Warum widmet sich ausgerechnet ein Wiener Journalist in seiner Freizeit dem Balkan und den Menschen, die dort leben? Der Versuch einer Erklärung.
Der Balkan, das ist für mich die Region, wo viele Freundinnen und Freunde herkommen. Vor allem aus Ex-Jugoslawien. Wo es mich in meinem Erwachsenenleben gelegentlich mal hin verschlagen hat. Geplant, spontan, privat, semi-beruflich. Eine Reihe intensiver, widersprüchlicher, Erinnerungen und Gefühle, die ich vor allem mit den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens und ihren Menschen verbinde.
Begonnen hat’s mit den Nachbarn
Begonnen hat’s wahrscheinlich mit den Gergars, der slowenischen Familie zwei Stock unter uns, als ich einen Teil meiner Kindheit in Linz verbrachte. Die haben uns eingeladen auf Urlaub in ihre Heimat. Dolenči heißt das Dorf, irgendwo zwischen Murska Sobota und der ungarischen Grenze. Damals war das noch in Jugoslawien. Das waren meine ersten Auslandsurlaube. Ich komme aus keiner reichen Familie.
Fatima und Safet, Ajiša und Riso, waren zwei ältere Ehepaare, die aus Bosnien nach Österreich geflüchtet waren. Von ihnen habe ich die ersten paar Worte gelernt. Bei der neu geborenen Tochter einer Familie, die aus Kroatien geflüchtet war, war ich ein paar Mal Babysitter. Ich weiß nur mehr, dass der Vater Marko hieß.
Milan aus Bosnien war der Wirt meines ersten Stammlokals in Wien. Leider ist er voriges Jahr gestorben. Jelena aus Kroatien, seine Freundin, hat auch lange im Lokal gearbeitet, bevor sie Hörgerätetechnikerin geworden ist. Sie hat Majda, meiner besten Freundin, die aus Sarajevo kommt, seinerzeit die Hörhilfe perfekt eingestellt. Mir hat Jelena ein paar Brocken Sprache beigebracht.
Dule aus Beograd war neben seinem Mathematikstudium dort auch Kellner. Wir haben einander gelegentlich mit Djuveč bekocht. Seins war besser. Mit ein wenig Übung hab ich seitdem aufgeholt. Hoffe ich.
Majda aus Sarajevo ist nicht nur eine hervorragende Fotografin und Künstlerin. Sie ist auch und vor allem meine beste Freundin. Wir kennen uns auch schon an die zehn Jahre. Über Ecken übrigens durch das Lokal, das Milan betrieben hat. Ich besuche sie regelmäßig.
Durch Majda kenne ich Dijana und Amir, die ebenfalls zu guten Freunden geworden sind und acht geben, dass ich außer Sarajevo auch noch was von Bosnien sehe.
Ganz alleine kennengelernt habe ich Selma. Ich habe in meinem Leben nur wenige Menschen getroffen, die eine Fremdsprache so gut beherrschen wie sie Englisch, ohne als Kind oder Jugendlicher in ein fremdes Land bekommen zu sein. Die anderen zwei sind Kati und Sabrina aus Serbien, die beide Deutsch sprechen als sei es ihre Muttersprache.
Ana aus Zagreb ist zu einer guten Freundin geworden, als sie recherchiert hat, wie der Staat die katholische Kirche finanziert. Ich hatte gemeinsam mit meinem Freund Carsten Frerk, dem Experten auf dem Gebiet im deutschsprachigen Raum, ein Buch über die Situation in Österreich geschrieben.
Widersprüche, sobald man hinschaut
Der Balkan, das ist für mich auch die Region, wo ich große Spontaneität erlebe, Gastfreundlichkeit, Lebenshunger, Armut, Verfall, Wiederaufbau, Demokratisierung, Korruption, Hoffnung, Wut und Verzweiflung. Widersprüche, sobald man hinschaut.
Wo Geld in so genannte Gotteshäuser gesteckt wird und für Straßen und Wasserleitungen nicht mehr viel übrig ist, vom Zugverkehr ganz zu schweigen. Kultur und Wissenschaft müssen betteln gehen.
Wo Schriftsteller wie Meša Selimović und Ivo Andrić geboren sind und geschrieben haben und trotzdem passierte, was Miljenko Jergović beschreibt. (Wobei: Das Paradoxon kennen gerade Österreicher und Deutsche zur Genüge.)
Wo du in der gleichen Stadt fast am gleichen Tag von Fremden eingeladen und herumgeführt wirst, in deren Stammcafe du dich verirrt hast, und nur einen Tag später siehst, wie Menschen mit Steinen beworfen werden. Wo wie in Sarajevo über Nacht das Wasser abgeschalten wird. Wo’s passieren kann, dass ein Café Instant Coffee serviert, der mehr kostet als echter Kaffee.
