Jeder sechste Arbeitnehmer in Österreich darf hierzulande nicht wählen. In Wien ist es jeder Dritte. Unter Wiener Arbeitern ist es sogar die Mehrheit. Die Republik macht es den Menschen bewusst schwer, die Staatsbürgerschaft zu bekommen. Ein kleiner Rant zum 1. Mai.
„Ich würd ja gern Österreicherin werden. Aber wie soll ich mir das leisten können?“
Margona stellt kurz den Staubsauger beiseite und blickt mich an.
Als kleines Kind ist die mazedonische Albanerin nach Niederösterreich gekommen. Das ist 30 Jahre her.
Seit mehr als 20 Jahren arbeitet sie, aktuell als Reinigungskraft in Vollzeit.
Bis zu 2.000 Euro an Gebühren kosten allein die Behördenvorgänge auf österreichischer Seite, um die Staatsbürgerschaft zu bekommen.
Dazu Nebengebühren wie für Deutschprüfungen.
Wer Österreicher werden will, muss nachweisen können, dass er oder sie Deutsch auf mindestens dem Niveau B1 beherrscht.
140 Euro kann die Prüfung je nach Bundesland kosten.
Und dann Kosten, wenn man Dokumente aus dem Heimatland beglaubigt übersetzen lassen muss – das kommt auch vor, wenn man die gleichen Dokumente schon hundert Mal für das Visum vorgelegt hat.
In Summe kommt man da nicht nur im Einzelfall auf 3.000 Euro – oder fast zwei mittlere Monatseinkommen in diesem Land.
Das geht sich mit dem Gehalt einer Reinigungskraft nur schwer aus. Vor allem jetzt, wo Mieten und Strompreise in die Höhe schnellen.
Margona ist da alles andere als ein Einzelfall.
Samir ist Bauarbeiter in Wien und kommt usprünglich aus Zenica in Bosnien.
Auch ihn halten vor allem die hohen Kosten ab, die Staatsbürgerschaft zu beantragen.
„Ich leb auf 40 Quadratmeter, die Wohnung kostet mittlerweile mehr als 650 Euro“, erzählt er mir, als ich ihn überzeugen will, doch endlich die Staatsbürgerschaft zu beantragen.
Immerhin lebt Samir länger in Wien als ich und aus meiner Sicht ist es ein Skandal, dass ich schon bei den Gemeinderatswahlen über ihn bestimmen kann.
Und er halt nix zu sagen hat.
In Österreich ist er noch nicht ganz so lange wie ich, das macht es aber auch um keinen Deut besser, dass ich bei Bundeswahlen über ihn bestimme, genauso wie ich über Margona bestimme.
Oder über Dragan, der aus Ostserbien hierher gekommen ist. Auch er ein Bauarbeiter wie Samir.
Dragan hat mit seiner Frau zwei Kinder.
Wenn sich die ganze Familie einbürgern lassen will, sind wir schnell jenseits der 5.000 Euro bei den Gesamtkosten.
Weder Margona, noch Samir noch Dragan werden aller Voraussicht nach in ihrem Leben noch irgendwo anders leben als in Österreich.
„Integrieren“ sollen sie sich, dazugehören nicht
Sie halten mir ihrer Arbeit das Land am Laufen.
Steuern sollen sie zahlen, an die Regeln sollen sie sich halten, alle paar Jahre ihre Visa von unwilligen Behörden – und gegen Gebühr – verlängern lassen, und sich auch sonst „integrieren“, wie es ihnen mittlerweile alle Parteien im Nationalrat bei jeder passenden und noch lieber unpassenden Gelegenheit nachrufen, mal höhnisch, mal mit paternalistischer Überheblichkeit, versteckt hinter esoterischem Exotismus. Oder auch mal einfach blöde, weil eh keiner mehr weiß, was „integrieren“ noch heißen soll.
Nur dazugehören sollen sie nicht.
