Es fährt kein Zug, nicht mal nach Nirgendwo

Den alten Beograder Hauptbahnhof gibt es nicht mehr. Er wurde für ein milliardenteures privates Investitionsprojekt eingestellt. Serben und Touristen bezahlen das mit Chaos. Das ist nicht der einzige Nachteil, den das Projekt Belgrade Waterfront für die Bürger der serbischen Hauptstadt bringt.

Die elektronische Tafel am Bahnsteig zeigt nicht einmal mehr anstandshalber an, wohin der letzte Zug aus dem Beograder Hauptbahnhof gefahren ist.

Ein paar deutsche Touristen auf einer Studienreise besichtigen das stillgelegte einstige Herz der Bahninfrastruktur der serbischen Hauptstadt.

Ein Kunststudent zeichnet auf seinem Block.

Hinter den Gleisen auf dem Bahnhofsgelände reißt ein Bagger ein altes Ziegelsteinhäuschen ab.

Im Hintergrund stehen moderne Stahl-Glas-Gebäude, zwischen ihnen ein Kran.

Der Fahrkartenschalter ist besetzt. Die Fahrkartenverkäuferin telefoniert. Ob dienstlich oder privat, ist nicht auszumachen.

Vermutlich Letzteres. Dass sie Formulare für Fahrkarten nachbestellt, ist eher unwahrscheinlich.

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Das Bahnhofsrestaurant ist noch in Betrieb.

Der Reiseführer der Deutschen, ein örtlicher Aktivist, erklärt, was hier los ist. Es fallen die Stichwort Belgrade Waterfront und private Investoren.

Ausgerechnet jenes Projekt, dessen Werbung auf einer Plakatwand die stadtseitige Fassade des ehemaligen Bahnhofs seit vier Jahren ziert oder verunstaltet, je nach Perspektive, ganz sicher aber zu einem Gutteil verdeckt.

„Die Polizei bewacht das Plakat rund um die Uhr“, sagt Ksenija Radovanović.

Ksenija ist Aktivistin in der Bürgerinitiative Ne Da(vi)mo Beograd, kurz NDM BGD.

Eine Serie von Auffälligkeiten

NDM BGD gibt es in etwa so lange wie das Plakat auf der Bahnhofsfassade. Die Initiative hat sich aus Protest gegen die Belgrade Waterfront formiert.

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Der Haupteingang des Hauptbahnhofs, fotografiert im Jahr 2016. Ganz links ist das Werbeplakat für die Belgrade Waterfront angeschnitten, das den gesamten linken Flügel bedeckt.

Unter diesem Namen investiert Unternehmen Eagle Hills aus den Vereinigten Arabischen Emiraten drei Milliarden Dollar in Bauprojekte entlang des Sava-Ufers im Stadtzentrum.

Offiziell nennen das die Regierung Serbiens, der Hauptstadt sowie Belgrade Waterfront selbst „Entwicklung“.

Von Beginn an wird diese Stadtentwicklung von Auffälligkeiten begleitet. Beziehungsweise von Skandalen, wie es NDM BDG nennt.

Das Bahnhofsplakat ist ein Symbol für diese Auffälligkeiten.

Es hängt seit Juni 2014. Damals präsentierten die Investoren den Masterplan für die Belgrade Waterfront.

Das war ein knappes Jahr, bevor sie überhaupt einen Vertrag mit der Stadt und der serbischen Regierung unterzeichneten.

Auch die Flächenwidmungen für das Stadtentwicklungsprojekt waren nicht erfolgt. Das passierte erst im Jänner 2015. Drei Monate, bevor die Verträge unterzeichnet waren.

„Der neue Stadtentwicklungsplan war eine exakte Kopie des Masterplans, den die Investoren im Juni 2014 präsentierten“, schildert Ksenija.

Anders ausgedrückt: Ein privater Investor bestellt sich bei einem Staat und seiner Hauptstadt einen Stadtentwicklungsplan, den er selbst aufgesetzt hat, und bevor noch irgendwelche Verträge unterzeichnet sind, macht er Werbung auf einem öffentlichen Gebäude und die Stadtregierung übernimmt seine Vorstellungen 1:1.

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Der Hauptsitz der Belgrade Waterfront.

Und zeigt sich auch bei der Umsetzung des Stadtentwicklungsplans großzügig.

