Nicht nur in Bosnien lässt der Vorschlag von Beograds Vizebürgermeister Goran Vesić die Wogen hochgehen, die Sarajevoer Straße in der serbischen Hauptstadt umzubenennen. Der Politiker der serbischen Regierungspartei SNS will alle topographischen Spuren des ehemaligen Jugoslawien aus dem Stadtplan tilgen. Auch bei den Einwohnern Beograds stößt das auf unerwartet heftigen Widerstand. Balkan Stories hat einige dieser Stimmen zusammengetragen.
„Sarajevska vorwärts!“
Mit ihrem Foto, das auch Titelbild dieser Geschichte ist, hat die Beograd Fotografin Biljana Mirčić dem Widerstand gegen die Pläne der serbischen Regierungspartei SNS, alle jugoslawischen Ortsnamen aus dem Stadplan zu verbannen, ein Motto und ein Bild gegeben.
Sarajevska, nach Sarajevska ulica.
In der Landessprache wird das Beiwort „ulica“, Straße, in der Regel meist weggelassen.

Auch wenn es viele andere Straßen treffen soll – etwa die Zagreber Straße oder die Mostarer Straße -, es ist die Sarajevska, um die die Beograderinnen und Beograder am erbittersten kämpfen.

Der bekannte Autor und Musikexperte Petar Janjatović bringt es gegenüber Balkan Stories so auf den Punkt:
„Among other things, Belgrade is big for having streets named after former Yugoslavia topics. I would love, for example to live in Istarska street (named after Istria in Croatia). So, don’t touch Sarajevska!“

Natalija Simović ist Vorsitzende der Frauenbewegung innerhalb der Protestbewegung Ne davimo Beograd/NDM BGD.
Gegenüber Balkan Stories kritisiert sie die Pläne scharf:
„Wieder einmal soll die Gemeinschaft (der Menschen des ehemaligen Jugoslawien, Anm.) zerstört werden und die Geschichte mit dem unnötigen Auslöschen von Straßennamen revidiert werden. Und, wenn wie Vizebürgermeister Vesić fordert, unsere Straßen nur nach denen benannt werden sollen, die „uns hervorgebracht haben“: Wo sind dann die Straßen, die nach Frauen benannt sind?“

Vjekolsav Vuković hat für NDM BGD die offizielle Stellungnahme verfasst.
„Beograd war immer eine offene und kosmpolitische Stadt. Die Banditen, die die Stadt beherrschen, schließen ihre Türen und ändern ohne nachzudenken die Namen der Straßen, die nach Teilen eines Staates benannt sind, der ihnen kostenlos Bildung zuteilkommen ließ, sie ernährt, und ernsthaft versucht hat, sie zu Menschen machen. Wie unzählige Male in der Geschichte muss sich Beograd erneut in einem kompromisslosen Kampf gegen diese kriminelle Elite befreien.“

Der Schriftsteller Muharem Bazdulj hat Balkan Stories einen Gastkommentar zur Verfügung gestellt, den er für die (an sich regierungsnahe) Tageszeitung Politika geschrieben hat.
Dort zerlegt er den Vorschlag nach Strich und Faden. Unter anderem heißt es dort:
„Auch wenn man die Idee akzeptieren würde, dass es in Beograd nur Straßen geben mit Namen geben soll, die viel mit der Kultur und Geschichte Serbiens zu tun haben: Glaubt Vesić (oder wer auch immer) wirklich, dass bosnische und kroatische Straßen nichts mit Serbien zu tun haben? Bosnjakische und kroatische Nationalisten spenden ihm dafür eifrigen Beifall.
Zum Beispiel Šibenik. Da könnte er mit Milutin Dedić (bekannter Autor der Region, Anm.) sprechen.
Wenn es um Sarajevo und Mostar geht, ist die Vorstellung überhaupt nur pervers.
Dann soll er halt die Aleksa-Šantić-Straße, die Osman-Đikić-Straße und die Gavrilo-Princip-Straße umbenennen, und letztendlich auch die seit Kurzem existierende Momo-Kapor-Straße
Und der Saal im Museum der Jugoslawischen Cinemathek (in der Kosovksa 11), der nach Dinko Tucaković benannt wurde? Der könnte auch einen neuen Namen bekommen, uns wurde ja gesagt, dass Zenica „nichts mit Serbien zu tun hat“, und genau dort wurde, was er (Vesić, Anm.) vielleicht nicht gewusst hat, Dinko Tucaković geboren.“

Jelena Pavlović ist Kulturmanagerin im Kulturni Centar Grad.
„In dieser Stadt wird seit langer Zeit kultureller und künstlerischer Völkermord verübt, so würde ich es nennen. Es ist sehr besorgniserregend, überraschend ist es leider nicht. Dieser Vorschlag soll vor allem von den größeren Problemen ablenken, die Beograd hat und es ist ein Versuch, Beograd, das schließlich das kulturelle Zentrum der Region ist, auf Nationalismus zu reduzieren. Beograd ist weder fremdenfeindlich, noch kann es auf rein lokale Kultur beschränkt werden und Jugoslawien aus seiner Vergangenheit verbannen. Für mich sind diese Versuche, auf diese Weise imaginäre Feinde zu verschaffen und sich ihrer zu bedienen, sehr fragwürdig.“

Eine gewichtige Stimme ist auch der aus Beograd stammende Schriftsteller Dejan Tiago Stanković.
Er war einer der ersten, die auf den Irrsinn reagiert haben. Und wie für die meisten ist für ihn vor allem die geplante Umbenennung der Sarajevska das Symbol des Unrechts.
„Was die Sarajevska ulica betrifft, erinnere ich daran, dass wir es sind, die uns an Sarajevo versündigt haben. Diese Stadt, die uns nichts getan hat, ist bombardiert worden, weil die, die in Serbien an der Macht sind, es so wollten. Es sind tausende Menschen umgebracht worden, unsere Freunde, unsere Landsleute. DAS war nicht möglich ohne unsere Regierung. Wir haben uns damals versündigt, weil wir das nicht verhindert haben. Das Wenigste, was wir jetzt zumindest auf der symbolischen Ebene tun können, ist, dass wir nicht zulassen, dass der Name Sarajevska ulica geändert wird. Was hat uns denn Sarajevo letztendlich getan? (…) Es ist hässlich, es ist geschmacklos, es ist gegen den Geist dieser Großstadt, weil die Beograder nicht hasserfüllt sind. Zumindest glaube ich das. Also, lasst unsere Straße in Frieden.“
Mehr über die Hintergründe der geplanten Provinzialisierung der Beograder Straßennamen erfahrt ihr HIER.
HIER gibt es eine Online-Petition gegen die geplanten Umbenennungen.
Sie wurde bislang von mehr als 2.400 Menschen unterschrieben.
Titelfoto: Biljana Mirčić
Mitarbeit: Goran Slaba, Nedad Memić
P. S.: Eine Stimme, die definitiv zu keinem Anderen Beograd gehört, sondern die der Macht ist, spricht sich ebenfalls gegen die Umbenennung der Sarajevska Ulica aus. Laut Aussagen von Goran Vesić gegenüber Medien soll der serbische Präsident Aleksandar Vučić ihm gesagt haben, dass er diese Umbenennung nicht möchte. Beide gehören der Partei SNS an. Die Aussage erfolgte, nachdem erste Kritik an den Pläne der SNS laut geworden war. Man wird sehen, was davon zu halten ist.