Die Autopijaca Stup in Sarajevo ist so legendär wie Geheimtipp. Von einzelnen Zigaretten bis zum Gebrauchtwagen kann man hier alles kaufen. Oder konnte. Seit Corona befindet sich Sarajevos größter Flohmarkt in der Krise. Das ist wohl typisch für das ganze Land.
Das Stückchen Käse, das mir Hajra Vild entgegenhält, duftet so herrlich, wie es im Jutesackerl an ihrem Stand aussieht.
„Das ist alles natürlich, aus unserer Produktion“, sagt mir die Landwirtin, die längst im pensionsfähigen Alter ist.
Und wie der Käse erst schmeckt, während er langsam in meinem Gaumen schmilzt. Würzig, mit leichtem Nachgeschmack von Butter.
Neben mehreren Sorten Hartkäse bietet Hajra frischen Kajmak um 3 Mark zu hundert Gramm an. Das sind 1 Euro 50.

Selbstredend ebenfalls aus eigener Produktion.
Genauso wie die Säfte, sagt sie mir. Von den Gewürzen um 2 Mark pro Sackerl ganz zu schweigen.
Hajra ist aus der Gegend von Konjic.
Von Montag bis Freitag steht sie auf Feld, Weide oder im Obstgarten. Am Wochenende fährt sie mit ihrem Mann jeden Tag frühmorgens in die Hauptstadt.
„Auf der Autopijaca in Stup sind wir jeden Sonntag, und am Samstag sind wir auf dem Markt in Ciglanje.“
Auch das ein großer Markt, der anders als die Autopijaca auch unter der Woche geöffnet ist – am Samstag kommt jeweils ein großer Bauernmarkt dazu.
„Nach Stup kommen wir seit mehr als 20 Jahren“, sagt Hajra.
„Wir müssen überleben“
Ein paar Mal hat sie ans Aufhören gedacht. Vor allem in den vergangenen zwei Jahren.
Im März 2020 wurde die Autopijaca in der Ulica Kurta Šorka wegen Corona vorübergehend geschlossen.
Tausende Menschen hatten sich auf dem Platz unmittelbar neben der Hauptwerkstatt des Transportunternehmens Centrotrans zusammengedrängt – zu viel in den Augen der bosnischen Gesundheitsbehörden, die in einem seltenen Aufwallen von Verantwortungsbewusstsein erhöhte Ansteckunsgefahr mit COVID-19 sahen.
„Die vergangenen zwei Jahre waren ein ziemlicher Einschnitt“, sagt Hajra. „Die Autopijaca hat sich nie wieder von Corona erholt. Die besten Zeiten sind vorbei.“
Dass sie trotzdem jeden Sonntag hier verkauft, statt ihren wohlverdienten Ruhestand zu genießen, hat einen einfachen Grund. „Mein Mann und ich haben eine kleine Pension. Wir müssen überleben.“
Hajra hat es noch gut erwischt. Sie hat frische Lebensmittel von hoher Qualität zu Preisen, mit denen kein Supermarkt mithalten kann.
So wie der junge Mann, mit Suho Meso vom Kalb am Stück.

Er will nicht, dass ich ihn fotografiere. „Inspekcija“, sagt er.
Nicht jeder Standler hier hat notwendigerweise eine Gewerbegenehmigung.
Er und Hajra haben ihre Stammkunden.
Neu. Gebraucht. Vom Lastwagen gefallen.
Die meisten anderen Standler auf der Autopijaca verkaufen Dinge, die fast nur für Laufkundschaft interessant sind.
Neu. Gebraucht. Vom Lastwagen gefallen.
Unter erste Kategorie fällt die Ware der Möbelhändler und Tischler gleich beim Eingang. Das sind die besten Plätze auf der Autopijaca.



Wer Ersatzteile braucht, alte Bücher sucht oder Quasi-Antiquitäten als Dekoration wird hier schnell fündig.
Es gibt Touristenkitsch für Dijaspora-Urlauber und Spieße fürs Grillen samt Elektromotor, geeignet für ganze Lämmer oder Ferkel. Letzteres ist in Sarajevo eher ein Minderheitenphänomen, aber nicht völlig unbekannt.
Ein paar Stände haben nicht zwingend versteuerten Tabak und Zigaretten. Die kann man zur Not auch einzeln kaufen.




Dazwischen ein paar Stände mit Kosmetika, Waschmitteln und Pflegeprodukten.
Am Parkplatz kommen mir zwei junge Männer mit einem Herd entgegen.

Nicht immer will man wissen, was unter welche Kategorie fällt.
Wie auch fast überall sonst im ehemaligen Jugoslawien findet man an den schlechtesten Standeln, ganz am Rande, fast nur mehr Roma mit Gebrauchtwaren aller Art.
Verkauft wird, was geht. Und wenn man mit den verlogenen romantischen Klischees über die eigene Ethnie Geld machen muss – so lange es die Familie ernährt, warum nicht?



Ein Automarkt ohne Autos
Nur Autos gibt es nicht mehr auf der Autopijaca, dem Automarkt.
Auf dem Parkplatz rund um ein lange aufgelassenes Motel samt Nebenbetrieben stehen nur ein paar Autos und Klein-Lkws der Händler.
Ein paar verkaufen praktisch direkt aus dem Kofferraum heraus.
Autos gibt es hier seit Corona nicht mehr zu kaufen.
Auch vorher scheint sich das nach und nach aufgehört zu haben, wie dieser Bericht aus dem Jahr 2019 nahelegt.
Auch für mich, der zum ersten Mal auf der Autopijaca Stup ist, ist es offensichtlich, dass der Markt ein Schatten seiner selbst ist.
Nur an ganz wenigen Ecken sind die Menschen dichter gedrängt. Fast überall hat man Platz, einander auszuweichen.