Noch so ein Zufall

Der Plan sieht vor, eine größere Strecke entlang des Sava-Ufers zu privatisieren. Beziehungsweise Grundstücke zu enteignen, die schon Besitzer haben.

Das betrifft nicht nur die Uferpromenade und einige Gartenhäuschen.

Auch Wohnhäuser und Geschäfte fallen der Abrissbirne von Belgrade Waterfront zum Opfer. Etwa im Sava Mala-Viertel wie der Hercegovačka Straße.

Sollten Bewohner oder Eigentümer gegen eine Enteignung klagen, tauchen schon mal nächstens Maskierte mit Baseballschlägern und Abbruchgerät auf und demolieren ein Gebäude.

Zufälligerweise eines, das der Belgrade Waterfront im Weg steht. In der Ulica Hercegovačka.

Die Polizei fühlte sich nicht zuständig.

Offiziell hat sich das nach den Massenprotesten von NDM BGD geändert.

Die maskierten Hobbyhausabreißer sind freilich immer noch unbekannt.

Es könnte diesmal nicht nur an den ortsüblichen Verschwörungstheorien liegen, dass die Beograder weit über NDM BGD hinaus vermuten, dass die eine oder andere nicht zwingenderweise legale Zahlung an den einen oder anderen Amtsträger dafür sorgt, dass die Milliardenprivatisierung für die Investoren weitgehend glatt verläuft.

Ein nicht ganz so zentraler Zentralbahnhof

Gegenüber den eigenen Bürgern zeigen sich Bundesregierung und Stadtverwaltung nicht ganz so zuvorkommend.

Die Verbindungen des alten Hauptbahnhofs wurden auf mehrere Bahnhöfe verteilt.

Von Topčider aus fährt man nach Montenegro, von Zemun nach Sremska Mitrovica, Vršac and Zrenjanin erreicht man vom Donaubahnhof aus.

Die internationalen Verbindungen wurden nach Prokop im Stadtviertel Nejmar umgeleitet.

Der Bahnhof heißt jetzt Beograd Central.

Was etwas irreführend ist. Zentral ist nicht das Wort, das einem bei einem Bahnhof in derart abgelegener Lage einfällt.

Zumal das Gebäude bis heute nicht fertiggestellt ist.

Der Stock über den unterirdischen Bahnsteigen besteht aus der Betondecke, aus der Stützelemente aus Stahl herausragen.

Es gibt die Bahnsteige samt funktionierenden Anzeigetafeln und Stiegen. Fahrtkartenschalter sucht man vergeblich. Und auch sonst so ziemlich alles, was man gemeinhin mit einem Bahnhof in Verbindung bringt.

Nicht mal Taxis stehen hier standardmäßig und es gibt gerade mal drei oder vier Busverbindungen ins Stadtzentrum.

„Allein die Investoreninteressen berücksichtigt“

Offenbar ist es nicht gelungen, den existierenden Bahnhof Propkop aus den 70-ern in den gut vier Jahren zum Hauptbahnhof auszubauen, die zwischen den ersten Plänen und dem Aus für den alten Hauptbahnhof liegen.

Das verwundert nicht. Vier Jahre sind denkbar wenig Zeit für ein Projekt dieser Größenordnung.

„Der Zeitplan wurde offenbar nicht nach den Interessen der Betroffenen gestaltet, das sind die Bürger“, sagt Ksenija. „Man hat allein die Investoreninteressen von Belgrade Waterfront berücksichtigt – und, dass es im Wahlkampf gut für die SNS (die Partei von Präsident Aleksandar Vučić, die mittlerweile auch den Bürgermeister der Hauptstadt stellt, Anm.) aussieht.“

Gut sah es dank offenkundig voreiliger Ankündigungen aus. „Prokop wurde uns als neueröffnet vorgestellt“, sagt Ksenija. „Aber das waren nur kosmetische Veränderungen an dem Gebäude, das man in den 70-ern zu bauen begonnen und nie fertiggestellt hat.“

Zu den anderen Ersatzbahnhöfen meint sie: „Allen fehlt die Infrastruktur für die zusätzlichen Fahrgäste.“

Die Verkehrssituation hat sich verschlimmert

Nicht, dass es so viele wären. Das Bahnnetz in praktisch allen Nachfolgestaaten Jugoslawiens ist ausgedünnt. Serbien ist da keine Ausnahme.

