Moris Albahari ist tot. Wie die jüdische Gemeinde in Sarajevo mitteilte, starb der beliebte Bürger der bosnischen Hauptstadt vor wenigen Tag im 93. Lebensjahr. Er war einer der letzten Ladino-Sprecher in Bosnien. Seine Sprachkenntnissen verdankt die Besatzung eines abgeschossenen US-Bombers im Zweiten Weltkrieg ihr Leben.
Man kann kaum ermessen, wie groß die Lücke ist, die der Tod von Moris Albahari nicht nur in der jüdischen Gemeinde von Sarajevo hinterlässt sondern für das kulturelle Gedächtnis der Stadt darstellt.
Kaum jemand kannte die Geschichte der jüdischen Gemeinde der Stadt so gut wie er, kaum jemand teilte sie so bereitwillig.
Onkel Moco nannten sie ihn in der jüdischen Gemeinde und der ganzen Stadt.
Der Holocaust-Überlebende war einer der Letzten in ganz Bosnien, die Ladino bzw. Judaeo-Spanisch sprachen, die Sprache der Sephardim.
Bis zum Zweiten Weltkrieg hatte Sarajevo eine große sepharische Gemeinde, die über Jahrhunderte tief in der Stadt verwurzelt war. Unter anderem prägte sie die für Sarajevo typische Musikrichtung Sevdah mit.
Ihre Sprache Ladino war in der Baščaršija Lingua Franca.
Bis zu 30 Prozent der Stadtbevölkerung sollen vor dem Zweiten Weltkrieg Ladino gesprochen haben. Der Anteil der Sephardim lag damals bei ungefähr zehn Prozent.
(Ashkenazim waren vorwiegend nach der Okkupation Bosniens durch Österreich-Ungarn 1878 in die Stadt gekommen, ihre Gemeinde war etwas kleiner als die sephardische.)
Die Sprache war die Seele der Stadt.
Mit Albaharis Tod ist diese Seele weiter verglimmt.
Es gibt bestenfalls noch eine Handvoll Menschen, die sie sprechen. Sie sind zu alt, um sie noch zu unterrichten.
Wie Ladino mehr als ein Leben rettete
Die Sprache rettete Moris Albahari das Leben. Und machte ihn zum Lebensretter.
Als Elfjähriger konnte er 1941 aus einem Zug in ein Vernichtungslager fliehen. Mit Hilfe von Ladino konnte er sich mit einem italienischen Besatzungsoffizier verständigen, der ihm die weitere Flucht in von Partisanen kontrolliertes Gebiet ermöglichte.
1944 traf er auf die Besatzung eines abschossenen US-Bombers. Der Pilot war spanischstämmig. Albahari und er konnten sich verständigen. Der Jugendliche brachte die Crew in Sicherheit.
Susanna Zaraysky und Bryan Kirschen haben das in ihrem Film „Saved By Language“ dokumentiert.
Mehr über diese außergewöhnliche Dokumentation könnt ihr HIER erfahren.
Mit dem Tod von Moris Albahari ist nicht nur Sarajevo ein Stück ärmer geworden.
Wir alle sind es.
Möge dir die Erde leicht sein.
Titelfoto: N1
Einen Nachruf auf Moris Albahari mit zahlreichen Hintergrundinformationen findet ihr HIER.
Danke für die Erinnerung und die Nachricht.
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