Historisches Plakat zum Internationalen Frauentag. Urheberschaft nicht nachvollziehbar.

Ein widersprüchliches Bild

Der 8. März, der Internationale Frauentag, war im ehemaligen Jugoslawien eine große Sache. Das hat sich in abgespeckter Form bis heute erhalten. Sieht man die Situation von Frauen in Ex-Jugoslawien heute an, ergibt sich ein widersprüchliches Bild.

So sehr ich mich auch anstrenge, unter all den Dutzenden Frauen aus dem ehemaligen Jugoslawien, die ich in meinem Leben kennengelernt habe, fallen mir bestenfalls ein, zwei Hausfrauen ein.

Dass Frauen selbstverständlich arbeiten gehen, ist eine gesellschaftliche Norm, die Sozialismus und Land überdauert hat und bis heute in den Nachfolgestaaten existiert.

Das war auch zu einer Zeit so, als das im Westen nicht selbstverständlich war. Wenn ich an die weiblichen Mitglieder meiner durchaus großen weiteren Familie denke, blieb knapp die Hälfte der Frauen bei den Kindern.

Über die Berufstätigen tuschelten die zu Hause bleibenden Frauen der Nachbarschaft, die könnten wohl den Hals nicht voll genug kriegen. Und, überhaupt, die armen Kinder.

Die Frauen in den jugoslawischen Familien, die wir damals kannten, hatten alle Arbeit. Nicht alle hatten eine Vollzeitstelle, aber sie hatten bezahlte Stellen, manche auch weit unter ihrer Qualifikation in der Heimat. Ein ungerechtes Schicksal, das sie freilich mit den Männern teilen mussten und bis heute müssen.

Interessanterweise kann ich mich nicht erinnern, dass ihnen damals jemals wer nachgesagt hätte, sie seien schlechte Mütter, gierig oder was weiß ich. Es war einfach selbstverständlich, dass sie einen Arbeitsplatz hatten und das wurde – zumindest in meiner Erinnerung – auch von den Einheimischen nicht infrage gestellt.

Wo der Westen bis heute lernen kann

Das hatte natürlich auch mit Migration zu tun. Für viele war es – auch durch die Dequalifikation – eine Notwendigkeit, arbeiten zu gehen um den Lebensstandard zu erreichen, dessentwegen sie ausgewandert waren.

Nur, es hatte auch sehr viel mit den Erfahrungen daheim zu tun. Die Gläserne Decke in Jugoslawien war, wie in allen sozialistischen Staaten, deutlich höher als im Westen. Frauen leiteten Kliniken, waren geachtete Wissenschaftlerinnen, Facharbeiterinnen in Fabriken.

Ein dichtes Netz an Kinderbetreuungseinrichtungen sorgte dafür, dass sie nach der Geburt eines Kindes möglichst früh zurück an den Arbeitsplatz konnten.

Diese Erkenntnis setzt sich in westlichen Ländern erst heute langsam durch.

Hier wie damals in den sozialistischen Ländern geht es nicht nur darum, Frauen mit dieser Strategie ökonomische Unabhängigkeit zu erlangen sondern auch darum, ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung zu haben.

Bis heute hängt die Gläserne Decke für Frauen in Ex-Jugoslawien höher als hierzulande, allen Versuchen eines gesellschaftlichen Roll back in praktisch allen Nachfolgestaaten zum Trotz, der vor allem zu Lasten von Frauen geht.

Ein Fall von Vetternwirtschaft

Interessanterweise bezeugt das auch einer der jüngeren bosnischen Skandale um Vetternwirtschaft.

Gleichsam durch eine wundersame Fügung des Schicksals stellte sich Sebija Izetbegović als beste Kandidatin um die Leitung der Universitätsklinik in Sarajevo heraus. Sie ist die Frau von Bakir Izetbegović, dem bosjnakischen Mitglied des bosnischen Staatspräsidiums und Vorsitzenden der größten bosnjakischen Partei SDA.

Vermutlich nichts mehr als einer der unwahrscheinlichen Zufälle der an unwahrscheinlichen Zufällen nicht armen Geschichte öffentlicher Postenbesetzungen in Bosnien.

Die öffentliche Kritik war mehr als deutlich. Hinweise auf Sebija Izetbegovićs mangelnde bis nicht vorhandene Erfahrung in medizinischen Leitungsfunktionen blieben nicht aus, ebensowenig wie der öffentlich geäußerte Vorwurf der Vetternwirtschaft.

