Nazif Mujić ist tot. Der Gewinner des Silbernen Bären der Berlinale 2013 starb verarmt in seiner Heimatgemeinde Svatovac in Nordbosnien. Sein Tod zeigt die katastrophalen sozialen Zustände auf.
Es hat wenige Schauspieler gegeben, denen die Herzen auf der Berlinale so zuflogen wie Nazif Mujić 2013.
Mit seiner ersten und bislang einzigen Filmrolle gewann er einen der prestigeträchtigsten Preise der europäischen Filmbranche: Den Silbernen Bären.
Die Fotos der Preisverleihung sind die, die mit denen uns Nazif in Erinnerung hätte bleiben sollen.

Ein Mann, der einmal in seinem Leben ein Talent ausgelebt hat, von dem er selbst vielleicht nicht einmal wusste, dass er es besaß. Der dafür zu Recht gefeiert wurde.
Ein Triumph der Kunst über das Leben, vielleicht. Ein kitschiges Happy End vielleicht. Aber ein wohlverdientes.
„Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ heißt der Film von Danis Tanović, der Nazif bekannt macht.
In dem Doku-Drama spielte er sich selbst. Als Schrottsammler wird er in die Filmgeschichte eingehen, der irgendwie versucht, seine Familie und sich selbst zu ernähren.
Der Applaus galt auch seiner Lebensleistung. Eines der seltenen Male, dass die harte Arbeit von jemand am Rande unserer Gesellschaft Anerkennung fand.
Unter allen Widrigkeiten weitermachen, irgendwie – wer dem ausgesetzt, den betrachten wir in unserer Gesellschaft bestenfalls mit Mitgefühl. Nie mit Respekt.
Zumindest für ein paar Minuten war das anders auf der Berlinale 2013.
Da war der Arbeiter der Held. Nicht der Prinz auf dem weißen Pferd wie sonst.
Der Silberne Bär brachte kein besseres Leben
Glück gebracht hat Nazif das nicht.
Unter den widrigen sozialen Umständen in Bosnien gelang es ihm immer schlechter, seine Familie und sich zu versorgen.
Im Vorjahr verkaufte er sogar seinen Silbernen Bären an ein Cafe, um über die Runden zu kommen. 4.000 Euro bekam er. Das reicht nicht einmal in Bosnien lang.
Das Auto, für einen Schrottsammler lebensnotwendiges Arbeitsmaterial, war da schon lange verkauft.
Aus der Armut, die er mit seiner Filmrolle greifbar gemacht hat, entkam er immer schlechter.
Zoran Solomun erzählt für den SWR diese Geschichte sehr anschaulich als Podcast. Erst vor vier Tagen ist das Feature erschienen.
Am Sonntag hat Nazif die Armut das Leben gekostet. Nazif starb im 49. Lebensjahr. Zuletzt war er krank und auf Insulin angewiesen.
In einem anderen Land, in einer besseren Welt, noch nicht mal der besten vorstellbaren aller Welten, würde er noch leben.
Als armer Mensch in Bosnien hatte er, wenn überhaupt, nur unregelmäßigen Zugang zu medizinischer Versorgung. Zumal als Rom.
Ein alltäglicher Skandal. Oder: SicheresHerkunftslandmyass
Sein Tod ist eines der täglichen Schicksale in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Unbeachtet vom europäischen Zentrum, das aus der Peripherie nur Erfolgsmeldungen erwartet über Wirtschaftsaufschwung und Demokratieaufbau, ob gelogen oder nicht.
Gelegentlich empört man sich über den Nationalismus am Ex-Balkan. Nicht zu Unrecht, aber was ist das schon im Vergleich zur allgegenwärtigen Armut, die Betroffene in ihr frühes Grab bringt?
Dass Menschen wie Nazif an der Armut krepieren unmittelbar vor unserer Haustür, das ist der eigentliche Skandal. Und der noch größere ist, dass wir wegschauen.
Und dass wir, wenn diese Leute an unsere Tür klopfen, sie auch noch wegschicken. Wie Nazif, dessen Asylgesuch in Deutschland 2014 abgelehnt wurde.
Bosnien gilt als sicheres Herkunftsland. SicheresHerkunftslandmyass, Nazif ist dort an seiner Armut krepiert. Wie sicher kann sowas sein?
Man könnte das ja vielleicht noch rechtfertigen, gebe es ernstzunehmende Hilfsprogramme für Bosnien, für Serbien, den Kosovo, für Mazedonien, für Montenegro und in geringerem Ausmaß für das EU-Mitglied Kroatien.
Wie der Balkan im Stich gelassen wird
Dann wäre Nazifs Tod eine vielleicht schwer vorherzusehende Tragödie gewesen.
Stattdessen unterstützen wir in diesen Länder korrupte (und, nebenbei, nationalistische) Politiker, schneidern Förderprogramme so zu, dass sie westlichen Konzernen etwas bringen und nicht der örtlichen Bevölkerung, lassen Fördermittel versickern in internationalen bürokratischen Hierarchien.
Und reden uns ein, das sei alles höchst erfolgreich. Immerhin, man schießt nicht mehr aufeinander.
Man krepiert nur mehr an Armut. Und sei man noch so talentiert.
Wenn man Glück hat, wandert man legal aus. Glück zu haben, bedeutet fast ausnahmslos, kein Rom zu sein und nicht arm zu sein. Das hatte Nazif nicht.
Das nimmt die bosnische Politik und die bosnische Zivilgesellschaft nicht aus der Verantwortung (und für die serbische etc. denke man sich einfach das Gleiche.)
Bosna mora bolje!
Dass die internationale Politik diese Länder im Stich lässt, kann und darf keine Entschuldigung sein, selbst nichts zu tun.
Man kann auch unter diesen Rahmenbedingungen ein besseres Land schaffen. Man muss es tun.
Darauf zu warten, dass alle auswandern und der Letzte das Licht ausmacht, ist keine Lösung.
Bosna može bolje! Bosna mora bolje!
So fern der Gedanken auch vielen liegen mag.
So bleibt diesem Blog nur, die Pressemitteilung der Berlinale-Leitung zu zitieren:
„Mit großem Bedauern haben die Internationalen Filmfestspiele Berlin erfahren, dass Nazif Mujić am 18. Februar 2018 verstorben ist.“
Und mit Bitterkeit und Wut nehmen wir es zur Kenntnis.
Titelfoto: Nazif Mujić (c) Richard Hübner, Berlinale 2013.