Die serbische Regierungspartei SNS hat am Wochenende Pläne vorgestellt, die aus Beograd eine Provinzhauptstadt mit arabischen Grundstücksspekulanten machen sollen. Jede Erinnerung, dass die Stadt einst Hauptstadt Jugoslawiens war soll restlos aus dem Stadtplan verbannt werden, kündigte der Vizebürgermeister der serbischen Hauptstadt an. Neue Namen sollen etwa die Sarajevoer und die Zagreber Straße bekommen.
Der Fortschritt, den die Serbische Fortschrittspartei (SNS) im Namen trägt, ist offenbar ein etwas groß geratenes Graz. Beziehungsweise die Glorifzierung der serbischen Provinz und dessen, was man für serbische Geschichte hält.
Das ist die Maxime, nach der in der nahen Zukunft die Straßennamen der serbischen Hauptstadt neu gestaltet werden.
Alle topographischen Bezeichnungen, die an das ehemalige Jugoslawien erinnern, sollen als Straßennamen verschwinden, kündigt Goran Vesić an.
Er ist stellvertretender Bürgermeister Beograds und Mitglied der SNS.
Ausdrücklich nennt Vesić die Porečka, Hvarska, Hrvatska, Splitska, Podravska, Bjelovarska, Šibenička, Ljubljanska, Bledska, Bosanska, Mariborska, Celjska, Lopudska, Murska, die Zagrebačka und die Zenička ulica.
Die werden als erste dran glauben müssen, geht es nach dem stellvertretenden Bürgermeister.
Die Auslöschung als Gerechtigkeit
Die Tilgungsaktion ist für ihn ein Akt von Gerechtigkeit, vielleicht sogar von höherer Gerechtigkeit.
„Es gibt im ehemaligen Jugoslawien nur zwei Städte, die noch eine Straße haben, die nach Beograd benannt ist“, sagt er. Das seien Podgorica in Montenegro und Skopje in Mazedonien.
Das kommt auch in der serbischen Hauptstadt nicht bei allen gut an.
In einem Forum sagt ein User: „Allein in Maribor tragen 29 Straßen serbische Namen.“ Er zählt einige auf, unter anderem eine Belgradska Ulica, wo er extra erwähnt, dass es die slowenische Aussprache sei, und eine Straße, die nach den Geiseln benannt wurde, die die Wehrmacht 1941 in Kragujevac erschoss. „Vielleicht sollte Vesić einmal einen Blick auf Google Maps werfen“, schreibt der User, der das Kürzel KG benutzt.
„Wenn sie die Sarajevoer Straße umbenennen, ziehe ich von Beograd weg“, kündigt Milica, eine Studentin auf Facebook an.
„Ich bin nicht dafür“, sagt Musiklehrer Vladimir in einem Chat.
„Provinzler verstehen den Geist der Großstadt nicht“
„Beograd war einmal die Hauptstadt eines Vielvölkerstaats, und das stört Nationalisten und Provinzler, die verstehen den Geist und die Seele einer Großstadt nicht“, kommentiert Dušan Stojanović gegenüber Balkan Stories. Der Mathematiker wurde in Beograd geboren und lebt heute in Wien.
Was Menschen verstört, ist vor allem, wie radikal die Entscheidung ist.
Dass die Erinnerung an Jugoslawien und vor allem das sozialistische Jugoslawien aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen werden soll, daran haben sich nicht nur die Einwohner Beograds langsam gewöhnt.
Auch wenn sie dem nicht unbedingt mit Begeisterung gegenüberstehen.
Revisionismus als Staatsräson
Seit dem Jahr 2000 wurden 9.000 Straßen umbenannt. Hauptbetroffen waren Straßen, die nach Partisanen oder sozialistischen Führungsfiguren benannt waren. (Siehe HIER)
In Bosnien lässt der Straßennamenrevisionismus die Wogen hochgehen.
Dragan Bursać gilt im Land als Inbegriff des kritischen und unabhängigen Journalismus.
Er bringt die Stimmung in einem Kommentar für Radio Sarajevo auf den Punkt.
„Es waren nicht Sarajevo, Zenica und Mostar, die aus Bosnien Granaten auf Beograd geworfen haben und versucht haben, es zu besetzen“, erklärt er, warum in Bosnien keine Straßen mehr nach der serbischen Hauptstadt benannt sind.
„Was ist kriminell und antiserbisch in diesen Städten, in diesen architektonischen und menschlichen Perlen des gemeinsamen Landes und des Balkans?“, fragt er, warum jede Erinnerung an Zenica, Mostar, Sarajevo, Bled oder Šibenk ausgelöscht werden soll.
Die Verantwortlichen in Beograd nennt er offen „revisionistische Partei“ und „beschämende Sadtregierung“.
Einsame Entscheidung der SNS
Wie die Beograderinnen und Beograder denken, weiß niemand. Die Regierungspartei SNS von Aleksandar Vučić hat es nicht für notwendig befunden, die Bürger in den Entscheidungsprozess einzubinden.
So kann man auch nur die Kommentare unter den Berichten in serbischen Medien als Leitschnur nehmen.
Positive Reaktionen scheint die revisionistische Umbenennungsorgie offenbar nur bei der nationalistischen Kernwählerschicht der SNS hervorzurufen. Die ist groß – deckt aber nicht einmal das ganze Wählerspektrum ab, das die Regierungspartei mit ihrem Klientelismus bedient.
„Wo warst du, als sie vor 20 Jahren in Kroatien alle Spuren serbischer Existenz getilgt haben“, fragt vorsorglich aggressiv ein Poster, der anonym bleiben möchte, einen anderen im Forum der Danas.
Dass sich die SNS selbst unsicher sein könnte, ob sie bei dieser Maßnahme den Rückhalt zumindest einer nennenswerten Anzahl von Menschen hat, zeigt, dass der Beograder Vizebürgermeister vorgeschickt wird, um die Entscheidung anzukündigen.
Garantiert populäre Maßnahmen werden sonst von Bürgermeister Zoran Radojičić oder Präsident Aleksandar Vučić (beide ebenfalls SNS) verkündet.
Aus der möglichen Unsicherheit der SNS sollte man nicht schließen, dass die revisionistischen Umbenennungen keine beschlossene Sache seien.
Wenn überhaupt, zieht die SNS umstrittene Vorhaben nur bei überbordendem Widerstand zurück.
Zuletzt war das nach den Protesten gegen die gesundheitsgefährdende Hü-Hott-Politik bei den Corona-Maßnahmen der Fall.
Auch wenn die Demos von der Polizei niedergeknüppelt wurden, wurden einige der Maßnahmen zurückgenommen und der umstrittene Krisenstab zumindest nach außen hin reformiert.
Bis jetzt zeichnet sich kein großer Widerstand dagegen an, Beograd mittels neuer Straßennamen zur serbischen Provinzhauptstadt zu degradieren.
Andererseits: Der Beschluss wurde ja erst am Wochenende verkündet.
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