Was man von Kritikern nicht vernehmen konnte, waren sexistische Untertöne, wie sie in vergleichbaren Debatten in Österreich bis heute nicht ausbleiben.

Dass eine Frau Leiterin einer der führenden bosnischen medizinischen Einrichtungen sein könnte, schien auch in der konservativen bosnischen Gesellschaften niemanden zu stören. Nur, dass es diese Frau sein sollte, mochten viele nicht hinnehmen und lieferten gute Argumente für ihren Standpunkt.

Gleichberechtigung endet am Fabrikstor bzw. der Bürotür

Außerhalb des Arbeitsplatzes sieht’s eher düster aus mit der Gleichberechtigung. Bis heute.

Um den Haushalt haben sich immer die Frauen gekümmert, berufstätig hin oder her.

Das war bei österreichischen Familien in den 80’ern auch nicht anders. Nur hat’s in der österreichischen Gesellschaft in den vergangenen 30 Jahren zumindest teilweise Fortschritte gegeben.

Man mag bei der Hausarbeit und Kinderbetreuung nicht einmal annähernd davon sprechen, dass die Männer die Hälfte der Arbeit übernähmen. Aber sie tun wenigstens ein bisschen. Nicht toll, aber immerhin etwas.

Am Balkan und bei vielen Familien mit Balkanwurzeln hierzulande scheint das nicht angekommen zu sein.

Bei den meisten Familien, zu denen ich eingeladen bin, machen es sich die Männer zu einem Gespräch mit mir im Wohnzimmer gemütlich.

Kaffee und Getränke serviert nahezu unveränderbar die Frau. Sie kommt meist ein bisschen später mit Keksen, räumt irgendwann ab, wäscht ab und findet in einer glücklichen Minute auch ein wenig Zeit, zur Gesprächsrunde zu stoßen.

„So sind die Dinge eben bei uns“

Und beim Fortgehen?

Ein vielleicht krasses, aber nicht atypisches Beispiel.

Cafe Tito, Sarajevo, am Dan Mladostih 2015.

Ich stehe neben einer Gruppe junger Leute, wir plaudern ganz nett. Neben mir eine sehr hübsche Turniertänzerin Anfang 20, die auch schon eine nationale Meisterschaft gewonnen hat.

Ganz stolz zeigt sie mir ihren Verlobungsring.

Neben ihr nimmt ein Mann Ende 20 Platz.

Er rückt den Hocker eng an sie heran. Legt den Arm um ihre Lehne. Lehnt sich selbst nahe zu ihr hin. Redet auf sie ein.

Meine erste Vermutung: Wahrscheinlich ihr Verlobter. Dass Verlobte zusammen fortgehen, soll ja vorkommen. Lassen wir die Turteltauben allein.

Nur, irgendwas passt an ihrer Körpersprache nicht. Sie sinkt auf ihrem Barhocker zusammen. Wirkt seltsam unbeteiligt.

Als er sich erleichtern geht, frage ich sie, ob das ihr Verlobter sei. „Nein“. Kennt sie ihn? „Nein.“ Fühlt sie sich wohl bei dem, was er tut? „Nein“.

Warum tust du dann nichts, frage ich. „Was soll ich denn tun? So sind eben die Dinge bei uns.“

Niemand greift ein

Auch keine ihrer vier oder fünf Freundinnen, alle keine drei Meter von ihr entfernt, haben versucht, den aufdringlichen Typen zu verscheuchen, der sie ganz offensichtlich belästigt.

Bevor er kommt, rücke ich seinen Hocker etwas weiter weg, stelle mich dazwischen. Ein menschlicher Puffer, sozusagen. Abstand schaffen. Das macht’s ihm zumindest schwerer, ihr weiter auf die Pelle zu rücken. Könnte eine Frau genauso gut tun wie ich. Dazu braucht man wahrlich kein Held zu sein.

Kein anderer sonst tut es. Dass niemand es mitbekommen hat, ist unvorstellbar. Die meisten in unserer unmittelbaren Umgebung müssen das schon aus rein sprachlichen Gründen besser bemerkt haben als ich.

Eine junge Frau, die sich nicht traut, bei einem Mann, der Grenzen überschreitet, Nein zu sagen, das gibt es leider wahrscheinlich immer und überall.