Zwischen den einzelnen Ständen sind immer wieder Lücken sichtbar.
Man vergleiche meine Fotos mit dieser Reportage aus dem Jahr 2018.
Selbst für das, was nicht einmal hier verkauft wird, gibt es Interessenten
Ein halbwegs sicheres Geschäft scheinen nur die Altbekleidungshändler zu haben.
So wie zwei Schwestern in den 50-ern. Sie waren im Krieg vier Jahre in der Gegend von Paderborn.
Fünf Mark kosten die meisten Stücke, die sie anzubieten haben. Die teureren kommen auf zehn Mark.
Das sind 2 Euro 50 bzw. fünf Euro.
Die Kleidung kaufen sie regulär, etwa von Verlassenschaften, reinigen und bügeln sie während der Woche.
Sonntag für Sonntag versuchen sie, mit dem Verkauf der Kleider über die Runden zu kommen.
Was nicht einfach ist. „Jeder Meter Stand kostet hier 30 Mark“, erzählt mir die jüngere der Schwestern. Ihre fehlen einige Vorderzähne. Ihren Namen will sie mit nicht verraten. „Wir kommen also auf 100 Mark Standmiete pro Woche.“
Die breite Armut in der bosnischen Gesellschaft sorgt dafür, dass wenigstens hier die Kunden nicht ausgehen.
Etwas weiter am Rande sind die Preise noch billiger. Bei einigen Verkäuferinnen sind T-Shirts um zwei Mark das Stück zu haben.
Dort gibt es auch selten Tische. Die Ware ist auf großen Decken oder Handtüchern am Boden ausgebreitet, so wie bei den Ramschhändlern.
Oder hängt an der Wand.





Am großen Parkplatz, auf dem früher Autos gehandelt wurden, liegt ein Berg von Altkleidung.
Das ist die Ware, die nicht einmal hier und nicht einmal zu diesen Preisen verkauft werden kann.
Selbst diesen Berg des Zurückgewiesenen durchsuchen Menschen nach Brauchbarem.
Die Hoffnung, dass es aufwärts geht, ist vorbei
Nicht weit entfernt ist eine kleine Ruine. Vielleicht waren dort vor Ewigkeiten reguläre Markstände untergebracht.
Heute dient sie mit ihren frei begehbaren Innenräumen als allgemeine Notdurftstätte.
Nicht, dass der Rest des Landes besonders blühend aussehen würde.
Auch in Sarajevo oder Jajce werden die leerstehenden Geschäftslokale seit Pandemiebeginn langsam mehr. Vom Republika Srpska-Teil Ostbosniens wie Rogatica ganz zu schweigen.
Covid brachte dem Land die wahrscheinlich größte Auswanderungswelle seit dem Krieg.
Und scheint vielen die Hoffnung genommen zu haben, dass es, wenn es schon nicht aufwärts geht, so doch zumindest auf dem bescheidenen Niveau weitergeht wie bisher.
Auf der Autopijaca Stup wird das in konzentrierter Form sichtbar.
Seit zwei Jahren bleibt ein guter Teil der Kunden weg.
Darüber darf eine Gruppe mutmaßlich ausländischer Studenten nicht hinwegtäuschen.

Der eine oder andere Händler wird ausgewandert sein.
Manche der Älteren sind wahrscheinlich der Pandemie zum Opfer gefallen. Bosnien hat auf die Bevölkerung gerechnet die dritthöchste Corona-Sterblichkeit der Welt.
Fado lässt sich von der Krise nicht die Laune verderben.
Möglicherweise hat dieser Sonntag seinen Beitrag geleistet.
Fado hatte einen erfolgreichen Tag
„Fotografier mich, fotografier mich“, ruft er und wirft sich auf seinem Stand am Rande des großen Parkplatz in Pose.

Seine Ware hat er diese Woche verkauft. Jetzt kann er es entspannter angehen.
„Ich bin seit dem Krieg in Italien“, erzählt er mir. „Mittlerweile bin ich auch Staatsbürger.“
Mich hält er für einen Slowenen.
Je nach Saison ist Fado Altwarenhändler in seiner neuen Heimat oder auf der Autopijaca Stup.
Seine Familie unterstützt ihn. Dem Ältesten Sohn gibt er auf Romanes Anweisungen. Wahrscheinlich sagt er ihm, dass er auch den Rest zusammenpacken soll.
Das geht schnell. Bevor mir Fado die Geschichte seiner Flucht aus Sarajevo fertigerzählt hat, fährt der Sohn im Klein-Lkw vorbei und bittet Fado, einzusteigen.
Hajras Sack Käsestücke ist auf dem Rückweg erst halb leer. Sie wird diesen Sonntag die eine oder andere Stunde hier verbringen und auf Kundschaft warten.
Am Montag wird sie auf ihrem Feld bei Konjic stehen.
Ich mag so Märkte!
Vor allem, wenn ich neu wohin ziehe. Da weiß ich, dass ich alles, was ich für die Wohnung brauche, auf einem Markt und an einem Tag bekomme.
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