Erstmals hat ein Kamerateam der ARD dokumentiert, wie kroatische Polizisten Flüchtlinge gewaltsam und illegal zurück nach Bosnien abschieben. Beweise für diese illegalen Abschiebungen und für Polizeigewalt gegen Flüchtlinge gibt es freilich schon seit Jahren. Das schreibt Srdjan Govedarica, Korrespondent des ARD Studios in Wien auf seiner Facebookseite. Balkan Stories gibt Srdjans beklemmende Dokumentation mit freundlicher Genehmigung des Autors wieder.
Das kroatische Innenministerium hat drei Polizisten identifiziert und suspendiert, die Flüchtende mit Schlagstöcken aus Kroatien über die EU Grenze nach Bosnien geprügelt haben. Die Männer hätten „individuell gehandelt, und es hätte keinen Befehl dafür gegeben“.
Also ein Einzelfall?
Das ist nicht besonders plausibel.
Zum ersten Mal habe ich im November 2018 in Velika Kladuša mit eigenen Augen gesehen, was zu diesem Zeitpunkt bereits viele Flüchtende und Helfer berichtet hatten – Menschen mit charakteristischen Schlagstockverletzungen auf dem Rücken, die ihnen bei Pushbacks zugefügt worden waren. Seitdem habe ich persönlich (genau so wie etliche andere Kollegen) mit unzähligen Menschen gesprochen, die von Gewalt bei Pushbacks berichtet haben. Und davon, dass ihre Asygesuche von kroatischen Polizisten ignoriert worden seien und diese ihnen Handys, Geld, Schuhe, Essen und Gepäck abnehmen würden.
Im Dezember 2018 hat uns die NGO Border Violence Monitoring Aufnahmen einer versteckten Kamera zur Verfügung gestellt. Die insgesamt 132 Videos zeigen jeweils kleinere Gruppen von Menschen, die von kroatischen Polizisten über einen Waldweg Richtung Bosnien geführt werden. Zu sehen sind mindestens 368 Menschen, die gepushbackt werden. Sie werden auf diesen Aufnahmen begleitet von verschiedenen bewaffneten Einheiten der kroatischen Polizei, darunter die Grenzpolizei aber auch Polizisten, die Uniformen von Spezial- und Interventionseinheiten und Sturmgewehre tragen. Zu sehen ist auch, wie einer der Polizisten einen der Menschen mit einem Tritt zurück ins Glied schubst.
Die SFR-Rundschau hat mehrfach Push backs dokumentiert. Zuletzt im November 2020 einen besonders drastischen Fall zusammen mit dem Spiegel.
Viele andere internationale Medien haben ebenfalls immer wieder Pushbacks und Grenzgewalt dokumentiert. Zum Beispiel HIER oder HIER.
Bei NGOs wie Border Violence Monitoring oder Danish Refugee Council stapeln sich mittlerweile Aussagen von Flüchtenden über Gewaltpushbacks.
Die kroatischen Behörden haben all diese Berichte (und viele andere) stets entweder als Fake-News zurückgewisen, oder behauptet, keine Kenntnisse über die Vorfälle zu haben oder sie sprachen von legalen Einreiseverweigeungen nach dem Schengener Grenzkodex. Die Verletzungen würden sich Flüchtende bei Konflikten untereinander zufügen. Oder inszenieren.
Grundtenor: Wir „schützen“ die Außengrenze und handeln stets nach Recht und Gesetz.
Im Januar 2021 schließen wir (ARD-Studio Wien) uns zu einem Rechercheverbund zusammen mit Lighthouse Reports, SRF-Rundschau, dem Spiegel, Novosti aus Kroatien. Andere Medien kommen nach und nach dazu.
Wir wollen die Pushbacks untersuchen und die Systematik dahinter verstehen. Im Zeitraum Mai bis September 2021 filmen wir ingesamt 11 Pushbacks mit 148 Menschen. 38 PolizistInnen sind an diesen 11 Pushbacks beteiligt. Unter anderem werden Kinder, Schwangere, Kranke und Alte abgeschoben.
Am 15. Juni filmt unser Team das Video mit den prügelnden maskierten Männern, das gerade die Runde macht. Unsere Recherchergebnisse sprechen insgesamt dafür, dass die Pushbacks systematisch geschehen und keineswegs individuelle Handlungen einzelner Polizisten. Hier einige Beispiele: – Die Polizisten, die illegal abschieben, gehören offensichtlich zur „Operation Koridor“. Ein Begriff, unter dem Polizeieinsätze an den kroatischen EU-Grenzen zusammengefasst sind.
Beamte aus ganz Kroatien sind beteiligt und im Kern geht es darum, die Arbeit von Interventions- und Spezialpolizei an der Grenze zu koordinieren. Ein aktives Koridor-Mitglied beschreibt die Grenzeinsätze so: „Wenn wir Migranten im Wald oder anderswo finden, legen sie sich normalerweise aus Angst auf den Boden. Ein Polizist geht dann an ihnen entlang und schlägt sie mit einem Schlagstock auf die Beine.“
Die Zentrale in Zagreb entscheide, was mit ihnen zu tun sei, ob sie auf die Polizeiwache gebracht oder gepusht würden oder ob ein Asylverfahren gestartet werde.
Drei voneinander unabhängige Quellen aus den Reihen der kroatischen Polizei sagen unserem Rechercheverbund, dass die Befehle für die Pushbacks aus Zagreb kommen. Einer formuliert es so: „Man weiß, dass es illegal ist, aber wer kann schon nein zu einer Weisung von ganz oben sagen – von der Regierung und von Innenminister Božinović. Sie sind also diejenigen, die am Arsch sind, denn sie arbeiten nur nach den Anweisungen der Regierung.“
Mehrere kroatische Polizeiquellen bestätigen zudem, das Eigentum der Menschen werde entweder gestohlen oder beschlagnahmt und teilweise auf Mülldeponien verbrannt.
Auf der Müllhalde Bare bei der kroatischen Kleinstadt Donji Lapac, etwa 20 Kilometer von der Grenze zu Bosnien finden wir verbrannte Handys, Reste von Simkarten aus Griechenland, Creme aus Nepal und einen Asylantrag, ausgestellt in Bosnien und Herzegowina.
Die Auswertung von Satellitenbildern zeigt eine rege Bautätigkeit in der abgelegenen und dünn besiedelten Gegend im Nordwesten des Landes. Zwischen 2019 und September 2021 wurden in Grenznähe sieben neue Straßen gebaut. Sie enden teilweise direkt an der Grenze in Bereichen, in denen wir Pushbacks dokumentiert haben.
Text: Srdjan Govedarica
Titelbild: Bericht ARD Wien – Südosteuropa/Screenshot
Den gesamten aktuellen Bericht der ARD könnt ihr HIER nachsehen.
Balkan Stories bedankt sich bei Srdjan für die Bereitstellung seiner Zusammenfassung und bei ihm und allen Verantwortlichen von ARD Studio Wien/Lighthouse Reports & Medienpartner für die hartnäckige und gefährliche Recherchearbeit.