arte hat in einer neuen Doku aufgezeigt, wie europäische und internationale Entwicklungspolitik in Bosnien und im Kosovo gescheitert sind.
Es ist ein Werk, das Diskussionen auslösen sollte. Die Doku Bosnien und Kosovo: Europas vergessene Protektorate zeigt ungeschönt, wie und warum die internationale Gemeinschaft beim „nation building“ am Balkan gescheitert ist.
52 Minuten lang zeigen der Journalist Rüdiger Rossig von der taz – ein ausgewiesener Experte für Ex-Jugoslawien – und der Regisseur Zoran Solomun Beispiel auf Beispiel, wie ideologisierte Entwicklungshilfe, Korruption und Bürokratie den Menschen im Kosovo und in Bosnien jede Perspektive nehmen.
Und wie allen Jubelmeldungen zum Trotz EU, UNO und NATO weder Medienfreiheit noch Rechtsstaat zum Sieg verholfen haben um das nicht zu opfern, was man für Stabilität hält.
Sie besuchen ehemalige Arbeiter leerstehender Fabriken in Bosnien. Opfer der Dogmen Privatisierung und Wettbewerb, die die internationale Gemeinschaft der Politik nach dem Krieg aufgezwungen haben. Die Schocktherapie endete damit, dass nahezu die gesamte Industrie geschlossen wurde. Die Investitionen, die die Schnäppchenjäger aus dem Westen versprochen haben, blieben aus. Was übrig blieb von den Fabriken, ließ sich auch so gewinnenbringend zu Geld machen.
Sie besuchen die zwei einzigen unabhängigen Zeitungen im Kosovo, die Korruptionsskandal nach Korruptionsskandal aufdecken. Weitgehend folgenlos.

Verlierer, Profiteure, Verantwortliche
Rossig und Solomun sprechen mit denen, die in dieser Entwicklung jede Perspektive verloren haben. Sie interviewen Aktivisten, reden mit Profiteuren des Systems genauso wie mit denen, die die internationale Politik in diesen Ländern umsetzen sollen.
Diese 52 Minuten Film vermitteln ein authentisches und scharfes Bild der Lage in diesen Ländern, die man am besten als Protektorate beschreiben kann.
Sie zeigen, wie aus den Milliarden internationaler Entwicklungshilfe ganz legal zwei- oder bestenfalls dreistellige Millionenbeträge werden, die bei den Zielprojekten ankommen. Ganz legal.
Wie überhaupt die Geberländer den Großteil der Entwicklungshilfe für Bosnien und den Kosovo bei sich zuhause geben.
Und sie werfen die Frage auf, warum ein Kilometer Autobahn im Kosovo teurer ist als in Deutschland. Und warum ausgerechnet ein US-Konzern an diesem öffentlichen Auftrag verdient.
Empathische Sachlichkeit
Das alles würde zu viel Polemik verleiten. Dieser Versuchung widersteht „Europas vergessene Protektorate“. Die Doku überzeugt mit empathischer Sachlichkeit und guter Recherche.
Dafür ist nicht nur die ausgewiesene Expertise von Rüdiger Rossig und Zoran Solomun verantwortlich sondern auch ihre Personalauswahl beim Produktionsteam.
Die Aufnahmeleitung im Kosovo etwa hat die Journalistin Una Hajdari übernommen. Sie ist Expertin für politischen Aktivismus und Korruption. Unter anderem war sie vor kurzem Studiogast bei der politischen Web-Reihe Talk Real.
Wer verstehen will, warum allein im Jahr 2015 50.000 Menschen aus Bosnien ausgewandert sind und die Region ein Nährboden für Nationalismus bleibt und langsam auch für islamischen Fundamentalismus wird, sollte diese Doku sehen.
Die am 22. Februar erstmals gezeigte Doku gibt es hier zum Nachsehen.
Bosnien und Kosovo: Europas vergessene Protektorate
Fotos: (c) Rüdiger Rossig
Ein Gedanke zu “Wer verstehen will, muss sehen. Filmtipp.”