Tito und die Symbole des untergegangen Jugoslawiens steht in unterschiedlichem Maß für Millionen Einwohner der Nachfolgestaaten für bessere Zeiten oder den Traum einer besseren Welt. Geschäftemacher haben bei der YU-Nostalgie auch gerne den schnellen garantierten Euro im Auge.
„Hier kommen Leute her, die die Trennung Jugoslawiens nicht für eine gute Idee halten“, sagt mir der Kellner. „Hier ist es egal, ob du Kroate bist oder Serbe oder sonstwas. Wir wollen hier keinen Hass.“
Wir sind zufällig in die Kafana SFRJ in der Ulica Kralja Marka in Beograd gekommen. Ich hatte das „Casa Garcia“ in der Straße gesucht, mein altes Stammlokal von vor zehn Jahren mit der Fahne der Spanischen Republik an der Bar. Das ist seit Ewigkeiten geschlossen. „Wegen Renovierung“, steht auf einem Schild.
Der Rote Stern Jugoslawiens hundert Meter die Straße runter schien ein akzeptabler Ersatz für Pablo, Monika und mich.
„Wir waren einmal ein starkes Land“, sagt der Kellner. „So stark, dass man uns mit einem Krieg auseinanderbringen musste.“
Fahnen Jugoslawiens und der Teilrepubliken hängen an der Bar. Das Staatswappen auch. Tito-Büste in einer Ecke. Portraits bedeutender Mitglieder der KPJ an den Wänden, Bilder kämpfender und posierender Partisanen. Gegründet wurde das Cafe 2014.
Souvenir-T-Shirts mit rotem Stern gibt es um umgerechnet 6 Euro das Stück.
Nikola will mir seine Heimat zeigen
An einem Tisch unter einem überlebensgroßen Tito-Gemälde sitzt ein junger hagerer Mann mit einem Freund und winkt freundlich herüber.
Nikola ist Kellner in einem traditionellen Restaurant am Stadtrand in der Ulica Narodnog Fronta, der Straße der Volksfront. Auch in diesem Namen lebt Jugoslawien noch.
Wir unterhalten uns in einer Mischung aus Naški und Englisch. Nikolas Lebensgefährtin und Mutter seines Sohnes ist Englischlehrerin, sagt er mir. Er hat leider nie die Gelegenheit gehabt, die Sprache ordentlich zu lernen. Nikola arbeitet, seitdem er 15 ist.
„Ich komme aus Guča“, sagt er mir stolz. „Wenn du mal im August in Serbien bist, ruf mich an. Dann gehen wir zum Festival. Ich hab dort auch ein Haus, da kannst du bei mir übernachten.“
Wer die Menschen am Balkan kennt, weiß, die Einladung ist ernst gemeint.
Pablo und Monika sitzen auf ihrem Tisch neben der Tito-Büste und turteln über zwei großen Nikšićko.
Nikola gibt mir auch ein paar Tipps, was ich mir sonst noch ansehen könnte. Eines liegt ihm besonders am Herzen. „Kustendorf“, sagt er. „K-U-S-T-E-N-D-O-R-F“.
Das ist ein serbisches Dorf, das der Regisseur Emir Kusturica nachgebaut hat.
Nikola ist ein äußerst angenehmer Mensch, der die Schönheiten seiner Heimat gerne Gästen zeigen will. Egal, wo sie herkommen und was sie sind. „Ich hab auch Roma als Freunde. Das ist bei uns leider ungewöhnlich.“
Und morgen soll ich auf jeden Fall ins Trpeza kommen, das Lokal in dem er arbeitet.
Turbo-Folk und eine serbisch-patriotische Mazedonierin
Am Nebentisch singt Teja eines der Turbo-Folk-Lieder mit, das irritierenderweise aus der Juke Box kommt. Die Musikauswahl passt nicht ins Lokal.
Turbo-Folk, das ist das Äquivalent der deutschsprachigen volkstümlichen Musik. Biedermeierlich, romantisierend, oft genug mit nationalistischem Unterton.
„Das serbische Volk ist ein gutes Volk“, sagt Teja. „Ein Volk mit Mut, das vor niemandem Angst hat, weil es das Leben liebt. Und es ist ein freundliches Volk, das sehr gastfreundlich ist.“
Teja kommt aus einer mazedonischen Familie und ist in Beograd aufgewachsen. Sie ist Stammgast hier.
Sie arbeitet in einem Friseurladen und würde gerne Sängerin werden. Abgesehen vom Musikgeschmack: Ihre Gesangsstimme ist großartig.
Die halbe Familie ist weggezogen, sagt sie. „Mein Bruder ist in Indiana, in Amerika. Er arbeitet in einem Casino. Meine Schwester und ein Onkel leben in Berlin. Die war ich vor zwei Jahren besuchen. Schön ist es dort.“
Die Live-Band passt nicht hierher
Eine Live-Band kommt herein. Akkordeon, zwei Geigen und ein Bass. Das halbe Lokal wird umgeräumt. Zwei Männer tragen die bronzene Tito-Büste von ihrem Standplatz in eine Nische nahe dem Lager.
