Eine Ärztin impft ein Kleinkind

Von Wien bis Bukarest: Der Sieg der Dummheit

Die serbischen Gesundheitsbehörden rüsten sich für eine Masernepidemie. In Bosnien und Rumänien ist sie längst ausgebrochen. Ebenso in Österreich. Es ist der Sieg der Dummheit.

Die serbischen Gesundheitsbehörden starren seit Mittwoch gebannt auf ihre Nachrichtenkanäle. Bislang sind vier Kinder an Masern erkrankt, drei allein in der Hauptstadt Beograd.

Die Erkrankungen gelten nicht als Epidemie. Noch nicht, sollte man dazusagen.

Das wäre auch das Letzte, was man brauchen würde. In Serbien grassiert im Moment eine Keuchhusten-Epidemie. Zu Jahresbeginn fielen ihr vier Kleinkinder zum Opfer.

Dass ein größerer Masernausbruch Serbien erreicht, scheint freilich nur eine Frage der Zeit.

In zwei Nachbarstaaten grassieren die Masern

Im Nachbarland Bosnien wurde in mittlerweile drei Regionen eine Masernepidemie ausgerufen. In Sarajevo vergangene Woche, im Kanton Tuzla, mit dem Schwerpunkt Živinice und in Bijeljina an der bosnisch-serbischen Grenze.

Seit Jahresbeginn dürften zwischen 70 und 100 Kindern an den Masern erkrankt sein. Ein genauerer Überblick ist wegen der komplizierten politischen Struktur Bosniens nur schwer zu erhalten.

Mit Rumänien kämpft ein weiteres Nachbarland Serbiens gegen eine Masernepidemie, und das seit Monaten. Etwa 3.000 Fälle dürfte es mittlerweile geben, mindestens vier Menschen sind an der Infektionskrankheit gestorben – großteils Kinder.

Die Ausbrüche sind hausgemacht. Weit weniger als 95 Prozent aller Kinder sind auch nur einfach gegen die Masern geimpft. Eine vollständige Impfung in diesen Ländern dürften je nach Schätzung überhaupt nur 70 bis 85 Prozent der Kinder haben.

In einigen Gegenden Serbiens wird die Impfquote bei Masern gar nur auf 20 Prozent geschätzt, in Rumänien dürfte es in einigen Regionen ähnlich sein.

Das könnte man als Folge der kapitalistischen Restauration und ihrer desaströsen Auswirkungen auf das Gesundheitswesen abtun oder mit dem – westlich-chauvinistischen – Klischee der balkanischen Schludrigkeit.

Auch Österreich hat ein Problem mit Impfverweigerern

Allein, auch das reiche Österreich kämpft gegen eine Masernepidemie. Seit Jahresbeginn sind mindestens 75 Fälle aufgetreten. Auch hier sind die meisten Betroffenen Kinder.

Kinder, die ihre Eltern nicht ausreichend gegen diese schwere und potentiell tödliche Krankheit haben schützen lassen.

Wenn Leiter der Kliniken des Kanton Sarajevo, Ademir Spahić, meint: „Das ist das Ergebnis der Antivaxxer-Lobby“, spricht er nicht nur für seine Region, nicht nur für Bosnien, er spricht auch für das vermeintlich aufgeklärte Österreich.

Die Krux an der Sache ist, dass sich gerade bei den Masern die Impfverweigerer seit jeher für die Aufgeklärten und Kritischen halten, und für die Progressiven obendrein.

Erstreckte sich der Impfverweigerungswahn bei Corona über fast alle Bevölkerungsschichten, ist er bei klassischen Infektionskrankheiten wesentlich milieuspezifischer.

Freunde der natürlichen Masernerkrankung, einschließlich einer Komplikationsrate von bis zu 30 Prozent, findet man vorwiegend in den formal gebildeteren Teilen der Mittelschicht.

Polemisch formuliert: Je höher der Abschluss in einer sozial- oder kulturwissenschaftlichen Disziplin, desto höher die Gegnerschaft zu Impfungen.

Man flüchtet sich dort gerne in romantische und esoterische Parallelwelten, und hält das für Fortschritt. Die böse „Schulmedizin“ – ein NS-lastiger Ausdruck, nebenbei – ist eines der Haupthassobjekte dieser Leute.

Wahlweise will man dem Kind mit dem „natürlichen Durchmachen“ der Masern ganz nach dem rassistischen Eso-Guru Rudolf Steiner einen „Entwicklungsschub“ oder gar „spirituelles Wachstum“ ermöglichen -, und sollte das Kind sterben, war es spirituell nicht stark genug -, oder, sollte man zu den eher schlichteren Gemütern mit Doktortitel zählen, vor Autismus schützen.

Danke, Jelena Karleuša

Im ehemaligen Jugoslawien hat diese Dummheit ein Gesicht.

Das ist eine der beliebtesten Turbofolk-Sängerinnen: Jelena Karleuša.

