Der ganze Balkan ist Freilaufzone für Katzen. Manche haben ein Zuhause, manche keines. Am Bellavista-Platz in Herceg Novi in Montenegro sind die Streuner unverzichtbarer Bestandteil des Lokalkolorits. Das kommt nicht von ungefähr.
Ein gutes halbes Dutzend Katzen schleicht um die Tische des Restaurants herum.
Kein Tisch bleibt unbesucht.
Im Schanigarten des Nachbarlokals ist es nicht anders.
Auf gut Glück bleibt eine sitzen und schaut hinauf, wenn die Gäste essen.
Der Kellner serviert mir eine Goldbrasse. Hier, auf dem wahrscheinlich schönsten Platz in Herceg Novi, kostet sie ein Drittel von dem, was ich in einer Konoba in Strandnähe zahlen würde.
Eine dunkel-schwarz gestreifte Katze bleibt bei mir sitzen.
Es ist Nacht. Genau kann ich ihre Färbung nicht erkennen.
Ich spreche sie freundlich an.
Sie streckt die Vorderpfoten auf die Sessellehne, reckt mir den Kopf entgegen.
Ich bin Hundemensch und weiß wenig über Katzen.
Nicht, dass ich etwas gegen sie hätte. Ich finde sie durchaus lieb und streichle sie gerne.
Ich verstehe sie nur im Regelfall nicht.
Hier mache ich mir keine Illusionen, dass die ausgesprochene Freundlichkeit der Katze mir gelten würde und nicht dem Fisch auf meinem Tisch.
Ich kraule ihren Kopf und sage ihr, sie solle ein wenig Geduld haben. Bald würde etwas abfallen für sie.
Das ist sinnlos. Das liebe Tier würde es in der Sprache ohne Namen schon nicht verstehen. Auf Deutsch sowieso nicht.
Wie dem auch sei, sie lässt sich gerne streicheln und wartet geduldig.
Ich nehme meinen Fisch auseinander und werfe ihr die Flossen zu.
Einen Hund lasse ich immer warten, bis ich fertig bin. Ob’s meiner ist oder ein fremder. So lernen sie, dass sich betteln nicht auszahlt.
Sollte ich das bei Katzen genauso machen oder sind die eher unempfänglich für eine Hierarchie Mensch-Katze?

Das Katzengesetz
Ein paar Reste werfe ich in Richtung der anderen Katzen.
Sie kauern und lauern in einiger Entfernung.
Sie teilen sich die Brocken, offenbar nach Katzengesetz.
Die Goldene schaut eher behäbig drein und lässt den anderen den Vortritt.
Der große Kopf lässt mich vermuten, dass die Goldene ein Goldener ist.
Meine Friseurin Jelena wird meine Vermutung am nächsten Tag bestätigen.
Die Katzen von Trg Bellavista, vom Platz der Schönen Ansicht, sind stadtbekannt.
In den Schanigärten am Platz sitzen fast nur Einheimische. Die Touristensaison ist vorbei.
Ein Backpacker füllt sich die Wasserflasche am Brunnen am Platz.
Der Wind bläst sanft vom Meer herauf. Zärtlich trägt er eine vage Idee der Adria zu uns.
Neben dem Lokal gibt es einen kleinen Platz mit Steinbänken.
Hier stand das Haus von Jelenas Mutter.
Das Erdbeben und die Interpretation des Katzengesetzes
Das Erdbeben 1979 hat die malerische Altstadt von Herceg Novi weitgehend zerstört.
Die meisten Gebäude wurden originalgetreu wieder aufgebaut. Nur das Haus von Jelenas Mutter nicht. Es war kein Geld da.
Auf den Steinbänken am Platz sitzt ein Paar, beide in den 20-ern.
Ein paar Katzen nähern sich vorsichtig.
Die zwei, vor allem sie, versuchen sie zu locken.
Berühren wollen sich die Katzen vorerst nicht lassen.
Das Paar füttert sie. Womit auch immer.
Ich widme mich wieder meinem Fisch.
Am Platz faucht es.
Ich blicke hin.
Zwei Katzen raufen kurz.
Die größere, mit aufgestelltem Schwanz, setzt sich durch.
Offenbar ist das Katzengesetz verschieden interpretierbar.
Im Schanigarten friedlich, streitbar anderswo.
Das Paar versucht zu schlichten. Jede soll was kriegen.
Menschliche Gerechtigkeit für die Tierwelt.
Die kennt solche Vorstellungen nicht.
Ein Dilemma für Tierrechtler.
Nach dem Essen lockt das Paar weiter.
Der Wind wird stärker und die Freche flüchtet
Eine Familie verlässt den Schanigarten. Vielleicht sind sie gerade die einzigen anderen Touristen am Platz.
Die gerade erwachsene Tochter streichelt eine junge Katze. Die lässt es zu. Kurz zumindest.
Ein Kellner stolpert gerade über den Goldenen.
Die Freche, die, die mich so offensiv angebettelt hat, stobt erschreckt ein paar Meter davon.
Sie legt sich auf einer Stufe der Steintreppe hin.
Der Goldene nimmt sich behäbig den Rest des Kopfs meiner Goldbrasse, den die Freche im Schreck übriggelassen hat.
Der Mann vom Nebentisch steht auf. Das Haar kurz geschoren, Bart, weißes Hemd.
Der Wind ist stärker geworden.
Der Bärtige legt die Sonnenschirme um. Ist er der Chef.
Eine Streunerin tapst sich langsam in Richtung Lokaleingang vor. Sie wirkt ungepflegt.
Ein Kellner kommt eher zufällig heraus.
Die Streunerin flüchtet.
Der Goldene nagt jede Gräte meiner Goldbrasse sorgfältig ab.
Die Freche hat sich einen neuen Tisch gesucht.
Im Nachbarlokal hüpft eine Katze auf eine Bank und macht es sich neben den Gästen gemütlich.
Wie es Katzen am Balkan im Allgemeinen sonst so ergeht, könnt ihr HIER nachlesen, inklusive vieler Katzenbilder.
Und HIER seht ihr, was passiert, wenn sich ein Kätzchen ein Lokal als neues Zuhause aussucht.