Das Ende naht

Mehr als zehn Milliarden Euro hat Kroatien im Vorjahr mit dem Tourismus verdient. Vor allem die Küsten in Istrien und Dalmatien ziehen die Menschen an. Für die Bewohner der betroffenen Städte bringt das viel Geld, einen eigenen Lebensrhythmus – und einige Probleme, wie man etwa in Rovinj sieht.

„72 RV“, sagt Dali und strahlt.

Sie sagt es auf Italienisch.

„Das war das Boot meines Vaters“, sagt Dali und zeigt auf den Kahn im Hafen mitten in der Altstadt von Rovinj.

Dali ist Mitglied der italienischen Minderheit in der istrischen Küstenstadt. Etwa 1.400 sprechen Italienisch als Muttersprache, das sind zehn Prozent der Einwohner.

Dali macht das sogar hauptberuflich. Sie ist Italienischlehrerin.

Mit mir spricht sie freilich hauptsächlich Englisch – mit leichtem italienischen Akzent.

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„Mein Vater war Fischer. Als er in Pension gegangen ist, hat er das Boot verkauft. Der neue Eigentümer hat ein paar Aufbauten verändert, aber die Nummer ist die gleiche geblieben.“

Fischerei, Tourismus und die Tabakfabrik mit der Hausmarke Ronhill – das sind die wirtschaftlichen Standbeine Rovinjs.

Der Fremdenverkehr ist das Dominante.

Selbst an diesem Abend in der Nachsaison.

Es wurlt in der Altstadt.

Als mich Dali durchs Stadtzentrum führt, hören wir Sprachfetzen auf Englisch, Spanisch, Französisch und vor allem Deutsch jeglicher Färbung.

Bei einem Karikaturenzeichner in der Nähe des Hafens stehen die Menschen Schlange.

Es sind Familien der österreichischen und deutschen Bundesländer, in denen die Sommerferien in ihre letzte Woche gegangen sind.

So wie die Familie mit Hund, die uns entgegenkommt. Hundefreundin Dali kann nicht widerstehen und nimmt Kontakt auf.

Auch wenn man auf Englisch kommuniziert – der Akzent ist hörbar österreichisch.

Ich sage kein Wort. Ich bin nicht hierhergekommen, um österreichische Touristen zu treffen.

Die andere Gruppe sind Kinderlose oder Menschen, deren Kinder schon aus dem Haus sind, die aus den Bundesländern kommen, in denen die Sommerferien schon zu Ende gegangen sind.

Katarina hat Zeit, Traubensaft zu pressen

In der Nachsaison ist es kaum ein Problem, freie Zimmer zu finden. Die Preise sinken auch.

„Letzte Woche noch war hier doppelt so viel los“, sagt Dali.

Dass man noch mehr Menschen in die malerischen aber engen Gassen der Altstadt zwängen kann, noch mehr Menschen in den auch jetzt überlaufenen Schanigärten unterbringen, das ist schwer zu glauben.

Aber es stimmt.

Dass es etwas ruhiger wird, merke ich auch an Katarina, meiner Pensionswirtin am Stadtrand.

Sie hat Zeit, Traubensaft für den Hausrotwein zu pressen.

„Davon machen wir auch Rakija“, sagt sie. „Übrigens, magst du noch einen Schnaps?“

Kroatien: 10 Milliarden Euro mit Tourismus

Zehntausende Touristen kommen jedes Jahr nach Rovinj. Wie viele genau, lässt sich zumindest online nicht herausfinden.

Der Tourismusverband der Stadt schweigt sich über dieses Detail aus. Auch Wikipedia hat diese Information nicht.

In ganz Kroatien waren es im Vorjahr etwas mehr als zehn Millionen Besucher. Sie ließen zehn Milliarden Euro im Land.

Auf Rovinj runtergebrochen bedeutet das wahrscheinlich Tourismuseinnahmen in hoher zweistelliger, wahrscheinlich aber in niedriger dreistelliger Millionenhöhe.

Das hat auch mit den Preisen zu tun.

Zagreb ist vergleichsweise billig.

In Lokalen sind nur Bier, Mineralwasser und Kaffee deutlich günstiger als in Wien.

Außer, man geht in eines der wenigen Restaurants, das, warum auch immer, vorwiegend von Einheimischen besucht wird.

