Bosniens Großmutter siegt für uns alle

Heute ist der Tag, auf den Fata Orlović 26 Jahre lang gewartet hat. Die serbisch-orthodoxe Kirche, die nach dem Krieg illegal auf ihrem Grundstück bei Bratunac bei Srebrenica errichtet wurde, ist abgerissen worden. Nach einem jahrzehntelangen Rechtsstaat mit dem serbisch dominierten bonischen Teilstaat Republika Srpska. Dieser späte Sieg ist ein Symbol für eine bessere Zukunft für viele Bosnier gleich welcher Religion.

Bratunac bei Srebrenica. Ausgerechnet hier siegt das Recht über die Gewalt. Wenn auch reichlich spät.

Kaum eine Region steht so für die Verbrechen des Bosnienkriegs in den 90-ern wie diese Region.

1992 ermorden serbische Soldaten in der Bartunacer Katastralgemeinde Konjević Polje den Ehemann von Fata Orlović, Šaćir, und bis zu knapp 30 Mitglieder ihrer erweiterten Familie.

Sie und die sieben Kinder können fliehen.

1995 begehen Soldaten der Armee der Republika Srpska unter dem Befehl von General Ratko Mladić in Srebrenica Völkermord an bosnischen Muslimen, die in die „UN Safe Zone“ in der Stadt geflüchtet waren.

In den Jahren davor ermorden die bosnischen Milizen unter Naser Orić die serbische Zivilbevölkerung mehrerer Dörfer im nahe gelegenen Bratunac.

Hier sind die bosnischen Bloodlands.

Hier regiert das Faustrecht

Hier regiert seit dem Zusammenbruch Jugoslawiens 1992 der Brutalere.

Der lässt es den Unterlegenen nicht vergessen, wer das Sagen hat. Da mag der Krieg noch so lange vorbei sein.

Das hat unmittelbar mit dem Kampf von Fata Orlović um ihr Recht zu tun. Den Kampf, den sie am Samstag gewonnen hat.

Nana Fata, Oma Fata, nennen sie in Bosnien alle, die ihr wohlgesonnen sind. Das sind viele, gleich welcher Religion.

Als Nana Fata im Jahr 2000 zurückkehrt, nach allem, findet sie auf ihrem Grundstück eine serbisch-orthodoxe Kirche vor.

Ein Schwarzbau als letztes Kriegsverbrechen

1996 war das Gebäude errichtet worden.

Die letzten Schüsse des Kriegs waren gerade verhallt, die Leichen in den Massengräbern des Völkermords von Srebenica moderten vor sich hin.

Der Friedensvertrag von Dayton hatte die Region der Republika Srpska zugeschlagen, dem serbisch dominierten Teilstaat Bosniens.

Die gewaltsame ethnische Säuberung Bosniens – überwiegend mit muslimischen Opfern – ging gerade in eine, wenn auch nicht unbedingt freiwillige, aber doch gewaltlose über.

Bevölkerungsaustausch nennt man so etwas euphemistisch, wenn Angst, Hass und politischer Druck nach einem Krieg Massenmigrationen auslösen.

Auch nach Konjević Polje zogen oder flohen 1996 viele Serben.

Für sie gab es eine neue Kirche. Auch und gerade als Symbol, wer hier seit Dayton das Sagen hat. Offener Nationalismus.

Fata Orlović vor der serbisch-orthodoxen Kirche, die illegal auf ihrem Grundstück errichtet wurde. Bildquelle: KOSMO, zVg.

Nana Fata hatte niemand gefragt, ob man auf ihrem Grund etwas bauen dürfte. Ihr Haus war dem Erdboden gleichgemacht worden.

Das ließ sie sich nicht gefallen.

Und zog vor Gericht (Mehr lest ihr in dieser Reportage von KOSMO).

Nana Fata ließ sich nicht einschüchtern

Sie störe sich nicht einmal daran, dass das Gebäude eine Kirche sei, teilte sie mit. Sie respektiere die Tempel aller Religionen gleich, ob Moschee oder Kirche.

Aber dass man auf ihrem Grundstück einfach einen Schwarzbau errichte, das ginge nun nicht.

Bei vielen in der Umgebung kam das nicht gut an.

Nana Fata erhielt Morddrohungen, wurde beschimpft und mehr als einmal auch geschlagen.

Man warf ihr vor, sie schüre nationalistischen Hass.

Sie verzichtete darauf, die Angreifer anzuzeigen. Sie sei verletzt, sagte sie, sie könne selbst niemanden verletzen.

Und gewann so langsam die Herzen jener Bosnierinnen und Bosnier, die nicht von Angst und Hass zerfressen waren.

Ein erster Schritt für eine bessere Zukunft

Von 2000 bis zum 5.6. 2021 dauerte Nana Fatas juristischer Kampf. Die Behörden der Republika Srpska und die orthodoxe Kirche spielten alle juristischen Karten aus, verzögerten, wo sie nur konnten.

Das machte diesen Konflikt zu einem Symbol, ob es in Bosnien jemals wieder gelingen würde, einen Rechtsstaat zu etablieren.

Mit diesem Samstag kann diese Frage vorsichtig mit einem Ja beantwortet werden.

Ein Bagger ist aufgefahren und hat begonnen, die Kirche abzureißen.

Das macht den Sieg von Nana Fata zu einem Sieg nicht für alle Menschen in Bosnien – auch für die, die ihn als Niederlage begreifen – sondern letztendlich für uns alle.

Für Nana Fata hat der späte Sieg nicht nur Freude gebracht.

Sie war so aufgeregt, dass sie ärztliche Hilfe benötigte.

Wie die bosnische Tageszeitung Oslobodjenje schreibt, befindet sie sich mittlerweile auf dem Weg der Besserung.

Sie wolle auf jeden Fall in ihrem Heimatort bleiben.

Vielleicht kann die heute 78-Jährige auch noch von den langfristigen Früchten ihres langen Kampfes naschen.

Die Aufregung um die Kirche wird morgen nicht verschwinden, aber mit der Zeit werden auch viele ihrer Feinde verstehen, dass Nana Fata auch für sie einen ersten Schritt in eine bessere Zukunft errungen hat.

Mehr über die Hintergründe des Streits könnt ihr in dieser Reportage des ARD erfahren.

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