Der Akkordeonspieler stimmt ein traditionelles Lied an. „Das ist OK, aber da will ich nicht mitsingen“, sagt Teja.
„Ich verdiene hier nur 200 Euro. Aber ich liebe mein Beograd“, sagt sie unvermutet in meine Richtung.
Ein volkstümliches Lied folgt dem nächsten. Von YU-Rock keine Rede. Partisanenlieder sind auch keine dabei.
Nur einmal klingen „Die Arbeiter von Wien“ an. Vielleicht spielt der Akkordeon-Spieler auch den Marsch der Roten Armee. Die Melodie ist die Gleiche.
Die Version ist so seltsam verjazzt, dass niemand mitsingen könnte, der wollte.
Das nächste Lied ist dran. Teja singt mit. Ein paar andere Gäste auch. Andere nehmen alte Bücher von den Regalen und blättern darin oder fotografieren die Band.
Pablo und Monika haben sich Richtung Skadarlija aufgemacht.
Ich übernehme die Rechnung. Umgerechnet 20 Euro für drei Leute.
Als ich Richtung Hotel gehe, lässt mich der Gedanke nicht los, dass das Lokal mit Ex-Jugoslawien nichts gemein hat außer Deko und Namen.
Einzig Nikola passt rein und vielleicht noch der Kellner. Nur, der hat vor der unpassenden Live-Band Turbo-Folk aufgelegt.
Flüchtlinge unerwünscht?
Einige Monate später bekomme ich die Information, dass kurz vor Silvester Flüchtlinge aus dem Lokal geworfen wurden.
Per Skype nehme ich Kontakt mit einer Zeugin auf.
„Die Kellnerin ist panisch geworden, als sie die Flüchtlinge gesehen hat“, sagt sie gegenüber Balkan Stories. „Sie hat sich an einen bulligen Mann gewandt und der hat sie in gebrochenem Englisch rausgeworfen.“
„Er hat ihnen gesagt: Das Lokal ist geschlossen. Das hat nicht gestimmt und das hat jeder gesehen. Die Flüchtlinge sind sofort gegangen und haben sich sogar entschuldigt, dass sie da waren“, sagt sie und man hört den Zorn in ihrer Stimme.
„Ich hab die Kellnerin zur Rede gestellt und die hat gesagt: Man habe halt schon Probleme mit Flüchtlingen gehabt.“
Es folgten ein Wortgefecht und eine Auseinandersetzung auf der Facebook-Seite der Kafana SRFJ. Das Lokal stritt den Vorfall zunächst ab. Später sagte man, man habe keine Probleme mit Flüchtlingen an sich. Nur mit dieser konkreten Gruppe habe es vorher Probleme gegeben.
Die Zeugin hält das nicht für glaubwürdig. „Warum hat man denen dann nicht gesagt: Schaut, wir hatten das letzte Mal Probleme mit euch. Ihr seid hier unerwünscht. So macht man das mit Gästen, die Lokalverbot haben. Das hier war was anderes.“
Sie kritisiert das Lokal scharf: „Die haben doch nichts mit dem am Hut, was sie im Namen tragen und womit sie werben. Man kann nicht für Sozialismus sein und Flüchtlinge rauswerfen.“
Es gibt auch Berichte über einen anderen Vorfall, bei dem im Lokal eine LGBT-Aktivistin attackiert wurde.
Offene Fremdenfeindlichkeit, keine offene Gewalt
Die serbisch-deutsche Journalistin Natalija Miletić hält es nicht für untypisch, dass Flüchtlingen der Zutritt zu Lokalen verwehrt wird. Sie kennt mehrere solcher Vorfälle aus ihrem Geburtsland.
„Das passiert auch in Österreich und in Deutschland“, sagt sie. „Leider.“
Die serbische Gesellschaft ist in der Flüchtlingsfrage ähnlich gespalten wie die deutsche oder österreichische. Viele Serben würden Flüchtlingen helfen, sagt Natalija. Gleichzeitig sei auch offene Fremdenfeindlichkeit breit akzeptiert.
„Anders als in Bulgarien, wo auch die Polizei Flüchtlinge prügelt, gibt es in Serbien aber keine offene Gewalt gegenüber Asylwerbern“, sagt Natalija gegenüber Balkan Stories. Und das trotz offen agierender rechtsextremer Gruppen im Land.
Vermutet werde, sagt Natalija, dass die Regierung die gewaltbereiten Gruppen zurückhalte. „Gewalt gegen Flüchtlinge würde den Geldfluss aus der EU zum Versiegen bringen, den serbische Behörden dafür erhalten, dass sie Asylwerber versorgen.“
Die Verbindungen zwischen Politik und gewaltbereiten Nationalisten und dem organisierten Verbrechen gelten in Serbien nach wie vor als eng.
Als Beispiel wird ein Ereignis des Vorjahres zitiert. Unbekannte rissen eines Nachts zwei Häuser nieder, die dem von der Regierung unterstützten Projekt „Belgrade Waterfront“ im Wege standen. Wer verantwortlich ist, ist offiziell ungeklärt.
Hier schließt sich der Kreis zur Kafana SFRJ. Das Lokal steht in Sichtweite des Hauptquartiers der „Belgrade Waterfront.“