Dali führt mich in so eines.

Es liegt gleich hinter dem überdachten Stück Straße, das etwas euphemistisch Busbahnhof heißt und gegenüber der Tabakfabrik.

Wir sehen sie vom Schanigarten aus.

„In der Hochsaison ist es noch teurer“, erzählt Dali.

„Wir Einheimischen können uns die Restaurants dann kaum mehr leisten.“

Auch wenn die Löhne hier höher sind als im kroatischen Durchschnitt – mit den Preisen können sie nicht mithalten.

Nicht nur Restaurants sind hier teuer

Wenn es nur die Restaurants betreffen würde, wäre es vermutlich verkraftbar.

Allein, die Taxis sind hier nahezu verrückt teuer.

7 Euro wird mich die Rückfahrt in meine Unterkunft kosten – der Weg ist etwa eineinhalb Kilometer lang.

Öffentlichen Verkehr gibt es keinen.

Wer in Rovinj wohnt, braucht ein Auto.

Was die Lebenshaltungskosten deutlich erhöht – aber immer noch nicht das größte Problem ist.

„Eine Wohnung hier kannst du dir kaum leisten“, erzählt mir Dali. Zumindest nicht in Zentrumsnähe.

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Nachdem sie sich von ihrem Freund getrennt hat, wohnt sie wieder bei ihren Eltern. Die haben eine Eigentumswohnung. Gekauft vor Jahrzehnten.

Eine neu zu kaufen mit einem kroatischen Lohn, ist eine nahezu illusorische Hoffnung.

Um 72.000 Euro etwa wird eine 27 m²-Wohnung auf einer Immobilienplattform angeboten.

Für 180.000 gibt’s immerhin schon 75 m². Allerdings am Stadtrand.

„Viele Touristen haben hier Ferienwohnungen gekauft“, erklärt Dali. „Daher sind die Preise in den letzten Jahren kräftig gestiegen.“

Es allein an Ausländern oder reichen kroatischen Touristen festzumachen, würde freilich zu kurz greifen.

Tourismus lebt von Binnen-Gastarbeitern

Auch die Saisonarbeiter sind ein Faktor, der den Wohnraum verknappt.

Hunderte Kellner und Köche kommen während der Saison aus dem kroatischen Hinterland, vor allem aus Slawonien.

Auch sie müssen irgendwo wohnen.

Zuhause gibt es keine Arbeit.

In Rovinj und anderen Tourismusgebieten kann man zumindest im Sommer ganz gut verdienen.

Das um den Preis endlos langer Schichten und Sieben-Tage-Wochen.

Eine dieser Binnen-Gastarbeiterinnen ist Jasmina im Irish Pub Art.

Ihrem Namen zum Trotz kommt sie nicht aus Bosnien sondern aus dem kroatischen Binnenland.

Zum Plaudern hat sie keine Zeit.

Der Schanigarten und der Halbstock sind voller meist englischsprachiger Touristen.

Die haben hörbarerweise einiges getankt und wollen nicht aufhören.

Jasmina kommt kaum nach mit dem Bierzapfen.

Der rote Stern auf einer Stofftasche an einem der Kleiderhaken an der Schank wirkt in dieser Atmosphäre deplatziert.

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In einer ruhigeren Minute zündet sich die junge Frau eine Zigarette an und starrt Richtung Ausgang.

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Sie hat was anderes zu tun als von mir über ihre Arbeitsbedingungen ausgefragt zu werden.

In ein, zwei Wochen, werden die meisten Saisonarbeitskräfte heimfahren.

Und mit dem hoffentlich Ersparten bis Ende April, Anfang Mai durchtauchen, wenn die Betriebe hier wieder Personal einstellen.

Das war schon zu jugoslawischen Zeiten so.

Damals war die soziale Absicherung für die Zeit dazwischen freilich um vieles besser.

Und die Armut in der Peripherie, in der Heimat der Binnen-Gastarbeiter, nicht so groß wie heute.

Die kapitalistische Restauration hat die sozialen Verwerfungen verstärkt und die Alternativen für die Betroffenen verengt.

In einer Bar ohne Touristen

Jetzt, wo die Saison zu Ende geht, gibt es auch Bars, in die man gehen kann, ohne auf Touristen zu stoßen.

Etwa die gleich gegenüber dem Busbahnhof.