Wo ungarische Grenzpolizisten Reisebusse aus Serbien schon mal eher nur zum Spaß stundenlang aufhalten, jeden Inhaber eines blauen Reisepasses mürrisch ansehen und sich gerade noch zurückhalten können, vor den Inhabern eines EU-Passes ohne slawischen Namen zu salutieren.
Wo meine Nachbarn herkommen
Der Balkan, das ist auch die Weltgegend, wo viele meiner unmittelbaren Nachbarn herkommen. Arbeiterinnen und Arbeiter zumeist, unterschiedlicher Qualifikationen, manchmal auch schon im Ruhestand. Menschen, denen man ansieht, wie hart sie täglich zupacken und denen rassistische gesonnene Mitbürger trotzdem hartnäckig das Klischee anhängen, sie seien faul.
Ich wohne in Ottakring, dem 16. Wiener Gemeindebezirk. Hier leben viele Menschen die selbst oder deren Eltern in Ex-Jugoslawien geboren sind. Murat gehört das Café gleich neben meinem Wohnhaus. Er kommt aus Novi Pazar in Serbien. Ljubinka, eine der Kellnerinnen, ist Walachin. Aleksandra, die meist die Frühschicht hat, ist Rumänin und spricht hervorragend Naški.
Meine Hausärztin ist aus Sarajevo. Eine dieser alten „no nonsense“ Medizinerinnen, die bei einem grippalen Infekt zu Bettruhe rät statt präventiv Antibiotika zu verschreiben, sich Zeit nimmt, mit den Patienten zu reden und bei Alternativmedizin lieber gar nicht anstreift.
Slavica betreibt mein zweites Stammlokal. Sie ist in Serbien geboren. Meist komme ich mit einem lieben Freund ins Lokal, nachdem wir bei Saša essen waren, einem hervorragenden und preisgünstigen Grilllokal. Eine Pljeskavica oder eine kleine Portion Ćevape kosten 3,90 Euro. Samt Beilagen.
Die Gerüche, das Essen…
Der Balkan, das ist auch eine Region, die mit sehr vielen sinnlichen Eindrücken verbunden ist. Wenn ich Richtung Sarajevo fahre, habe ich immer den Geruch von Uštipci in der Nase. Die muss ich am Tag meiner Ankunft essen. Die ersten Uštipci meines Lebens haben Ajiša und Fatima gemacht. Die vielleicht besten hat mir Dijana in Zenica herausgebraten. Sie kocht sonst selten.
Und die riblja čorba in dem kleinen Lokal in Novi Sad! Der 1. Jänner 2007 war’s, das weiß ich noch ganz genau. Ich habe damals erst entdeckt, wie gut Suppe sein kann. 150 Dinar hat die Portion gekostet, damals 1,50 Euro. Den ganzen Tag hätte man sich satt essen können davon.
Die stärkste dieser Erinnerungen ist die an die wahrscheinlich besten Palatschinken meines Lebens. Damals, vor 30 Jahren, im jugoslawisch-ungarischen Grenzgebiet. Heute ist das in Slowenien. Goldgelb waren sie, riesig und gefüllt mit Marmeladen, mit Schokolade, mit Mohn. So gut waren sie seitdem nie wieder. Weder zu Hause noch „unten“.
Vielleicht ist meine Faszination am Balkan auch nur die Hoffnung, diese perfekten Palatschinken noch einmal zu essen und alles andere ist ein Versuch, diese zutiefst sinnliche Sehnsucht zu rationalisieren. Viel bessere Gründe für eine Faszination könnte es freilich kaum geben.
Titelfoto (c) Evelin Frerk bei who-is-hu.de, der Galerie des Humanismus
Ein wenig inspiriert wurde dieser Beitrag von Rayna Breuer, die auf balkanperspectives.com ihre sehr lesenswerten Reportagen aus der Region veröffentlicht. In meinen Augen eine der wenigen Vertreterinnen der leider aussterbenden Kunst der Reportage im deutschsprachigen Raum.
„Wenn man eine Nacht in Mostar verbringt, sind es nicht die Geräusche, die einen am Morgen wecken, sondern – das Licht. Das weiß ich aus Erfahrung.(…) Ich habe immer gedacht, dass mit ihm die Liebe zum Leben in die Menschen strömen muss, Mut und Heiterkeit, Mäßigung und schöperische Kraft.“ Ivo Andrić, Mostar. Ich wünschte es wäre nicht so kitschig, Dir zu sagen, dass es mir mit diesem Land ebenso geht.
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Das freut mich sehr. Ex-Jugoslawien und speziell Bosnien sind bei allen Problemen, die es dort gibt, Orte, in denen man sich selbst neu entdecken kann und, wenn man sich darauf einlässt, sehr viel über das Mensch sein lernen kann.
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