In Wien haben 60 Menschen vor der bosnischen Botschaft gegen die Zustände im Flüchtlingslager Vučjak auf einer ehemaligen Mülldeponie bei Bihać protestiert. Es sei ein Lager des Todes und eine Schande – nicht nur für Bosnien.
„Wenn wir nicht imstande sind, Menschen zu helfen, sind wir zu nichts mehr zu gebrauchen“.
Es ist Kemal Smajić von der Bosnisch-Herzegowinischen Kulturplattform (BHKP), der die schärfsten Worte findet.
Worte, die an die bosnische Politik gerichtet sind, an die bosnische Community in Österreich, an die Politik in der EU und in Österreich.
Die Bosnier hätten vergessen, wie viele von ihnen selbst vor 25 Jahren Flüchtlinge gewesen seien, sagt Kemal – und schildert seine eigene Flucht nach Österreich als Kind.
„Ich war auch in einem Flüchtlingslager untergebracht. Die Helferinnen und Helfer dort haben mir den Glauben an die Menschheit wiedergegeben“.
Was sich heute im illegalen Flüchtlingslager Vučjak abspiele, sei eine Schande.

„Ich schäme mich für Bosnien“, sagt Kemal. Und kritisiert auch die Bosnierinnen und Bosnier, die in Wien leben: „Bei jedem Fest, das wir veranstalten, kommen sie in Scharen, feiern, lassen sich gutgehen. Heute sehe ich vielleicht 25 von ihnen auf dieser Demonstration“.
Es sind keine Massen, die sich auf Einladung von Rapper Petar Pero Rosandić vulgo Kid Pex, der Sozialarbeiterin und Aktivistin Filis Bilgin und der BHKP versammelt haben.
Menschen haben sich in den vergangenen Monaten aufgerieben
Aber gemessen an den Rahmenbedingungen sind die knapp 60 Menschen auch nicht wenige.

Viele Aktivistinnen und Aktivisten haben sich in den vergangenen fünf Monaten im Wahlkampf in Österreich aufgerieben, alles gegeben, um einen weiteren Rechtsruck im Land zu verhindern.
Waren davor Woche für Woche auf der Straße gegen die damals schwarz-blaue Bundesregierung mit ihrer menschenfeindlichen Rhetorik und Politik.
Die Luft ist draußen für viele.
Zumal das Wahlergebnis in Summe ein Dämpfer für die meisten war. Man braucht eine Pause.
Dazu kommt, dass Bosnien für die meisten Menschen in Österreich emotional viel, viel weiter weg ist als das Mittelmeer.
Darüber darf nicht hinwegtäuschen, dass es gerade Menschen aus Österreich waren, die aufgerüttelt von den Zuständen in Vučjak (siehe HIER) sehr schnell Hilfstransporte organisierten wie die Flüchtlingshelferin Brigitte Holzinger oder der in Wien lebende Künstler Arye Wachsmuth und die Wiener Ärztin Karin Tscharre-Fehr, die zehn Tage lang Dirk Planert unterstützten, der im Lager Flüchtlinge notfallmedizinisch versorgte.
Die heute hier stehen, sie können nicht anders.

Sie müssen, auch wenn sie nicht mehr können.
Mag Bosnien noch so weit weg sein.
Sie kommen von Gruppen wie den Omas gegen Rechts, von Refugees Welcome, vom Hor 29. Novembar.

„Es ist eine Verkettung von Verantwortungen“
Sie protestieren dagegen, dass die bosnische Polizei die Menschen vor die Tür gesetzt hat, die die Flüchtlinge Monate lang medizinisch versorgten.
Und so mit ziemlicher Sicherheit Todesfälle durch entzündete Wunden verhinderten.
„Wenn diese Hilfe kriminalisiert wird, ist es fünf nach 12“, sagt Aktivistin Filis Bilgin. „Wenn die Polizei gegen Menschen vorgehen kann, die Flüchtlingen helfen, kann es jede und jeden von euch treffen“.

„Bosnien bestraft sie dafür, dass sie das tun, was jeder Mensch tun sollte“, kritisiert auch Pero Rosandić. Und erinnert gleichzeitig daran: „Vučjak hat nicht einen einzelnen Schuldigen. Es ist eine Verkettung von Verantwortungen“.
Das seien Verantwortungen in Bosnien, der brutalen kroatischen Grenzpolizei, der EU – und auch die der österreichischen Politik.

So sieht es auch Numan, der 2012 aus Pakistan nach Österreich geflüchtet ist.
„Ich denke nicht, dass Bosnien allein schuld ist. Das ist die EU, das europäische System. Die haben alle anderen Routen zugemacht. Es gibt keinen anderen Weg, hierherzukommen. Was sollen die Menschen denn machen?“
Auch wenn es mittlerweile außerhalb des Lagers eine notdürftige medizinische Versorgung gibt – viele Teilnehmer der Demonstration befürchten, dass es über den Winter in Vučjak Tote geben wird.
Manche sprechen auch von einem Lager des Todes.
Aktivistin Filis verspricht, dass sie nicht nachlassen wird. „Wenn es nötig wird, werden wir wieder hier stehen“, sagt sie.
Zumindest von Wien aus wird man die Schande Bosniens und die Schande der EU weiter im Auge behalten.