Es ist Dalis Stammlokal. Und das ihres engen Freundes, des Verrückten Igor.

Igor ist netter Kerl um die 30.

Nur, die tragischen Ereignisse seiner Jugend lassen ihn nicht los.

Die Angst und die Traurigkeit versucht er, mit Alkohol zu therapieren, wenn sie ihn wieder heimsuchen.

Alle paar Wochen ist das der Fall. So wie heute abend.

„Hej, da bist du ja“, sagt der Verrückte Igor in meine Richtung. „Komm, setz dich zu mir. Ich lad dich auf ein Bier ein. Du hast mir ja heute die zehn Kuna gegeben für die Zigaretten!“

Zehn Kuna, das ist 1 Euro 50. In Etwa auch der Preis eines Bieres. Beziehungsweise etwa die Hälfte des Kaufpreises einer Packung Zigaretten.

Deswegen gleich so eine herzliche Begrüßung?

Selbst in dieser für kroatische Verhältnisse reichen Stadt ist das kein lächerlicher Betrag.

Vielleicht nicht die Welt, aber doch deutlich mehr als für die meisten Menschen in Österreich oder Deutschland.

Und der Verrückte Igor ist einer, der sich für solche Gefälligkeiten revanchiert, wenn er irgendwie kann.

Wenn ihn die Traurigkeit und die Angst wieder mal aus der Bahn geworfen haben, kann er eigentlich nicht.

Dann hat er meist keinen Job.

Der Verrückte Igor spricht viele Sprachen und lädt mich auf ein Bier ein

Aber egal, man lebt nur einmal. So viele österreichische Touristen trifft man in dem Lokal auch wieder nicht.

Vor allem nicht solche, mit denen man sich zumindest rudimentär in der eigenen Sprache unterhalten kann.

(Andererseits: Welche Reisenden sollen sonst in der Nachsaison in dieses Lokal kommen?)

Wobei: Igor spricht nicht nur das istrische Idiom der Sprache ohne Namen, er kann wie die Meisten hier auch Slowenisch und zumindest leidlich Italienisch. Englisch sowieso, die Sprache, in der wir uns meist unterhalten.

„Wir aus Istrien sind halt so“, sagt der Verrückte Igor. „Wir haben unsere eigene Geschichte und wir haben eben auch viel mit den Leuten in Slowenien und in Italien zu tun. Bei uns ist es egal, wo du herkommst.“

Diese Toleranz zeichnet Istrien seit jeher aus.

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Vielleicht ist sie es, die neben der wunderschönen Landschaft und dem herrlichen Essen die Menschen aus der halben Welt, vor allem der deutschsprachigen, anzieht.

Andererseits: Die meisten Touristen dieser Welt interessieren sich kaum für regionale Kultur und für die Bewohner ihrer Urlaubsziele.

Nachhause bringen sie ein tausende mehr oder weniger schöne Urlausbfotos und ein paar Klischees.

Reisende, die an Land und Leuten interessiert sind, gibt’s leider nur wenige.

Der Verrückte Igor und ich trinken ein Favorit, ein Bier der Istarska Pivovara aus Buzet. Dali hat ein Glas Weißwein.

Es wird bald ruhiger. Und billiger. Und schwieriger.

„Weißt du“, sagt der Verrückte Igor, „Ich mag ja Touristen. Aber ich bin auch froh, wenn sie wieder weg sind. Dann wird es ruhiger bei uns. Und billiger.“

In drei, vier Wochen werden die ersten Restaurants in der Innenstadt zusperren, sagt Dali.

Dann gehen auch die Preise runter. Um ein Drittel, vielleicht sogar die Hälfte.

Für die Einheimischen, die Arbeit haben, wird die eigene Stadt dann wieder halbwegs leistbar.

„Für viele, die im Tourismus arbeiten, wird es aber schwieriger“, schildert die Italienischlehrerin. „Die haben dann keinen Job und müssen sehen, wie sie über die Runden kommen.“

Auch wenn sie sich etwas erspart haben – so billig wie für die Binnen-Gastarbeiter aus Slawonien wird das Leben hier im Winter nicht.

Der Tourismus macht Touristen Freunde und die Geschäfts- und Hotelbesitzer und ein paar Lokalinhaber reich.

Alle anderen zahlen einen hohen Preis.

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