Gemeinsam getrennt gegen die Fluten

Einwohner und Behörden von fünf Balkanstaaten kämpfen gegen eine Hochwasserkatastrophe, die so früh im Jahr gekommen ist wie nie. Statt Schnee gab es in Kroatien, Serbien, Bosnien, Montenegro und im Kosovo Regen. Der ließ zahlreiche Flüsse über die Ufer treten. Die Katastrophe ist menschengemacht. Im Großen wie im Kleinen. Eine Analyse.

Die Una, der Lim, die Drina, die Miljacka, die Sava, der Ibar.

Das sind nur die größeren Flüsse, die in den vergangenen Tagen in Kroatien, Serbien, Bosnien, Montenegro und im Kosovo über die Ufer getreten sind.

Helfer haben hunderte Menschen in Sicherheit gebracht, Schulen und Ämter sind in einigen der betroffenen Gebiete geschlossen worden.

In Serbien ist ein Mann ertrunken. So weit eruierbar ist er das bislang einzige Todesopfer der Hochwasserkatastrophe, die den Westbalkan so früh im Jahr getroffen hat wie nie.

Statt der winterlichen Schneefälle gab es in der vergangenen Woche Regen in unvorhersehbaren Mengen.

Der Ibar hat nach Angaben serbischer Behörden den höchsten Wasserstand, der je gemessen wurde.

Einen Überblick zu gewinnen, welche Gebiete in welchem Ausmaß von der Hochwasserkatastrophe betroffen sind, erscheint unmöglich.

Die jeweiligen nationalen Behörden arbeiten vorwiegend für sich. Es gibt keine übernationalen Stellen, die die Daten zusammenführen würden.

Das erschwert den Kampf gegen die Fluten.

Zahlreiche der übergetretenen Flüsse sind Grenzflüsse, wie etwa Una und Drina, oder fließen durch mehrere Staaten, wie etwa Lim und Ibar.

Zwar tauschen die Behörden bilateral Daten aus, eine übergreifende Koordinierung der Hilfsmaßnahmen kann das nicht ersetzen.

Man kämpft gemeinsam getrennt gegen die Fluten.

Einbetonierte Flussläufe verstärken das Problem

Das freilich ist keine balkanische Spezialität. Und so hinderlich es sein mag, an der menschengemachten Dimension dieses Hochwassers scheint das das kleinste Problem zu sein.

Klar ist, dass diese Katastrophe Folge des weltweiten Klimawandels ist.

Er trifft die ärmsten Regionen besonders hart.

Nach aktuellem Stand der Informationen scheinen etwa der Sandžak sowohl in Serbien wie in Montenegro und der Kosovo die am schlimmsten betroffenen Regionen zu sein.

Das hat neben der globalen auch eine starke regionale Komponente.

Im ehemaligen Jugoslawien sind zahlreiche Flussbetten nach wie vor begradigt und betoniert – so wie in anderen Teilen Europas bis vor 20 Jahren ebenfalls Mode war.

Designierte Überschwemmungsgebiete gibt es kaum.

Das führt dazu, dass Flüsse bei Hochwasser immer schneller fließen und so die Hochwasserkatastrophe verstärken.

Bauen im Hochwassergebiet

Dazu kommt, dass Baugenehmigungen in der Region vergleichsweise leichtfertig vergeben werden.

Die wenigen wachsenden Städte möchten billiges Bauland schaffen. Das finden sie entlang der zubetonierten Flußläufe.

Dort, wo die Flüsse im Sommer alle paar Jahre über die Ufer treten.

Auch das eine Praxis, die in Westeuropa bis vor wenigen Jahren üblich war und teilweise immer noch ist.

Treibend sind hier Korruption und die finanziellen Eigeninteressen von Gemeinden. Je mehr Einwohner, und je mehr Arbeitsplätze, desto höher Einnahmen und politischer Einfluss.

Erschwerend kommt dazu, dass auch kaum Geld für Hochwasserschutz vorhanden ist.

Zum einen sind die Nachfolgestaaten Jugoslawiens mit Ausnahme Sloweniens nach wie vor arme Gesellschaften, Kroatien eingeschlossen.

Zum anderen kommt es durchaus vor, dass Geld für den Hochwasserschutz widmungswidrig verwendet wird.

Es wird nicht der letzte Jänner gewesen sein, in dem es regnet statt schneit

Selbst geplante Hochwasserschutzprojekte mit genehmigter Finanzierung ziehen sich in die Länge, wie etwa in Prijepolje, wie Goran Puzović gegenüber Slobodna Evropa schildert. Er ist Leiter des Hydrologischen Amtes in Serbien.

So ist in dieser Gemeinde nicht geklärt, wem einige der Grundstücke gehören, auf denen die Dämme errichtet werden sollen. Außerdem gebe es – nicht näher erläuterte – Mängel bei den Planungsdokumenten.

Das ist teilweise auch eine Folge der kapitalistischen Restauration seit den 1990-ern. Die führte nicht nur bei ungezählten Grundstücken zu sehr unklaren Eigentumsverhältnissen.

Auch, dass die Staaten im ehemaligen Jugoslawien ihre Flüsse nach wie vor praktisch zu Tode regulieren, und nicht wie etwa in Österreich und Deutschland versuchen, sie in naturnahen Zustand zurückzuversetzen, ist den tiefgreifenden Veränderungen seit den 1990-ern geschuldet.

Die Gesellschaften der Region waren in den vergangenen 30 Jahren derart mit sich selbst beschäftigt, dass für diese Modernisierung – wie für einige andere – schlicht keine Zeit blieb.

Dass das Geld fehlte und fehlt, kommt erschwerend hinzu. Das nebenbei teilweise eine Konsequenz dessen, dass die Nachfolgestaaten Jugoslawiens ökonomisch gesehen mehr oder weniger westliche Kolonien sind.

Das sind keine guten Voraussetzungen, um etwa den Hochwasserschutz so schnell zu verstärken wie es der Klimawandel notwendig macht.

2023 wird nicht der letzte Jänner gewesen sein, in dem es regnet statt schneit.

Titelbild: pxhere.com

2 Gedanken zu “Gemeinsam getrennt gegen die Fluten

    1. Gerne.

      Es war mir ein Anliegen, nachdem ich weder in der Berichterstattung oben noch in der unten einen brauchbaren Überblick gefunden habe, und weil es zu den Hintergründen ja auch wirklich etwas zu sagen gibt.

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