Erst vor wenigen Wochen hab ich eine ähnliche Situation in Wien erlebt.

Aber: Die Chance, dass in Wien jemand einschreitet, der das mitbekommt, halte ich für erheblich höher als am Balkan. (Dafür kann’s dort schnell heikel werden, wenn der Mann die Grenzen einer Frau überschreitet, deren Freund/Verlobter/Mann zufällig dabei ist. Das hat aber nichts mit einem Bewusstsein für Frauenrechte zu tun.)

Ich kann mich in diesem Punkt irren und hoffe es.

Nur, als ich meiner lieben Freundin Selma die Sache schildere, sagt sie beinahe resignierend, solche Vorfälle seien in Ex-YU durchaus normal.

Das hat mein Bild von den starken Balkan-Frauen ziemlich zurechtgerückt.

Ein unbegreiflicher Widerspruch

Glücklicherweise kenn ich auch viele von denen. Ich könnt jetzt sozusagen Name dropping machen, aber dann würde dieser Eintrag vermutlich doppelt so lang, als er ohnehin schon ist.

Ich hab diesen Widerspruch bis heute nicht wirklich begriffen: Frauen, die ökonomisch unabhängig sind und trotzdem Geschlechterrollen leben, wie sie in westlichen Gesellschaften in den vergangenen 30 Jahren zumindest hinterfragt wurden und sich glücklicherweise ein wenig auflösen.

Die Frauen in den Nachfolgestaaten dessen, was einmal Jugoslawien hieß, haben von den unbestreitbaren Fortschritten in den Gesellschaft in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft denkbar wenig gehabt.

Das Auseinanderbrechen des Landes hat nicht nur Krieg und Armut gebracht, von denen sich weite Landstriche bis heute nicht erholt haben. Es hat auch den gesellschaftlichen Diskurs auf andere Ebenen verlagert.

Weg von der Möglichkeit des Fortschritts, hin zu konservativ geführten Fragestellungen der nationalen Selbstdefinition, der nationalen Abgrenzung.

Stillstand ist Rückschritt

Die Rechte der Frauen blieben auf der Strecke. Vielfach zehren sie bis heute von den Errungenschaften des ehemaligen Jugoslawien bis Ende der 1980-er. Fortschritte gab es seitdem so gut wie keine.

Nach wie vor gilt in den meisten Nachfolgestaaten das alte, relativ liberale, Abtreibungsrecht.

In Kroatien etwa ist es stark unter Beschuss geraten. Von katholischer Seite steigt der Druck auf Ärzte, keine Schwangerschaftsabbrüche mehr vorzunehmen.

Mit dem Rechtsruck durch die neue HDZ-geführte Regierung ist nicht ausgeschlossen, dass das alte Gesetz bald offiziell zur Disposition steht.

Das wäre ein schwerer Schlag für Frauenrechte.

Ähnliches könnte in den aktuellen politischen Konstellationen auch in Serbien oder Bosnien drohen. Die Lage in Mazedonien ist ohnehin unübersichtlich. Das lässt mich umso mehr hoffen, dass es an diesem Internationalen Frauentag große Demonstrationen in allen Nachfolgestaaten gibt. Gründe genug gebe es ja leider.

Hoffentlich ein kleiner Fortschritt

Ich hoffe, zumindest bei der jungen Frau im Cafe Tito auch einen kleinen Beitrag geleistet zu haben, dass sie ihre Rechte artikuliert.

Nachdem ihr Belästiger halbwegs neutralisiert war, haben wir länger geredet, warum sie sich eine derartige Anmache gefallen lässt.

Nun hatte das auch für mich damals einen eigenartigen Beigeschmack, dass ich als Mann – und privilegierter Westler zumal – einer Frau erklären soll, dass sie Rechte hat und dass sie selbstverständlich darauf bestehen darf, dass die respektiert werden.

Und dass dazu eben auch das Recht gehört, Nein zu sagen und dass ein Mann dem gefälligst Folge zu leisten hat. Aber sonst hatte das ja offensichtlich keiner gemacht.

Sie scheint länger darüber nachgedacht zu haben, nachdem wir uns anderen Gesprächspartnern zugewandt haben.

Als sie das Lokal verließ, hat sie mir zum Abschied gesagt: „Danke dafür, was du mir gesagt hast.“

Wollen wir hoffen, dass sie’s auch in die Tat umsetzt.

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