im Hipodrom in Beograd.
Die beiden changieren zwischen Rocknummern der Band und folkloristischem, von dem nicht alles aus Bijelo Dugme-Zeiten stammt sondern aus Bregas Repertoire.
Ein Phänomen verstehen
„Für uns ist das wie Schlager“, sagt Muhamed, der aus Marijin Dvor stammt, einem Stadtteil von Sarajevo. Heute lebt er in Kapfenberg in der Steiermark.

„Nein, das ist Rock“, widerspricht Lejla vehement. Sie ist gemeinsam mit Muhamed und ihrer Schwester Zerina gekommen, die drei teilen Wurzeln und heutigen Wohnort.
Auch diese drei sind Post-Bijelo-Dugme.
„Ich steh auf die Musik“, erzählt Lejla. „Das hab ich noch bei meinen Eltern gehört. Uns erinnert das an die Jugoslawien-Zeit.“
Wer das Phänomen Bijelo Dugme verstehen will, kommt um dieses gemeinsame Erbe wohl kaum herum.
Die Band war vermutlich die erfolgreichste Jugoslawiens. Sie steht wie nur wenige andere Sänger oder Formationen aus der Epoche für ein Gemeinsames, das es nicht mehr gibt ( (c) Majda Turkić).
Der Traum der supra-ethnischen Popkultur hat die Band, den Zerfall des Landes und den Krieg überdauert.
Retrospektiv lieferte Bijelo Dugme den Soundtrack für den letzten Sommer Jugoslawiens, für unbeschwerte Party vor dem langen, kalten Winter, in den der Sommer nahezu nahtlos überging.
Vor allem das letzte große Album, Ćiribiribela, in dem sich Jugo-Rock und Roma-Folklore mischen, stand schon damals in heftigem Kontrast zur Wirtschaftskrise und den nationalistischen Spannungen, die sich zu dem Zeitpunkt aufzuschaukeln begannen.
Auch das Bier folgt dem Narrativ
„Heute kommen alle zusammen: Serben, Bosnier, Kroaten, meine Freundin ist aus Mazedonien. Das ist wieder Jugoslawien, da sind wir wieder zusammen. Weißt du, damals war die Hälfte der Leute gegen den Krieg. Aber die Scheiß-Leute da oben…“, sagt Saša.
Auch das Bier, das heute in rauen Mengen verkauft wird, spielt mit dem Narrativ. Es heißt Balkan Bier, mit dem Untertitel: „Beer Without Nation“. Gebraut wird es nicht am Balkan sondern in der Steiermark.
Die Kellnerinnen und Kellner an den Bars in der Halle kommen streckenweise kaum nach mit dem Verkauf. Laufend muss von draußen nachgeliefert werden.

Es ist Schwerarbeit und nur bei den großen Nummern, deren Texte die Menge auswendig mitsingen kann, können diese Leute ein wenig durchatmen. Da bestellt garantiert niemand ein Bier.
Freilich wäre es es unfair, die Band auf eine politische Botschaft zu reduzieren, die so möglicherweise auch erst im Rückblick herbeikonstruiert wird.
Das hieße, zu vergessen, dass Bijelo Dugme auch großartige Musik geschaffen hat. In wechselnder Besetzung brachte man es auf knapp 20 Alben.
Die Menge tanzt, schwitzt, schunkelt stehend, schmeißt die Arme in die Höhe, singt mit.
Auftritt Tifa
Mit gewollter Verspätung ist Tifa auf die Bühne gekommen, Mladen Vojičić. Er ist der Rocker unter den drei Stars und vielleicht auch der Poet.
Tifa lächelt nicht. Er hört sich rein in die Texte, gestikuliert, vollzieht den Inhalt nach, schauspielert.
Er ist der Einpeitscher, Alen der Charmeur, Brega der Verführer.
Die Regie dieser Nacht scheint wie eine einzige sexuelle Metapher. Die Band als der versierte Liebhaber, der die Geliebte zum gemeinsamen Höhepunkt führen will und den Weg dorthin möglichst lange hinauszögert, um den Genuss zu steigern.
