Der Kampf gegen die blinden Flecken

Literatur aus dem ehemaligen Jugoslawien ist im Westen mit wenigen Ausnahmen unbekannt. Passt die oft erstaunliche Kreativität von Autorinnen und Autoren nicht ins Klischeefach, wird sie kaum beachtet. Der Design Club Wien und die Hauptbücherei der Büchereien Wien wollen mit der Veranstaltungsreihe Filter gegen diese blinden Flecken vorgehen. Am 15. Mai haben sie mit Muharem Bazdulj einen der bekanntesten zeitgenössischen ex-jugoslawischen Schriftsteller im Programm.

Man kann kaum einen besseren Schriftsteller und Autor finden als Muharem Bazdulj um zu zeigen, dass einem der Versuch, Schriftsteller und Literatur national zu vereinnahmen, zwischen den Fingern zerrinnen muss.

Der geborene Travniker lebt seit Jahren in Beograd. Für ihn die einzige Großstadt, in der er auch seine Mutter- und Arbeitssprache verwenden kann. Die, die man früher serbokroatisch nannte.

Seine Romane schreibt er im bosnischen Idiom. Das Geld verdient er mit Artikeln für die Zeitschrift Vreme, die im serbischen Idiom erscheint. Seine Alltagssprache hat sich dem Beograder Dialekt angenähert.

Und dann wäre noch sein literarisches Werk, für einen Schriftsteller vielleicht nicht ganz unbedeutend.

Auf 14 Bücher kommt der heute 40-jährige Autor. Eine ziemliche Leistung. Zumal er nahezu alle literarischen Genres bespielt: Kurzgeschichten, Romane, Essays, veröffentlichte Reden und ein Sonettband finden sich im Oeuvre. Daneben Veröffentlichungen in einer Reihe von Literaturmagazinen und journalistischen Formaten: Rezensionen, Kommentare, Reportagen und so weiter.

Muharem ist einer der wenigen zeitgenössischen Autoren aus dem ex-jugoslawischen Raum, dessen Werke übersetzt wurden. Der Roman „Ðaur i Zulejha“ erschien als „Suleika und der Ungläubige“ (beziehungsweise, je nach Verlag, auch umgekehrt) 2008 auf Deutsch und wurde auch ins Englische übersetzt, „Tranzit, kometa, pomracenje“ als „Transit, Komet, Eklipse“ 2010.

Beide Romane sind in Übersetzung in mehreren Auflagen erschienen.

Mit der Kurzgeschichtensammlung „The Second Book“ hatte er 2002 einen ersten internationalen Erfolg.

Das Land Steiermark hat ihn für 2017 zum Writer in Residence ernannt.

„Literarisch auf höchstem Niveau“

Man kann ohne Übertreibung sagen, der Designclub Wien und die Hauptbücherei der Stadt Wien haben einen Schriftsteller von Bedeutung für eine Lesung engagiert.

Muharem wird seinen Roman „Suleika und der Ungläubige vorstellen“. Die Geschichte der Sehnsucht von Lord Byron nach der Bosnierin Zulejha (in der Übersetzung: Suleika), die als schönste Frau des Osmanischen Reichs gilt.

„Gerade mit Suleika und der Ungläubige stellen wir bei dieser Lesung einen Roman vor, der das Aufeinandertreffen und das Zusammenleben von Menschen aus verschiedenen Kulturen spannend und literarisch auf höchstem Niveau behandelt“, sagt Christian Jahl, Leiter der Hauptbücherei. „Mit solchen Veranstaltungen können wir die Bücherei als interkulturellen Treffpunkt etablieren. In einer Stadt, in der so viele Menschen aus so vielen Kulturen friedlich miteinander leben, ist das ein wichtiges Angebot.“

In diesem Fall ein Angebot, das einer im Westen lange vernachlässigten Literaturregion ihren Platz einräumt. Und immerhin ist diese Region auch die Heimat mehr als jeden zehnten Wieners und jeder zehnten Wienerin.

„Mit der Reihe Filter wollen wir den Österreichern großartige Autorinnen und Autoren aus der unmittelbaren Nachbarschaft vorstellen. Damit hoffen wir auch, Interesse für die spannende Literatur aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens zu wecken, die leider trotz vieler Erzähltalente weitgehend unbekannt ist“, sagt Tamara Drahosch vom Designclub Wien, Initiatorin der Veranstaltungsreihe.

„Wie groß das Potential der Balkanliteratur ist, zeigt allein der Umstand, dass mit Barbi Marković eine Autorin, die in Österreich vorher kaum jemand gekannt hat, gleich mit Superheldinnen, ihrem auf Deutsch geschriebenen Roman, zwei bedeutende Literaturpreise bekommen hat“, ergänzt sie.

Teil der Reihe Filter sind auch Auftritte von Goran Vojnović, Ognjen Spahić und Miljenko Jergović, dessen Kurzgeschichtensammlung „Sarajevo Malboro“ zum internationalen Beststeller wurde.

„Schriftsteller vom Balkan werden selten nur als Schriftsteller gesehen“

Muharem sieht dem Auftritt mit Vorfreude entgegen. Er hoffe, dass auch die Podiumsdiskussion interessant werde, sagt er gegenüber Balkan Stories. Welche fragen kommen, würde vor allem davon abhängen, welches Publikum zur Veranstaltung kommt: Dijaspora oder gemischt.

„Schriftsteller vom Balkan werden selten nur als Schriftsteller gesehen. Man fragt uns meistens auch wegen politischer Themen. Vielleicht ist das in meinem Fall nicht so ungewöhnlich, weil ich ja auch Journalist bin. Ich hoffe jedenfalls, dass es ein Publikum sein wird, das aus Mitgliedern der Dijaspora und Leuten ohne Migrationshintergrund besteht, was ich für gut halte. Da ist mit einer interessanten Diskussion über Leben und Literatur zu rechnen.“

Buchpräsentation der Lesereihe Filter am 15.5.2017 um 19h
Hauptbücherei Büchereien Wien
Urban-Loritz-Platz

DER UNGLÄUBIGE UND ZULEJHA von Muharem Bazdulj
Lesung auf Deutsch: Nicole Weber
Podiumsdiskussion mit Muharem Bazdulj, Tamara Drahosch, Marija Dabić (Schriftstellerin und Übersetzerin), Miroslav Prstojević (Autor, Journalist und Buchhändler) und Nicole Weber (Radio- und Fernsehsprecherin und Schauspielerin)
Der Eintritt ist frei.

Muharem Bazdulj ist am 23. 5. in Graz zu sehen. Dort stellt er seinen neuen Roman „Mali prozor“ vor, der bislang nicht übersetzt wurde. Details hier.

Titelfoto: Muharem Bazdulj. (c) Nebojsa Mandić

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