Und wenn die SPÖ in einem der wenigen lichten Momente der vergangenen Jahrzehnte fordert, dass ein normaler Mensch doch bitte auch vernünftige Möglichkeiten haben soll, Staatsbürger zu werden, tönt es von rechts des gesunden Menschenverstandes, die österreichische Staatsbürgerschaft sei doch keine Ware sondern eine Auszeichnung.
Wer macht denn die Staatsbürgerschaft zur Ware?
Liebe und vielmehr unliebe schwarze Innenminister – und sehr unlieber blauer Innenminister – der vergangenen 23 Jahre: Wer ist denn verantwortlich, dass man die Staatsbürgerschaft nur bekommt, wenn man sie sich kaufen kann?
In anderen Worten: Wer macht denn die Staatsbürgerschaft zur Ware?
Ihr, ihr seid es.
Ihr habt die geltenden Staatsbürgerschaftsgesetze samt Gebührenordnung ausgearbeitet.
Ihr verkauft die österreichische Staatsbürgerschaft.
Und sonst niemand.
Ihr sorgt dafür, dass ein großer Teil der Arbeiter in diesem Land nie eine Chance hat, Staatsbürger zu werden.
Jener Leute, die dieses Land am Laufen halten.
Und da red ich noch gar nicht von den diversen sonstigen Auflagen, die ihr in regelmäßigen Abständen verschärft.
Ihr, liebe und vielmehr unliebe rechte Innenminister der vergangenen 23 Jahre bringt mit dieser Politik die Verachtung eurer Parteien gegen die arbeitenden Menschen zum Ausdruck.
„Leistung muss sich wieder lohnen“. Von wegen.
Von wegen „Leistung muss sich wieder lohnen“.
700.000 Arbeiter und Angestellte mit ausländischer Staatsbürgerschaft leisten in diesem Land Tag für Tag.
Im Spital, auf der Baustelle, an der Supermarktkassa, im Büro.
Und dann noch mal so viele Menschen, die noch in die Schule gehen oder studieren, oder die meist Jahrzehnte hier geleistet haben und jetzt in Pension sind.
Die Meisten von denen haben so gut wie keine Chance, jemals Staatsbürger zu werden.
Das, und nur das, wollt ihr mit eurer Politik.
Seien wir uns ehrlich, um Migration geht’s euch mit dieser Masche auch nur zweitrangig.
Rechts des gesunden Menschenverstandes ist man im Allgemeinen – aber nicht in jedem Einzelfall – ein bisschen bis ein bisschen sehr rassistisch, und manchmal auch fast nur rassistisch.
Aber Rassismus ist außer für die ganz Jenseitigen unter Euch vorwiegend Mittel zum Zweck.
Je mehr Arbeitern man das Wählen verbieten kann, desto weniger wird sich etwas ändern.
Desto mehr verschiebt man die politische Macht zugunsten der Besitzenden. Für diese Leute macht ihr Politik.
Die ungerechten Gesetze schaden nicht nur der mehr als einer Million unmittelbar Betroffener. Sie schaden allen Menschen, die nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft.
Darum geht es hier.
Das wollt ihr.
Darum spielt ihr die einen Arbeiter gegen die anderen mit euren rassistischen Parolen aus.
Tragisch genug, dass viele darauf hereinfallen.
Noch tragischer, dass die liberal angehauchten Parteien da schon längst mit ihren liberalidentitären Parolen mitmachen.
Identitätspolitik ist nichts als praktizierte Verachtung gegenüber der Masse der Menschen, und vor allem gegenüber den werktätigen Massen.
Ob von rechts oder vermeintlich links kommend, ändert nichts an der Sache.
Das, freilich, ändert nichts daran, wer die eigentliche Verantwortung trägt für diese Gesetze.
Daran sollte man am 1. Mai deutlich erinnern.
> Darum spielt ihr die einen Arbeiter gegen die
> anderen mit euren [rassistischen] Parolen aus.
Wie auch in jedem Krieg. 🤬
LikeLike