Im Brand der Welten – so heißt die neue und bisher am besten recherchierte Biografie zu Ivo Andrić. Autor Michael Martens hat sie auf Einladung der Uni Wien einem größeren Publikum vorgestellt. Und sich auch auf den Dialog mit einer ausgewiesenen Kennerin von Ivo Andrićs Werk eingelassen.
Man kriegt nicht mehr viele Plätze im großen Hörsaal des Instituts für die Geschichte Südosteuropas.
Ich habe das Glück, dass neben Barbi Marković in der letzten Reihe noch ein Sessel frei ist.
Die bekannte Schriftstellerin ist nicht nur allgemein ein sehr umgänglicher Mensch sondern heute abend auch eine sehr angenehme Sitznachbarin.
Viele Studentinnen und Studenten sind da, einige Beschäftigte der Uni, Dutzende Literaturbegeisterte aus dem ehemaligen Jugoslawien jeglichen Alters, einige österreichische Pensionistinnen und Pensionisten.
Sind’s 150 Leute im Publikum? 200?
Schwer zu schätzen. Jedenfalls gibt es nicht allzuviele Buchpräsentationen in Wien, zu denen mehr Menschen kommen.



Das liegt sicher auch an den ausgesprochen positiven Rezensionen zu „Im Brand der Welten“, hier etwa auf perlentaucher.de
Und es liegt daran, dass sich Autor Michael Martens einer Diskussion mit Miranda Jakiša, Slawistin und ausgewiesene Ivo Andrić-Kennerin, und Oliver Jens Schmitt stellen wird, Experte für die Geschichte Jugoslawiens.
Beide haben Professuren an der Uni Wien.
Und zollen dem Journalisten Martens Respekt, der sieben Jahre lang das Leben von Ivo Andrić recherchierte und Zugang zu Quellen hatte, die vor ihm niemand ausgewertet hat.
„Ich hab als Literaturwissenschaftlerin nichts gegen den biographischen Zugang“, sagt Miranda Jakiša, „obwohl wir uns ja von der Wissenschaft eher nur auf das Werk konzentrieren. Im Gegenteil, ich bin begeistert.“
Oliver Jens Schmitt: „Das ist nicht nur die Geschichte Ivo Andrićs. Sie ist immer in die europäische Geschichte eingebettet.“

Ein Leben in der Nacht, eines am Tag
Das ist bei weitem nicht nur der Bekanntheit des jugoslawischen Schriftstellers geschuldet.
Sondern seinem, je nach Ansichtsache, ersten oder zweiten Leben, das ihn bis zur Nummer zwei der Außenpolitik des Königreichs Jugoslawiens führte.
Seine beiden Leben trennte Andrić streng.
Am Tag war er Diplomat.
In der Nacht Schriftsteller.
Dass er beide Rollen bis zur Perfektion spielte, die am Tag stets professionell wie opportunistisch, die nächtliche gewissenhaft doch auch immer wieder mal den Bedürfnissen der Zeit anpassend, sorgt bis heute für teils erbitterte Diskussionen um seine Person und sein Werk.
Zwei Episoden aus dem Leben des gleichen Menschen
Da ist etwa die Tatsache, dass er als Diplomat in den 30-ern mit der Türkei verhandelte, um die nicht-slawischen Muslime aus Jugoslawien auszusiedeln.
Der Plan scheiterte glücklicherweise.
Hier war er ganz Diener seiner Herren.
Wenig später schildert Martens eine Episode zu Andrićs 70. Geburtstag.
Tito, kein Fan Andrićs sondern von Miroslav Krleža, dem Konkurrenten Andrićs um den Nobelpreis.
Der Empfang fiel belanglos aus, wie Martens anhand der Archive Titos rekonstruiert, die erstmals für eine Andrić-Biografie ausgewertet wurden.
Am Rande des Treffens lässt sich Andrić auf eine Diskussion mit weiteren Anwesenden zum Thema Islam ein.
Die deuten die Auswirkungen des Islam auf den Balkan negativ.
Andrić wirft ihnen vor, die Rolle der Religion rein aus dem Untergang des Osmanischen Reichs zu deuten und die positiven Seiten der osmanischen Herrschaft während der Blütezeit zu vergessen.
Womit er der These seiner eigenen Dissertation widerspricht.
Es bleibt das große Werk
Der Mensch des Tages und der Mensch der Nacht leben häufig in einem Widerspruch zueinander.
Aber eben auch nicht immer.
Auch dafür liefert Martens Werk einige Belege.
Weit mehr als sie in eine Buchpräsentation passen könnten.
Dafür sind ja Leseabende da.

Ungeachtet der Widersprüche bleibt Andrićs Werk als eines der bedeutendsten Zeugnisse der südosteuropäischen Kultur des 20. Jahrhunderts.