Nach einem Herbst der Gastfreundlichkeit überbietet sich die heimische Politik in Überlegungen, wie sie Flüchtlinge abschrecken oder wenigstens zurückweisen kann. Für tausende freiwillige Helferinnen und Helfer ist das ein Schlag in die Magengrube. Entmutigen lassen sie sich nicht. Einer, der weitermachen will, ist Renato Čiča von der Bürgerinitiative „We HELP Refugees“.
„Dass die Regierung eine Obergrenze für Flüchtlinge einführen will, das war ein schwerer Schlag“. Renato Čičas Gesicht verzieht sich kurz.
Man weiß nicht, ob das den ehemaligen Flüchtling und nunmehrigen Flüchtlingshelfer Renato so aufbringt oder den Sozialdemokraten Renato, der damit hadert, dass die eigene Partei die Beschlüsse mitgefasst hat. Oder ob sich beides sinnvollerweise voneinander trennen lässt.
„Ich versteh schon, dass Österreich nicht die Probleme der ganzen Welt lösen kann. Aber Hilfesuchende nach irgendeiner Kennzahl an der Grenze zurückweisen, das geht nicht. Da muss es andere Lösungen geben.“
Beeindrucken oder gar einschüchtern lässt sich Renato nicht von den jüngsten Entwicklungen, die in immer absurderen Vorschlägen gipfeln. „Wir werden die Arbeit von We HELP Refugees jedenfalls fortsetzen“.
Die Bilder weckten Erinnerungen
Es waren die Bilder des Frühsommers, die Renato aufgerüttelt haben. Bilder von Menschen, die in der Ägäis ertrinken. Bilder von Menschen, die an Grenzen ausharren, ob ein Leben in Sicherheit möglich ist.
„Da musste ich daran denken, wie ich 1991 hierhergekommen bin“.
Renato Čiča
Der damals 16-Jährige ist aus seiner Heimatstadt Sarajevo nach Wien geflohen, wenige Wochen, bevor die ersten Schüsse fielen.
„Meine Frau hat sofort gemerkt, dass ich unruhig bin“, schildert er, wie es ihm um Juni 2015 ging. „Mir war klar, da muss ich was tun“.
50 Tonnen Hilfsgüter als erster Schritt
In der ex-jugoslawischen Community sammelte er mit Freunden Hilfsgüter für das Projekt „Flüchtlinge helfen Flüchtlingen“. 50 Tonnen kamen inklusive seines Beitrags zusammen. Die sollten entlang der Flüchtlingsroute verteilt werden.
„Den meisten war sofort klar, worum es da ging und wir haben mitgemacht. Wir, die damals fliehen mussten, wissen, worum es geht.“
Bei der Aktion machte Renato die Erfahrung vieler freiwilliger Helferinnen und Helfer: Spenden sammeln geht schlecht ohne Logistik. „Ich hab zwar eine große Wohnung, aber das hätte ich bei mir unmöglich untergebracht.“
Renato organisierte innerhalb kürzester Zeit ein Parteilokal der SPÖ im 16. Wiener Gemeindebezirk als Zwischenlager, bevor die Spenden dem Arbeitersamariterbund übergeben wurden. „Die haben die bessere Logistik und mehr Erfahrung als wir“.
Kurz darauf ein Hilfseinsatz an der österreichisch-slowenischen Grenze in Spielfeld, im September eine weitere Hilfslieferung an ein Flüchtlingslager in Slavonski Brod, auf der kroatischen Seite der Sava, die in diesem Abschnitt Kroatien und Bosnien voneinander trennt.
100 Tonnen waren es bei dieser Lieferung. Die kamen zusammen, obwohl er bei einigen Bekannten aus der ex-YU-Community auf verschlossene Herzen und Brieftaschen stieß.
Diesmal waren auch Freiwillige dabei, die beim Verteilen halfen, Dolmetscherdienste anboten. Und Transportkapazitäten. „Da kamen natürlich meine Sprachkenntnisse zu Hilfe“, sagt Renato.

Andere Hilfstätigkeiten ergänzt
Mit solchen Einsätzen haben Renato und seine Mitstreiter die Tätigkeiten tausender österreichischer Flüchtlingshelferinnen- und helfer ergänzt, die vor allem an der österreichischen Grenze und wie die Initiative Train Of Hope den größeren Bahnhöfen dafür gesorgt haben, dass Flüchtlinge zu essen und trinken hatten und menschenwürdig versorgt wurden, als staatliche Einrichtungen mit der Aufgabe überfordert waren.

