Er zählt zu den bekanntesten deutschen Schriftstellern seiner Generation. Saša Stanišić hat mit jedem seiner drei Bücher für Aufmerksamkeit gesorgt und zu Recht Preise eingeheimst. In der Wiener Hauptbücherei hat er seine Kurzgeschichtensammlung „Der Fallensteller“ vorgestellt. Und über seine Sehnsucht gesprochen, einmal eine wirklich böse Figur zu schreiben.
In Wien kommt das Publikum nicht pünktlich. Nicht einmal, wenn Saša Stanišić liest. Er gilt zu Recht als einer der bekanntesten und interessantesten deutschen Schriftsteller seiner Generation.
Punkt 19 Uhr sind gerade einmal 15 Gäste im Veranstaltungssaal der Wiener Hauptbücherei am Gürtel. „Bei dem schönen Wetter erwarte ich keinen großen Andrang“, sagt der Verkäufer der Buchhandlung Orlando. Er hat einen kleinen Stand bei der Veranstaltung mit den Werken von Saša Stanišić.
Es ist der erste Tag mit uneingeschränkt schönem Wetter in Wien. Auf den Stufen der Bücherei sonnen sich Dutzende Menschen. Kultur ist heute abend vielleicht wirklich nicht am Programm vieler Menschen in der Hauptstadt. Und vielleicht sind die Wienerinnen und Wiener nicht so belesen, wie sie das gerne selber von sich glauben.
Zwei ältere Damen schmökern durch den Büchertisch von Orlando. Sie haben auf Ö1 von der Lesung heute gehört. „Ein Fallensteller, der kommt doch in jedem seiner Werke vor“, diskutieren sie.
Als Werner Kantner von der Hauptbücherei nach der akademischen Viertelstunde die Lesung einmoderiert, hat sich die Zuhörerzahl immerhin verdoppelt. Der prominenteste Gast sitzt ganz am Rand. Wolf Haas, über den Saša Stanišić seine Diplomarbeit geschrieben hat und einer seiner Lieblingsschriftsteller. Man darf vermuten, dass der Respekt auf Gegenseitigkeit beruht.
Disziplin und Leichtigkeit
Die 30 Leute werden nicht umsonst gekommen sein. Saša Stanišić hat ihre Aufmerksamkeit mit den ersten paar Sätzen seiner Vorstellung, lange bevor er mit seiner ersten Geschichte beginnt.
Er hat, so scheint es, das Talent, nicht nur in seinen Büchern Disziplin und Routine bei der Arbeit mit Humor und Leichtigkeit zu verbinden, die nie von oben herab kommen.
Ihn zeichnet eine im deutschsprachigen Raum nur allzuseltene Mischung aus präziser Sprachanalytik und verspielter Freude am Erzählen aus.
Das merkt man vor allem, wenn er nicht über sich spricht sondern seine Geschichten sprechen lässt. Wenn er aus dem „Fallensteller“ liest, ändert sich die Körpersprache.
Saša unterteilt die Sätze mit lebhafter Gestik, manchmal sogar die Wörter, wenn er sie auseinandernimmt, weist die Zuhörer durch die Räume, in denen sich seine Figuren bewegen, durch ihre manchmal ins Absurde gehenden Assoziationsketten, die freilich nie innere Monologe sind.
Können seine Bücher den Leser in einen Erzählstrom hineinziehen, dessen Strukturiertheit so klar und präzise ist, dass sie nicht als Struktur erkennbar ist sondern den Gang der Ereignisse wie das natürlichste der Welt erscheinen lassen, kann Saša das als Vor-Leser erst recht.
Das ist bei Schriftstellern eine allzu seltene Kombination.
Humor, der kein Selbstzweck ist
Saša weiß, dass gute Texte in Büchern und gute Texte für Lesungen zwei verschiedene Dinge sind und führt die Pointen enger, kürzt und passt spontan einige Details für das jeweilige Publikum an.
Ein einziges Mal nur hat er lediglich halben Erfolg. Wenn er über seinen fiktiven Charakter Georg Horwath mit w sagt: „Sein Atem roch wie Baden-Württemberg“, schmunzelt man in der Wiener Hauptbücherei. In Deutschland hat er mit der Formulierung einen Lacherfolg, sagt er.
Dabei ist der Humor in seinen Geschichten kein Selbtszweck. Er macht die Situationen, die Saša analysiert nur erträglicher.
Es geht, so sagt er im Gespräch mit der Autorin und Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl, um das Erlebnis von Fremd-Sein, um das Fremde, das in Strukturen kommt, wo es nicht erwünscht ist.
Das Fremde und das Unerwartete
Er lässt, vor allem im „Fallensteller“ unbelastete Figuren die Geschichten erzählen, die im Milieu beheimatet sind, das durch das Auftauchen des Fremden oder Unerwarteten aus der oft genug prekären Balance gebracht wird.
Sei es ein Wolf, über dessen präsumtiver Gefährlichkeit sich eine Gruppe ostdeutscher Viehbauern in Rage redet, sei es Georg Horwath, der auf einer Dienstreise in Brasilien ins falsche Auto steigt und absurde Abenteuer erlebt. Oder sei es der Fallensteller, der Reime sprechend ins fiktive Uckermarksche Fürstenfeld kommt und zum Gesprächsthema wird.
Freund der literarischen Feldforschung
„Saša Stanišić beherrscht die Kunst, Dinge, die gewichtig sind, tragisch und dramatisch sind, in Balance zu halten mit dem Witz“, sagt Daniela Strigl über den Schriftsteller. Und das immer auf Basis gründlicher Beobachtung. „Er ist ein Freund der literarischen Feldforschung“.
Das merkt man auch an seinen Erfolgsromanen „Vor dem Fest“ und „Wie der Soldat das Grammophon repariert“ – einem autobiographisch geprägten Werk über eine Jugend im damals jugoslawischen Višegrad, dem Geburtsort des Autors, den Bürgerkrieg und das Massaker an der bosnjakischen Bevölkerung und die Flucht nach Deutschland.
Bei aller Tragik und allen zweifelhaften Figuren, die er schildert, hat Saša bislang eines nicht geschafft: Eine Figur zu erschaffen, die er selbst abgrundtief hasst.
Auch seine negativen Figuren haben immer etwas Menschliches, das ihre Verbrechen vielleicht nicht aufwiegt oder entschuldigt, aber erklärt.
„In einem nächsten Projekt wird es einen total krass bösen Typen geben“, kündigt Saša an. „Ich will mir beweisen, dass ich das kann.“
Das legt die Latte hoch für Sašas viertes Werk, dessen Erscheinen man als Liebhaber zeitgenössischer deutschsprachiger Literatur ohnehin sehnsüchtig erwartet.