Was will die EU am Balkan?

Das Interesse der EU am Balkan scheint abgeflaut zu sein. Albanien und Nordmazedonien werden nicht in den Kreis der Beitrittskandidaten aufgenommen. Die Verhandlungen mit Serbien ziehen sich. Und doch üben EU-Staaten weiter Druck auf den Balkan. Warum das so ist, diskutieren Expertinnen und Experten diese Woche in Berlin.

Es ist eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion, die Interessierte am Freitag im Verein südost Europa Kultur e.V. erwartet.

Einbezogen wird ein Aspekt, den man im Westen gerne vergisst, wenn man von den EU-Perspektiven des Balkan redet.

Der wird auch deutlich durch den Titel der Veranstaltung, die um 18:30 Uhr in den Vereinsräumlichkeiten in der Großbeerenstraße 88 in Berlin beginnt: Prisma Migration.

Die Diskussion ist auch Finnisage der Ausstellung „Bosnien und Herzegowina – Bestandsaufnahme“ von Fotograf York Wegerhoff.

Entgegen der sonstigen Gewohnheiten auf diesem Blog sei diesmal die Presseankündigung für die Veranstaltung übernommen. Besser hätte ich es auch nicht zusammenfassen können.

„Mit der Weigerung, Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmakedonien aufzunehmen, hat die EU Ende Oktober 2019 auf dem Westbalkan einen Schock ausgelöst. Bisher waren die Pro-Europäer dort davon ausgegangen, dass die Erweiterungen der EU nach Aufnahme der exjugoslawischen Republiken Slowenien (2004) und Kroatien (2012) und dem Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Montenegro (2010) und Serbien (2012) weiter gehen – und irgendwann auch Bosnien-Herzegowina und Kosovo einbeziehen würde. Denn so hatten es die Staatschefs der EU seit Jahrzehnten immer wieder angekündigt.

Nun sieht es eher so aus, als sollten die Staaten des Westbalkans der EU für absehbare Zeit als Rekrutierungsgebiet für Arbeitskräfte für die Wirtschaft im reichen Westen Europas dienen und zudem als Auffanglager für MigrantInnen auf der angeblich geschlossenen Balkanroute.

Die EU-Außengrenze zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina schreibt eine neue, starre Grenzziehung innerhalb Europas fest. Seit Monaten wird tausenden von MigrantInnen beim Versuch der Einreise in die EU nicht nur ihr gesetzlich verbrieftes Asylrecht verweigert. Die Sicherheitskräfte des EU-Mitglieds Kroatien schieben die Menschen gegen das EU-Recht mit Gewalt zurück ins benachbarte Bosnien-Herzegowina. Unterstützt werden sie von der EU-Grenzsicherungsagentur Frontex. Geduldet wird das Treiben von den übrigen EU-Mitglieder, allen voran den Schengen-Staaten, denen sich Kroatien schon aufgrund des starken Tourismus unbedingt anschließen will. Und das,obwohl die allermeisten MigrantInnen aus der Türkei über EU-Staaten wie Griechenland und Bulgarien dorthin gereist sind und die EU daher für sie verantwortlich ist.

In Bosnien hat sich aufgrund dieser Politik und des kompletten Versagens aller regionalen, nationalen und internationalen Institutionen mittlerweile eine echte Krise entwickelt: Im Una-Sana-Kanton nahe der kroatischen Grenze stellen die gestrandeten MigrantInnen seit Monaten zwischen 20 und 25 Prozent der Bevölkerung. Sie leben in alten Fabriken, in Zelten oder auf der Straße. Krankheiten, Konflikte untereinander und mit der lokalen Bevölkerung häufen sich. Die ersten Toten sind zu beklagen. Und die Zahl der Flüchtlinge und MigrantInnen nimmt trotz des anstehenden Winters täglich zu.

Gleichzeitig stehen die Grenzen der postjugoslawischen Staaten Richtung Westen weit offen.Jedes Jahr verlassen zehntausende KroatInnen und WestbalkanierInnen ihre Heimat Richtung EU. Längst ziehen nicht nicht mehr nur Junge fort, sondern ganze Familien, zumal die EU-Länder aktiv Personal abwerben und die Abwanderung so anheizen. Erst 2019 hat das Bundesministerium für Arbeit mit dem Kosovo ein Abkommen über die Anwerbung ausgebildeter Pflegekräfte unterzeichnet und mit Bosnien existiert seit Jahren eine solche Vereinbarung.

Es ist eine paradoxe Situation: Während sich Kroatien und die Westbalkanländer immer weiter leeren, sind weder Staaten dort noch die der EU im Stande auch nur darüber nachzudenken, Teile der MigrantInnen aus der Balkanroute zu integrieren und so die demographischen Lücken zu schließen. Es wird also auch um die Situation der MigrantInnen gehen, die es bis Berlin geschafft haben: Von ihrer Unterbringung bis zum Versuch der Eingliederung in den Arbeitsmarkt.

Es diskutieren:
Vernesa Berbo, Schauspielerin, Autorin, Musikerin, 1992 aus Sarajevo nach Deutschland geflüchtet

Nina Werneke / Dominik Haubrich, Interkular Berlin, Integration und Förderung von Geflüchteten

Christian Jakob, Soziologe und Redakteur bei der Tageszeitung (TAZ), Mitautor des Buches „Europa macht dicht – Wer zahlt den Preis für unseren Wohlstand?“

Moderation: Rüdiger Rossig, Leiter der Redaktion bosnisch/kroatisch/serbisch der Deutschen Welle

weitere Informationen unter:
http://www.suedost-ev.de/
http://www.york-wegerhoff.de/portfolio/bosnien
http://www.york-wegerhoff.de/aktuelles
https://www.facebook.com/events/1309323232572773/

Titelfoto: Migranten auf dem Weg zur EU-Außengrenze. (c) York Wegerhoff

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