Eine Rose aus Sarajevo

Ich bin wieder mit Petar auf Lokaltour in Beograd. Samt seiner Frau Svetlana und Tochter und einigen Freunden bringt er mich auf einen Splav, ein schwimmendes Restaurant an der Sava. Das hat einige Überraschungen zu bieten.

„Da sind wir“, sagt Petar.

Ein bisschen größer ist er als die meisten anderen, unser Splav. Sein Steg wirkt etwas wackeliger als notwendig.

Einen knappen Kilometer sind wir vom Parkplatz hierher gegangen. Ein netter Spaziergang am gemauerten Kai der Sava entlang.

Bei mir macht sich ein wenig Donauinsel-Feeling breit.

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Die Sava ist hier auch fast so groß wie die Donau in Wien und spielt eine ebenso wichtige Rolle bei der Naherholung. Vielleicht sogar eine größere.

Schwimmende Kafane

Hier gibt’s viel Natur und viele Lokale direkt auf dem Wasser, die „splavovi“, grob übersetzt Flöße.

300 gibt es laut Medienberichten. Die meisten sind in der Sava verankert, einige auch in der Donau, vor allem bei Ava Ciglanje.

Die meisten sind Kafane, Restaurants mit Livemusik bei Nacht, auch einige Clubs haben sich im Fluss niedergelassen.

Das haben wir in Wien nicht.

Was wir schon gar nicht in Wien haben, ist eine nahegelegene Hilfestation für Menschen, die’s mit der Freizeit übertrieben haben.

Hier ordiniert sogar ein Arzt auf einem Boot. Am Wochenende ist er offenbar Selbstversorger.

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Sarajevo strahlt bis an die Sava

„Dieser Splav heißt Ružo moja“, sagt Petar. „Meiner Rose.“

Petar weiß, dass ich das lesen kann. Ginge sogar auf Kyrillisch, wenn auch langsamer.

Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass dieser Name einen tieferen Sinn hat und er ihn mir gleich erklären wird.

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„Das ist eine sehr beliebte Sevdalinka“, sagt Petar.

„Immer noch?“, frage ich etwas überrascht.

Sevdalinke nennt man die Lieder der Musikrichtung Sevdah.

Sie vereint balkanische, türkische und sephardische Texte und Melodieelemente und gilt als die bosnische Musikrichtung schlechthin. Sevdah wird vor allem mit Sarajevo verbunden.

„Wieso immer noch“, fragt Petar.

„Naja, ich weiß zwar, dass es auch eine gemeinsame Musikszene gibt, aber dass ein bosnisches Lied so populär ist, dass in Beograd ein Restaurant nach ihm benannt wird, das überrascht mich doch.“

„Du vergisst“, sagt Petar, „dass es einmal ein Land gegeben hat, das Jugoslawien hieß.“

Die Feststellung tut gerade mir sehr weh.

Bei der weiteren Recherche finde ich heraus, dass Ružo moja der populäre Name für das Lied Jutros mi je ruža procvetala ist.

Es wurde von Petar Tanasijević in den späten 50-ern komponiert und wurde in den frühen 60-ern durch zahlreiche Interpretationen bekannt.*

Wenige Gäste, viel Betrieb

Das Lokal ist perfekt für diesen heißen Nachmittag.

Hinten ist eine große Terrasse (oder würde man das auf einem Boot Ausleger nennen?), ein Tisch direkt beim Grill ist für uns reserviert.

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Ganz hinten liegen ein paar Boote auf Anker.

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Man sieht es Petar nicht an, aber wenn jemand weiß, wo man in dieser Stadt hervorragend essen kann, ist es er.

Bei der Terrasse gibt’s auch einen Steg, wo die Hälfte der Angestellten Boote zu reparieren scheint, wenn gerade wenig los ist.

Wie bei vielen anderen schwimmenden Kafane ist der Hauptbetrieb in der Nacht.

Die Chefin sieht nach dem Rechten. In ihrer eher freizügigen Kleidung wirkt sie eher wie ein Gast.

Wie der Koch hat sie offensichtlich eine Menge Geld in ihr jetziges Aussehen gesteckt.

Wer ist Gast, wer arbeitet hier?

Auch ein paar Gäste arbeiten an den Booten mit, eine Schönheit im Bikini räkelt sich im Liegestuhl neben den Reparierenden.

Ich verliere den Überblick, wer hier arbeitet und wer Gast ist und warum.

Die Sonnenanbeterin begibt sich aufs offenbar fertig reparierte Boot, bevor ich sie fragen kann, ob ich sie fotografieren darf.

Natürlich wäre das auch um das Foto einer schönen Frau willen. Aber was mich eigentlich interessiert, ist der Kontrast zwischen ihr und den Bootsreparierern.

Vielleicht auch besser. Der Bootsbesitzer scheint mit Argusaugen über sie zu wachen.