Schnelle Nummern heizen die Stimmung an, dazwischen wirken langsamere Balladen wie das zärtliche Streicheln, das die Lust am Leben erhalten soll und gleichzeitig verhindern, dass sich der Höhepunkt vorzeitig einstellt.
Ein kalkulierter, leidenschaftlicher Höhepunkt
Als Alen Ćiribiribela anstimmt, zeichnet sich der Klimax langsam ab. Die Menge johlt, aufgerissen von einer beginnenden Ermattung, die sich nach mittlerweile beinahe zwei Stunden Genuss eingestellt hat (unterbrochen durch deine beinahe einstündige Pause).
Mit „Hajdemo u planine“ nähern sich Band und Publikum der Extase. Fast gibt es kein Halten mehr, fast befürchtet man, vor Begeisterung den geplanten Höhepunkt nicht mehr zu erleben.
4.000 tanzen, johlen, gröhlen, singen, gestikulieren, steigern sich in einen Wirbelwind der Emotion.
Leise, fast schüchtern, klingen ein paar Töne der Blasmusik an. Kalkulierte Verspieltheit im klassischen Arrangement Bregas kündigt die Extase an, auf die Publikum und Band seit zwei Stunden hinarbeiten.
Pfeifen, Johlen, Klatschen, Jubeln, Hüpfen, Drängen.
Alen setzt ein.
„Proljeće na moje rame slijeće
Đurđevak zeleni
Đurđevak zeleni
Svima osim meni…“
Frauen, Männer, Jugendliche, Kinder singen aus voller Kehle mit, wirbeln tanzend umeinander, beinahe derwischhaft, Burschen reißen sich die T-Shirts vom Leib.
Dessen Zeuge man hier wird, kann man nur mit den Worten von Elias Canetti aus „Masse und Macht“ beschreiben: Als Entladung.
„In der Entladung werden die Trennungen abgeworfen und alle fühlen sich gleich. In dieser Dichte, da kaum Platz zwischen ihnen ist, da Körper sich an Körper presst, ist einer dem anderen so nahe wie sich selbst. Ungeheuer ist die Erleichterung darüber.“
Đurđevdan heißt die Nummer. Ein Roma-Lied, das Brega für den Emir Kusturica-Film “Dom za vešanje/Zeit der Zigeuner” auf Serbokroatisch arrangiert hat. Kein Lied der Rock-Band Bijelo Dugme ist bekannter als dieses.
Wenn man sich fragt, ob beinahe orgiastische Extase sich steigern lässt, liefern diese drei Minuten den Beweis.
Beim Refrain fallen die letzten Hemmungen.
„Evo zore evo zore
Bogu da se pomolim
Evo zore evo zore
Ej Đurđevdan je
A ja nisam s onom koju volim.“
Nicht einmal Zugabe verlangt das Publikum, als die letzten Silben verklingen.
Es ist das Lied, nach dem keines mehr gespielt werden kann.
Zwischen Höhepunkt und Ermattung verlässt Bijelo Dugme triumphierend die Bühne.
„Das beste Konzert, das ich je besucht habe“
Vor dem Haupteingang setzt eine Roma-Blasmusikkapelle ein. Sie spielen für Bakschisch.
Bleibt man der sexuellen Metapher treu, ist das das Nachspiel, die postkoitale Liebkosung, während sich die Menge verläuft, auf Taxis wartet, die Autos holt, in Busse einsteigt, die sie nach Wien bringen werden, nach Wiener Neustadt, Kapfenberg, in den Aargau, nach Zagreb.
„Das war wahrscheinlich das beste Konzert, das ich je besucht habe“, sagt Robert, als sich die ex-jugoslawische Dijaspora in alle Winde zerstreut, nachdem sie für einen Abend lang einen Traum gefeiert hat, das Gemeinsame, das es nicht mehr gibt.