Das Skandalflüchtlingslager Vučjak bei Bihać wird geschlossen. Mit dieser klaren Aussage ließ am Dienstag der bosnische Sicherheitsminister Dragan Mektić aufhorchen. Wo die aktuell um die 1.000 Flüchtlinge in dem Lager auf einer ehemaligen Mülldeponie hinsollen, konnte er am Dienstag freilich nicht sagen.
Ist das das Ende von Bosniens und Europas Schande?
Ja. So sieht es zumindest für Medien aus der Ferne aus.
Fadil Novalić, Premierminister des bosnjakisch-kroatischen Teilstaats Federacija, hat Bundessicherheitsminister Dragan Mektić mehrere Standorte angeboten, an denen menschenwürdige Unterkünfte für die Flüchtlinge von Vučjak untergebracht werden könnten.
Es würde sich um eine Investition im Wert zwischen 1,5 und zwei Millionen Euro handeln, berichtete der Minister, zitiert etwa der österreichische Standard eine Meldung der Austria Presse Agentur.
Alles nur eine Frage der Zeit, scheint es.
Und, nach Protesten in Wien (siehe HIER) und der Forderung der EU und der UN-Organisation IOM, das von der Stadt Bihać auf einer ehemaligen Mülldeponie illegal errichtete Lager zu schließen, eher eine Frage kurzer Zeit.
Bei Flüchtlingshelfern sorgt das für Erleichterung.
„Das sind gute Nachrichten“, sagt etwa die oberösterreichische Flüchtlingshelferin Brigitte Holzinger gegenüber Balkan Stories.
Erst am Wochenende hat sie eine Hilfslieferung nach Vučjak gebracht. (Details siehe die Reportagen auf k.at und bei KOSMO.)
„Hauptsache es tut sich was, und die Menschen kommen in eine menschenwürdige Unterkunft.“
Es ist schwieriger als es aussieht
Es mag nicht der Teufel sein, der im Detail steckt sondern die bosnische Dsyfunktionalität.
Die lässt die Sache etwas schwieriger scheinen.
Und die Schließung des Lagers deutlich weniger sicher als das der bosnische Sicherheitsminister darstellen will.
Keine Gemeinde will Standort für ein Flüchtlingslager sein. Wird Dragan Mektić von bosnischen und kroatischen Medien zitiert.
Das bedeutet zweierlei:
Die Bundesregierung kann nur auf Grundstücke oder Gebäude zugreifen, die direkt dem Teilstaat Federacija gehören.
Dieser muss die Verfügungsgewalt über den Standort dem Bundessicherheitsministerium überschreiben.
Grundstücke, die einer Kantonal- oder Stadtregierung gehören, werden nicht einmal mehr gesucht.
Und während der Suche nach einem Standort, auf dem sich menschenwürdige Unterkünfte errichten lassen, darf nichts nach außen dringen.
Welche Standorte in Betracht kommen, sage er nicht, um nicht „die Öffentlichkeit erneut aufzuwühlen“, zitiert Slobodna Bosna Mektić.
Medien schüren Stimmung gegen Migranten
Flüchtlinge sind in Bosnien ein heikles Thema geworden. Ungeachtet der Tatsache, dass während des Bosnienkriegs hunderttausende Bosnierinnen und Bosnier selbst Flüchtlinge waren.
Seitdem Flüchtlinge vor etwa zwei Jahren nach der angeblichen Schließung der Balkanroute vermehrt über Bosnien versuchen, in die EU zu gelangen, bauschen lokale Boulevardmedien jeden noch so kleinen Vorfall erbarmungslos auf.
Das gilt vor allem für die Region um Bihać nahe der kroatischen Grenze. Laut der Regierung des Kantons Una-Sana halten sich etwa 5.000 Flüchtlinge dort auf.
Nur etwa 2.000 werden in den Aufnahmezentren Bira und Miral versorgt.
Den Flüchtlingen im Camp Vučjak hatte die Stadtverwaltung vor kurzem Essen und Trinkwasser gestrichen. Dort sind laut Bundesregierung aktuell um die 1.000 Menschen.
Ein Erzbischof will helfen – und gießt Öl ins Feuer
Dass es bei tausenden unbetreuten Flüchtlingen immer wieder zu Vorfällen kommt, überrascht auch Flüchtlingshelfer wenig.
Wie sehr diese Vorfälle überdramatisiert werden, hört man allerdings an einer Stellungnahme, die eigentlich eine menschenwürdige Behandlung für die Betroffenen einfordert.
Die katholische Agentur kathpress zitiert Vinko Puljić, den Erzbischof von Sarajevo.
Er kritisiert deutlich, dass sich staatliche Behörden nicht um die Flüchtlinge kümmern würden.
Sie fühlten sich nicht zuständig und hätten keine klare Vorstellung, was zu tun sei.
„Puljić machte das Vakuum auch für die schwierige Sicherheitslage mitverantwortlich. „Deshalb haben wir brennende Häuser, Vergewaltigungen und Einbrüche“, wurde der Kardinal zitiert.“
Soweit kathpress in einer kurzen Meldung, die sich auf die Meldung einer bosnischen Agentur stützt.
Rechte Medien wie die Epoch Times stürzten sich wie Geier auf die brennenden Häuser. Der Zusammenhang des verunglückten Zitats wurde ausgeblendet.
Epoch Times steht der chinesischen Falun Gong-Sekte nahe und hetzt seit Jahren gegen Flüchtlinge.
Das Zitat sagt freilich mehr über die Stimmung in Bosnien aus als darüber, wie sicher es dort ist.
Geld kommt von der EU. Unter Bedingungen.
Freilich, es ist nicht nur die medial aufgeheizte Stimmung, die die Suche nach einem neuen Quartier schwierig macht.
Und es nicht nur die ausgeprägte Dysfunktionalität des bosnischen Staates, die es nicht einmal zulässt, dass die Bundesregierung ehemalige Kasernen wieder instandsetzt und dort Flüchtlinge unterbringt.
Auch die EU macht die Lage komplizierter als sie sein müsste.
Nicht nur, dass die EU ihre Außengrenzen von kroatischen Polizisten bewachen lässt, die offenbar systematisch Flüchtlinge misshandeln, verletzen und ausplündern, die es illegal über die grüne Grenze geschafft haben.
Die EU ist bereit, ein neues Aufnahmezentrum zu finanzieren. Stellt aber Bedingungen, wie die angekündigten 1,5 bis 2 Millionen Euro eingesetzt werden dürfen.
Das Geld darf nur für öffentliche Betreiber ausgegeben werden, zitiert die kroatische Zeitung Jutarnji List Sicherheitsminister Mektić.
Das verhindert prinzipiell, dass sich Menschen oder Unternehmen eine goldene Nase mit Flüchtlingen verdienen.
Im konkreten Fall erschwert es freilich auch, Standorte zu finden.
Es dürfen nicht einmal private Grundstücke angekauft oder gemietet werden.
Wie schnell das illegale Schandlager geschlossen werden kann, wird davon abhängen, wie gut die Bundes- und die Teilstaatregierung zusammenarbeiten.
Und, ob auch wirklich alle Stellen dichthalten.
Die bisherige Erfahrung in Bosnien lässt eine gewisse Portion Skepsis zu.
Vučjak könnte länger bleiben, als es die jüngsten Ankündigungen vermuten lassen.
Balkan Stories berichtete in den vergangenen Monaten mehrfach ausführlich über die Situation in Vučjak. Für einen Überblick, siehe HIER.
Titelfoto: Dirk Planert.