Er ist gut einen Kopf größer als ich.

Ich hab der Bequemlichkeit halber nur meine Kompaktkamera dabei und das könnte schon als leicht spannerhaft wahrgenommen werden.

Im Gegensatz zu meiner Spiegelreflex. Die würde professionell wirken.

Ein Berg Essen

Wir kriegen drei Riesenfische serviert, mindestens ein Kilo pro Stück, eher eineinhalb, drei Stück von etwas, das aussieht wie Babystöre – die letzten drei – und eine Portion Girice. So nennt man hier frittierte Sardellen.

Dazu die Beilagen.

Wir sind zu sechst.

Irgendwas ist bei der Bestellung schief gegangen.

„Wer soll das alles essen“, frage ich.

„Das schaffen wir schon“, sagt Petar.

Ich bleibe meinem Grundsatz treu, Food Porn nach Möglichkeit zu vermeiden. Außerdem knurrt der Magen.

Den Leuten beim Boot reparieren zuschauen, macht hungrig.

„Gibt es in Wien auch solche Restaurants?“, fragt Goran. Er ist ein alter Freund von Petar und Teil unserer Runde.

„Nein. Keine Ahnung, wieso. Wir haben diese 21 Kilometer lange Insel in der Donau und im Vergleich zu hier gibt’s wenig Lokale. Schwimmende fallen mir gar keine ein.“

Außer der Copa Cagrana ist an der Donau eher kulinarisches Ödland. Zwischen den wenigen guten Restaurants liegen weite Strecken.

„Vielleicht liegt’s daran, dass wir in Österreich wenig Fisch essen.“

Mit Ausnahme der riblja čorba von gestern abend ist das heuer erst das zweite Mal, dass ich Fisch esse, fällt mir ein.

Dreimal dürft ihr raten, wer mich gestern in das Lokal gebracht hat, wo’s die herrliche Fischsuppe gab.

„Ja, das hab ich gehört“, sagt Jelena. Auch sie ist mit von der Partie.

Petar sagt: „Pa da!“

Zum Weißwein hat unsere Kellnerin einen kleinen Sodabrunnen hingestellt. (Heißt das auch auf Deutsch so?)

„Braucht ihr noch was“, fragt sie.

Sie hat ein gewinnendes Lächeln.

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„Noch eine Flasche Wein, bitte“, sagt Petar. „Woher kommst du?“

„Ich? Ich komm von hier. Wieso?“

„Ich hab einen ganz leichten Akzent gehört.“

„Meine Mutter kommt aus Polen. Vielleicht deshalb.“

„Pa da!“, sagt Petar.

Petar sagt immer „Pa da!“, wenn sich eine seiner Vermutungen bestätigt hat.

Das passiert oft.

Petar war jahrzehntelang Kulturjournalist, vor allem auf Musik spezialisiert. Er ist mit seinem enzyklopädischen Wissen so etwas wie ein wandelndes Lexikon und nicht zu Unrecht ziemlich bekannt im ehemaligen Jugoslawien.

Irgendwie haben wir aufgegessen

Irgendwie haben wir die Fische und die Beilagen geschafft.

„Ich werde nie wieder in meinem Leben was essen“, denk ich mir.

Es gibt die obligatorische Rakija aufs Haus.

Zusammen macht die Rechnung 10.000 Dinar inklusive Trinkgeld aus. Das sind etwa 80 Euro.

Für sechs Leute, insgesamt wahrscheinlich vier Kilo Fisch, Beilagen und drei Flaschen Wein.

Den Kaffee beschließen wir, etwas weiter das Sava-Ufer entlang zu trinken.

„Ein Verdauungsspaziergang kann nicht schaden“, meint Svetlana.

„Kaži mi 3 lepše reči…“

Als wir gehen, verabschiedet sich der Kellner von der Theke auf Deutsch von mir. „Ich hab gehört, du bist Österreicher“, sagt er.

Er lernt gerade Deutsch, um sein IT-Studium in Deutschland fortzusetzen. Und, so hofft er, länger dort bleiben zu können.

Der Job hier mag gut sein und Kellner gilt hierzulande als angesehener Job.

Aber was ist das im Vergleich zu den Karriereaussichten und den Verdienstmöglichkeiten im Ausland?

Und wie heißt ein hierzulande gern erzählter Witz?

„Kaži mi 3 lepše reči od „ja te volim?““

„Willkommen in Deutschland!“

„Sag mir drei Wörter schöner als: Ich liebe dich!“

„Willkommen in Deutschland“.

Eingebettetes Lied:

Ružo moja (Jutros mi je ruža procvetala)

Interpretin: Milica Popović

Komponist: Petar Tanasijević

Jugoton, 1960

Balkan Stories dankt Petar Ivić für Unterstützung bei der Recherche.

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