„Damals hab ich zeitweise 48 Stunden lang nicht geschlafen“, erinnert er sich an eine anstrengende Zeit.
Der Winter hat eine Verschnaufpause gebracht. Es kommen deutlich weniger Flüchtlinge als im Herbst.
Breiteres Spektrum geplant
Diese Zeit nutzt Renato, das Spektrum einer Bürgerinitiative zu verbreitern: „Natürlich werden wir weiter Akuthilfe betreiben. Gleichzeitig werden wir denen, die da sind, bei der Integration helfen.“
Das wird von Hilfe beim Deutschlernen reichen bis zu „Willkommensausflügen“ durch Wien und Umgebung: „Wenn man mit Orten in seiner Umgebung eine Geschichte verbindet, tut man sich viel einfacher, sich in der neuen Heimat zurechtzufinden und zu integrieren“, sagt Renato. „Da bemühen wir uns gerade, eine Kooperation mit den Naturfreunden aufzustellen.“
Auch bei der Berufsorientierung will die Initiative helfen.
Ein echter Wiener
Renato will mit diesen Aktivitäten einen Beitrag leisten, um Menschen einen so guten Start in ein neues Leben in Sicherheit zu haben, wie er ihn hatte. Auch wenn nicht alles umsetzbar ist.
„Ich bin 1991 in die Berufschule Ugostiteljsko Turistička gegangen und habe Kellner gelernt. Damals hatte man eine gute Chance, sich mit dem Beruf ein solides Leben aufzubauen“. Daran konnte er in Wien nicht anknüpfen. „Aber ich hatte das Glück, dass mein Vater schon wegen der Arbeit hier war. Damit hatte ich eine Bezugsperson und auch ein Dach über dem Kopf.“
Auch die Stadt kannte er gut. Renato hatte als Kind drei Jahre die Schule in Wien besucht und familiär einen starken Bezugspunkt. In gewisser Weise kann man kaum ein echterer Wiener sein als er.
„Meine Großväter haben beide zeitweise hier gearbeitet und waren gute Freunde. So hat mein Vater auch meine Mutter hier in Wien kennengelernt, als er hier gearbeitet hat, in Jugoslawien haben sie geheiratet.“
„Ich habe eine soziale Ader“
Ein weiteres Betätigungsfeld der Bürgerinitiative trägt deutlich Renatos Handschrift: „Wir wollen uns auch um Menschen mit Behinderung kümmern“, sagt er. Eine Initiative für Behinderten-Handball im 15. Wiener Gemeindebezirk hat er schon gegründet.
Auch das kommt nicht von ungefähr: Heute arbeitet Renato als Behindertenbetreuer und macht gerade eine längerfristige Fortbildung. „Ich hab halt eine soziale Ader“, sagt er. Wichtige Unterstützung kommt von seiner Frau. Auch sie ist im Sozialbereich tätig.
Wichtigstes Element bei der Mobilisierung bleibt Facebook. Daneben greifen die Aktivistinnen und Aktivisten von „We HELP Refugees“ auch auf persönliche Netzwerke zurück.
Innerparteiliche Diskussionen
Bei Renato sind das in starkem Ausmaß Menschen, die er über die Wiener SPÖ kennengelernt hat: „Das sind engagierte Menschen aus vielen verschiedenen Bereichen. Das ergänzt sich.“
Nicht zu vergessen, dass der Schwenk der Partei in der Flüchtlingsfrage von weiten Teilen der Wiener Landespartei nicht mitgetragen wird. Dass sich Spitzenvertreterinnen wie Stadträtinnen Sonja Wehsely und Sandra Frauenberger öffentlich gegen die Obergrenzen für Flüchtlinge positionierten, kam für sozialdemokratische Verhältnisse beinahe einer Revolte gleich.
Ungeachtet seines eigenen Ärgers über die Regierungspläne steht für Renato das Hilfsprojekt im Vordergrund.
Das andere Österreich
Dass die öffentlich artikulierte Stimmung nach dem Herbst der Gastfreundschaft gekippt ist, hat ihn nicht verunsichert. Wenn das etwas bei ihm bewirkt hat, ist es die Überzeugung, dass gerade jetzt etwas getan werden muss.
Das „andere Österreich“, jener Teil der Bevölkerung, der aktiv gegen Fremdenhass vorgeht, lebt noch, so scheint es. Vielleicht gerade jetzt, wo es am notwendigsten gebraucht wird.

Es hat viele Gesichter. Das der berühmten Flüchtlingshelferin Ute Bock etwa. Das der ehemaligen ORF-Korrespondentin Susanne Scholl. Das der Flüchtlingshelferinnen Carina Hohberger und Verena Kapeller. Das der Künstler Andre Heller und Alfons Haider. Oder das eines bosnischen Flüchtlings mit kroatischer Staatsbürgerschaft namens Renato Čiča.
Diesem anderen Österreich steht in den nächsten Monaten sein vielleicht härtester Kampf bevor. Aufgeben wird es nicht. Eines der Zeichen dieses Kampfs wird die Initiative „We HELP Refugees“ sein.
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