Der Straßenhund Medo begrüßt Menschen in Grbavica, Sarajevo

Eine Mahala trauert um ihren Liebling

Der beliebteste Einwohner des Stadtteils Grbavica in Sarajevo ist einem Verkehrsunfall zum Opfer gefallen: Eine unachtsame Autofahrerin hat Medo getötet. Der 14-jährige herrenlose Hund war von der gesamten Nachbarschaft adoptiert worden. Seine Menschen standen ihm auch im letzten Moment bei.

Als Medo reglos auf der Straße lag, gab es für die Einwohner von Grbavica kein Zögern, heißt es in örtlichen Medienberichten. Sofort wurde er ins nächste Auto verladen und zum Tierarzt gebracht.

Allein, ein Auto hatte ihm zuvor das Rückgrat gebrochen. Eine unachtsame Fahrerin war auf den Gehsteig vor einem Geschäft gefahren, der Medos Lieblingsplatz war. Sie hatte ihn übersehen. Der 14-jährige Avlijaner war nicht mehr zu retten.

„Er starb einen sehr schmerzvollen Tod“, schildert Ena, eine Anrainerin.

Die Mahala, wie die Stadtviertel in Bosnien heißen, trauert um ihren Liebling. Manche Einwohner beschreiben ihn als das liebenswerteste Wesen in Grbavica.

Am größten ist die Trauer wohl im Cafe Papagaj.

In dem kleinen Lokal an der Ulica Grbavička 14c hatte Medo seinen fixen Platz. Zoran, der Besitzer, organisierte über Jahre Geldsammlungen, wenn der Hund etwas benötigte. Vor allem, wenn er zum Tierarzt musste.

Hier durfte Medo in kalten Nächten auch schlafen.

Medo war der Hund Aller

Das Papagaj war sozusagen das Zentrum von Medos Revier. Besitzer hatte er keinen. Er gehörte in gewisser Weise allen Bewohnern der Nachbarschaft. Die fütterten ihn auch, und ein Bewohner machte regelmäßig Spaziergänge mit ihm.

Mehrere Versuche, ihn zu adoptieren, scheiterten, schreibt Ena aus Sarajevo, die Medos Geschichte gut kennt. „Er hat es immer wieder geschafft, auszureißen und lag dann wieder auf dem Gehsteig vor dem Geschäft, auf seinem Lieblingsplatz.“

Er hatte auch ein gutes Gespür, wer in welchen Block gehörte, und wer nicht. Wenn ein Fremder in der die falsche Wohngegend kam, konnte er den durchaus verbellen.

So geschah es mir 2016.

Medo passte auf auf seine Menschen. So wie sein Namensvetter in Podgorica.

„Er war sein sehr guter Wachhund. Auf Kinder hat er besonders gut aufgepasst.“ Angegriffen hat er nie jemanden. Sein Bellen reichte, um Bedrohungen zu verscheuchen.

Wenn er wusste, dass ein Ort sozusagen öffentlich war, war er der liebenswerteste Hund von allen.

Gern war er auch auf der Vilsonova.

Von dort aus unternahm er auch Ausflüge auf die andere Seite der Miljacka. Fotos zeigen ihn, wie er am Gehsteig vor dem SCC sitzt.

Und wenn er immer ein Grbavicer blieb – und als solcher wohl ein echter Željezničar-Fan -, spielte er sich auch in Marjin Dvor in die Herzen der Menschen.

So trauern weit über Medos Mahala hinaus die Menschen um Medo, der keinem und allen gehörte. In Tierfreundegruppen auf Facebook posten viele Menschen Fotos, die sie von dem zotteligen Streuner gemacht haben.

(Alle Bilder der nachfolgenden Galerie mit freundlicher Genehmigung der Facebook-Gruppe Av Mau Sarajevo, vor allem von Administratorin Amela Turalić.)

Sarajevo hat ein Problem mit seinen Autofahrern

Die Betroffenheit über das Ableben Medos hat freilich nicht nur damit zu tun, dass viele Menschen den Hund kannten und liebten.

Sarajevo hat ein Problem mit seinen Autofahrern.

Immer wieder fahren alkoholisierte, unachtsame oder rasende Fahrer Menschen tot. Gerade auf den Straßen entlang der Miljacka, die auch zu Medos Revier gehörten.

Medo verweist auch auf eine Zeit, als Straßenhunde in Sarajevo weitaus alltäglicher waren als heute.

Man sah sie im ganzen Stadtzentrum.

Manchmal waren das sehr angenehme Begegnungen wie etwa hier.

Manchmal ging man ihnen auch lieber aus dem Weg. Man weiß nie, welche Erfahrungen ein Straßenhund gemacht hat.

Und es war beileibe nicht so, dass sich die Sarajlije um jeden Streuner so liebevoll gekümmert hätten wie um Medo.

Denen mit der Marke im Ohr konnte man vertrauen. Die waren durchgecheckt, sterilisiert und registriert.

Zu denen gehörte auch Medo – gleichwohl auf keinem Foto eine Marke im Ohr erkennbar ist.

Bei den anderen war Vorsicht geboten, und man sah vor allem abseits des Zentrums viele ausgemergelte und kranke Hunde.

Straßenhunde sind weitgehend verschwunden aus Sarajevo

Nach und nach verschwanden sie. Wie man immer wieder hört, war das keine natürliche Folge des Sterilisationsprogramms. Und bestenfalls ein Bruchteil der Straßenhunde Sarajevos wurde von Besitzern adoptiert.

Sie hatten auch nicht das Glück einen so großzügigen Hundefreund zu finden wie Demir in Stolac.

Man kann sich ausmalen, was mit den Straßenhunden Sarajevos passiert ist.

Kaum waren sie verschwunden, verbreiteten sich Straßenkatzen wie rasend.

In Grbavica, in Medos Mahala, gibt es weiter ein Rudel, erzählt mir Sofija, eine liebe Freundin.

„Die meisten Menschen behandeln sie sehr gut“, sagt sie. „Manche sind aber auch schrecklich zu ihnen“.

Einen der Hunde habe ich zufällig im Vorjahr fotografiert. Er macht sich’s gerade am Trainingsfeld von Željo gemütlich.

Ob er so viel Glück hat wie Medo – oder gar wie Žile in Beograd?

Straßenhunde sind eine Herausforderung für jedes Gemeinwesen. Eine Handvoll kann eine Stadt lebenswerter machen. Zu viele sind eine Gefahr für die menschlichen Bewohner.

Aber eines steht fest: So einen treuen Freund wie Medo braucht jede Mahala.

Hinweis: Der Beitrag wurde Montagabend um nähere Informationen zu Medos tödlichem Unfall und weitere Details ergänzt.

In ihrer Wochenendausgabe brachte die Tageszeitung Oslobođenje einen langen Artikel, der die Verdienste Medos für die Bewohner von Grbavica würdigt.

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