Sie ist die bekannteste Antivaxxerin der Region. Seit Jahren trommelt sie landauf, landab, Maserimpfungen würden Autismus verursachen.

Viele Menschen vertrauen ihr mehr als den Gesundheitsbehörden- und experten.

Karleuša gilt als die Gute an der Spitze des Turbofolks – zumindest im Vergleich mit Ceca, ihrer größten Rivalin.

Flirtet Ceca, die Witwe des Kriegsverbrechers Arkan, ständig mit serbischem Nationalismus, gilt Karleuša als Antinationalistin und spricht sich öffentlich für Minderheiten und Frauenrechte aus, letzteres trotz ihrer Bühnenkostüme im Porno-Chic.

Das macht sie für viele Progressive nicht nur in Serbien zu einer Art Ikone.

Man kann sich ausmalen, wo ihre Impfschwurbelei auf fruchtbaren Boden fällt.

Dass sie im Vorjahr auf einer Großveranstaltung der klerikalnationalistischen Partei SNS von Serbiens Präsident Aleksandar Vučić auftrat, verstörte einige ihrer Fans. Ihr Image als der Gute Turbofolk-Star bekam freilich nur einige Kratzer ab.

Die aktuellen Masernausbrüche in der Region gehen zu einem guten Teil auf Karleušas Konto.

Freilich, es gibt am Balkan auch ein weiteres Milieu, in dem Impfquoten besonders niedrig sind.

Das sind traditionell lebende Roma.

Sie sind im Alltag schlimmster Ausgrenzung ausgesetzt und haben kaum Zugang zum Gesundheitssystem. Zudem gibt es ein ausgeprägtes Misstrauen gegen staatliche und andere öffentliche Einrichtungen.

Wie bei vielen ausgegrenzten Minderheiten führen die Reaktionen auf die Ausgrenzung häufig zu selbstbeschädigendem Verhalten. Was was ist, ist oft nicht mehr auseinanderzuhalten. Ein Teufelskreis.

Deutlich weniger betroffen sind Roma, die in unterschiedlichen Ausmaßen assimiliert sind – aber auch sie werden häufig Opfer von Diskriminierung.

So oder so, sollte die Masernepidemie in den Nachbarländern auf Serbien überschnappen, werden Roma-Kinder wahrscheinlich die Hauptleidtragenden sein.

Wir könnten die Masern ausrotten

Serbische Gesundheitsbehörden haben prophylaktisch begonnen, die Eltern nicht geimpfter Kinder aufzufordern, ihre Kinder immunisieren zu lassen.

Zwingen kann man die Eltern nach geltender Rechtslage nicht.

Die Aufforderungen dürften aber eher nachdrücklich formuliert werden.

Erst vor wenigen Jahren erlebte Serbien eine größere Epidemie mit beinahe 6.000 Fällen und mindestens 15 Toten. Das will man sich in nächster Zeit nicht wieder antun.

Österreichische Gesundheitsbehörden zeigen sich im Vergleich noch eher besorgt als entschlossen. Aber das kann sich ändern, sollten die Zahl der Maserninfektionen weiter so rasant steigen wie in den vergangenen Wochen.

Aber ungeachtet der Reaktionen der Gesundheitsbehörden: Im Moment scheint es, als habe die Dummheit gesiegt.

Masern sind eine hochansteckende und gefährliche Krankheit. Aber eine Krankheit, die wir in kurzer Zeit ausrotten können.

Wenn wir es schaffen, dass konsequent alle Kinder geimpft werden, die geimpft werden können, wird diese Krankheit in wenigen Jahren nur mehr in Geschichtsbüchern vorkommen.

Titelfoto: James Gathany, Judy Schmidt, USCDCP on Pixnio, Creative Commons License CC0

Wenn euch dieser Beitrag gefällt…

Wenn ihr meine Arbeit unterstützen wollt, könnt ihr das ab sofort auf Buy Me A Coffee tun. Und wenn euch dieser Beitrag gefällt, bitte teilt ihn auf euren sozialen Netzwerken, lasst ein Like da oder kommentiert.

2 Gedanken zu “Von Wien bis Bukarest: Der Sieg der Dummheit

  1. Fürchterlich, daß Incluencern wie der Karleuša nicht der Stecker gezogen wird, sobald sie zu schwurbeln beginnen. Und daß es so schwierig ist, Verschwörungsdenken zumindest auf ein Minimum einzudämmen. Wer meint, Bildung schütze vor „Dummheit“ bzw. unterkomplexem Denken, muss überlegen, was mit Bildung gemeint ist und wie eine Bildung aussehen muss, damit Kinder und Jugendliche strukturiertes, folgerichtiges Denken lernen, bei dem zB nicht Sympathien für ein schönes Gesicht Ausschlag bei der Entscheidungsfindung geben. Ein gutes Abi oder ein abgeschlossenes Studium sind bislang wohl keine Garantien dafür.

    Like

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..