Zwischen den beiden größten Städten, Novi Sad und Beograd, gibt es am Wochenende etwa nur alle zwei Stunden eine Verbindung. Und die braucht länger als der Bus.

Das trifft vor allem die Hauptstadt. „Wir haben ein großes Verkehrsproblem“, sagt Ksenija. „Die Bahnlinien könnten ein Teil der Lösung sein, sind es aber nicht.“ Nachsatz: „Es war vorher schon schlimm. Jetzt ist es schlimmer geworden.“

Die Belgrade Waterfront und eine offenkundig etwas behäbige Stadtpolitik haben die Situation weiter verschlimmert.

Auch abseits von Verkehrsfragen zeigt man sich wenig gesprächsbereit.

Kritik wurde übergangen

Das spürt auch NDM BGD. Als die Pläne vorgestellt wurden, versuchte die Bürgerinitiative, die Kritik der Anrainer und anderer Stadtbewohner zu organisieren.

Heraus kam ein Katalog mit 1.200 Änderungen am Stadtentwicklungsplan, die die Initiative für notwendig hält.

„Wir haben die Änderungen bei der öffentlichen Anhörung zum Stadtentwicklungsplan vorgestellt. Die hat sechs Stunden gedauert. Alle unsere Forderungen wurden abgelehnt“.

Ksenjia, Aktivistin von Ne da(vi)mo Beograd

Und so werden beachtliche Teile der Beograder Innenstadt weitgehend ohne Mitsprache der Betroffenen den Interessen privater Investoren untergeordnet.

Das nächste Opfer

Die ziehen Luxuswohnungen und Geschäftsviertel aus dem Boden, von denen normalverdienende Serben der Meinung sind, sie könnten sie sich nie leisten.

Nicht zu Unrecht. Laut dem Businessportal eKapija kostet die günstigste Wohnung des Projekts 156.000 Euro.

Der Durchschnittslohn in Serbien liegt unter 400 Euro netto im Monat.

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Den Bauplänen wird demnächst auch der Busbahnhof zum Opfer fallen.

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Wie beim Hauptbahnhof gibt es nicht wirklich einen adäquaten Ersatz.

Der neue Busbahnhof soll in Novi Beograd entstehen, im Viertel Blok 42. Dort soll auch der Bahnhof Novi Beograd integriert werden.

Nur, auch diese Lage ist nicht wirklich zentral. Das Projekt liegt beim Sava Center.

Voraussichtlich wird auch der neue Busbahnhof nicht fertig sein, wenn der alte der Belgrade Waterfront Platz machen soll.

Die ersten Pläne wurden vor zweieinhalb Jahren vorgestellt. Die ersten Abrissarbeiten haben schon im August begonnen.

Bis der neue Busbahnhof eröffnet wird, werden sich Passagiere mit einigen Containern im Savski Amfiteatar begnügen müssen.

Keine Stellungnahme von der Belgrade Waterfront

Balkan Stories hat für diese Reportage auch die Belgrade Waterfront um eine Stellungnahme zu den Vorgängen rund um den Bahnhof gebeten. Die Firma hat die Fragen bis dato nicht beantwortet.

In der Vergangenheit haben die Verantwortlichen gegenüber Medien stets jegliche Verwicklung in Korruption und andere aufklärungsbedürftige Vorgänge in Abrede gestellt.

Das Projekt sei eine große Weiterentwicklung für die serbische Hauptstadt und werde Wohnraum für tausende Menschen schaffen.

Sofern die es sich leisten können.

Das Bahnhofsgebäude soll bleiben

Vielleicht ist es für die Betroffenen ein schwacher Trost, dass wenigstens das Gebäude des alten Bahnhofs zu der Handvoll Gebäude im Baugebiet der Belgrade Waterfront zählt, die nicht abgerissen werden dürfen.

Der Bahnhof steht unter Denkmalschutz.

Er soll ein Museum beheimaten. Welches, ist in den vergangenen vier Jahren nicht entschieden worden. Aktuell ist ein Museum für mittelalterliche Geschichte in Serbien hoch im Kurs. Aber das kann sich auch wieder ändern.

Wobei Voraussetzung für ein Museum ist, dass nicht wieder nächstens maskierte Hobbyhausabreißer auftauchen.

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