Dubravka Ugrešić ist am Freitag in ihrem niederländischen Exil gestorben. Sie war eine der bekanntesten zeitgenössischen Schriftstellerinnen Kroatiens und Jugoslawiens. Ihr Heimatstaat Kroatien verjagte sie wegen ihrer Kompromisslosigkeit in Sachen Menschlichkeit und Kunst.
„Das nationale Fernsehen HRT hat am Freitag eine kurze Meldung zum Tod von Dubravka Ugrešić gebracht“, sagt Vid Jeraj. Vid ist Kusiker, Musikjournalist und Schriftsteller, und wurde in Zagreb geboren. „Eine Entschuldigung wäre angebrachter gewesen.“
Eine Entschuldigung dafür, dass es sich Anfang der 1990-er an einer Kampagne gegen sie beteiligt hatte – sie, die landesweit bekannte Schriftstellerin, die sich dem Nationalismus und dem Hass verweigert hatte.
„Unter Franjo Tudjman wurde sie, gemeinsam mit vier weiteren Schriftstellerinnen, als „Hexe“ diffamiert, staatlich gelenkte Medien entfachten eine Hasskampagne gegen sie und zwang sie letztendlich zum „freiwilligem“ Exil in Amsterdan und den USA und machten sie zu einer Vagabundörin im hiobschen Sinne“, schreibt der Verleger Lojze Wieser in einer Reaktion für Balkan Stories.
Drastischer formuliert es der Wiener Schriftsteller Richard Schuberth: „Physisch und psychisch multipel bedroht im neofaschistischen Klima des von Deutschland und Österreich verhätschelten Tudjman-Kroatiens, traf sie die richtige Entscheidung und rettete sich, ihren Scharfsinn und ihre Sprachkunst ins Exil.“
Seit 1993 lebte die 1949 in Kutina geborene Dubravka Ugrešić im niederländischen Exil, unterbrochen nur durch mehrere Jahre als Lehrtätige in den USA.
In ihrem Exil in Amsterdam starb sie am Freitag nach kurzer, schwerer Krankheit, im Kreise ihrer Freunde und Familie, wie ihr kroatischer Verleger mitteilte.
„In zwei Wochen hätte Dubravka Ugrešić ihren 74. Geburtstag gefeiert“, erinnert Fahrudin Kladničanin von der Akademischen Initiative Forum 10 aus Novi Pazar.
Die glutenfreie Zeit des Krieges
Der Hass der Neofaschisten und Nationalisten ließ nicht nach, nachdem sie Ugrešić aus dem Land gejagt hatten.
„Es wurde über sie lange nur ispod žita gesprochen, unter dem Weizen“, sagt Vid Jeraj. „Der Krieg war eine glutenfreie Zeit.“
Ispod žita bedeutet in der Sprache ohne Namen das, was wir „hinter vorgehaltener Hand“ nennen würde.
Unter dem Weizen der glutenfreien Zeit waren, die Hand hielten sich vor, die alternativen Schriftsteller, die, und die sich wie Ugrešić dem Krieg verweigerten, die Kunst und Literatur nicht unter die Kontrolle des Tudjman-Regimes stellen wollten.
Ugrešić hörte auch aus dem Exil heraus nicht auf, Literatur zu schaffen und die Grundlagen der Literatur gegen nationalistische Vereinnahmung zu verteidigen.
2017 etwa war die eine der Unterzeichnerinnen der Erklärung „Wir sprechen die gleiche Sprache“.
Mit der Erklärung bekannten sich 200 Linguisten, Autoren und Künstler aus vier Staaten dazu, dass die Sprache, die in Bosnien, Montenegro, Kroatien und Serbien gesprochen wird, die gleiche Sprache ist, wenn auch mit den Abweichungen, die für polyzentrische Sprachen üblich sind.
Sie bezeichnete sich als „Schriftstellerin, die aus Kroatien stammt,“ wie es der Verleger Lojze Wieser formuliert, „und schreibe in einer Sprache der Kindheit, die „in drei Muttersprachen aufgeteilt worden war wie ein Lindwurm mit dreifach gespaltener Zunge“, wie sie es vor Jahren im „Standard“ ausdrückte.“
Weder in ihren Büchern noch in ihren öffentlichen Stellungnahmen hatte sie für die Machthaber in den nunmehr befriedeten Nachfolgestaaten Jugoslawiens – oder auch die jugoslawischen Machthaber der 1980-er Jahre – Schmeichelhaftes zu sagen.
Nachzulesen etwa in diesem Artikel der Zeitschrift New Yorker aus dem Jahr 2018.
Umfassendes und kompromissloses Ouvre
Das ist die politische Seite des Schaffens von Dubravka Ugrešić. Von ihrem literarischen Schaffen lässt sich das nicht leicht trennen.
Ihre ersten Erfolge feierte sie schon Anfang der 70-er mit zwei Kinderbüchern, denen 1981 der so genannte Patchwork-Roman „Štefica Cvek u raljama života“ folgte. Bis heute ist er das wahrscheinlich einflussreichste Werk von Dubravka Ugrešić, was auch daran liegt, dass er 1984 verfilmt wurde.
Daneben einige Kurzgeschichtensammlungen wie „Život je Bajka“ oder „Poza za Prozu“. Und 1988 eine Rückkehr in die Kinderliteratur mit „Kućni duhovi“, den Hausgeistern. Jutarnji List nennt das Buch in einem Nachruf auf sie „eines der schönsten kroatischen Kinderbücher“.
„Ihr Roman „Der goldene Finger“ (Forsiranje romana-reke) ist eine großartige Satire auf den Literaturbetrieb, ihre Essaysammlung „Kultur der Lüge“ (Kultura laži) war die beste Einführung in die postjugoslawische Tragödie, die ich mir wünschen konnte, und machte mich kraft ihrer wehrhaften Ironie und ihres resignativen Stolzes zu ihrem Bewunderer“, schreibt der Wiener Schriftsteller Richard Schuberth.
Aufsehen erregte sie auch mit dem Essayband „Američki fikcionar“, in dem sie die Erfahrungen im Exil und ihre Haltung zum blutigen Zerfall Jugoslawiens verarbeitet, und mit dem Roman „Muzej bezuvjetne predaje“, dem „Museum der Bedingungslosen Kapitulation“.
„Ihre Literatur ist ein Anschreiben gegen das Vergessen und ein Finden einer literarischen Welt, wo das Spielen und Träumen – wie in der Kindheit vielleicht noch -, Sehnsucht und Hoffen in sich verborgen hielten“, schreibt Lojze Wieser.
Vor allem ihre Bücher während des und nach dem Krieg wurden in zahlreiche europäische Sprachen übersetzt. Ihre ebenso kraftvollen Werke aus den 1980-ern fanden international deutlich weniger Beachtung.
Das kann und muss man kritisch hinterfragen, den zahlreichen internationalen Auszeichnungen zum Trotz, die Ugrešić verdientermaßen erhalten hat. Als da wären der österreichische Staatspreis für Europäische Literatur, der Heinrich Mann-Preis, oder der Neustadt International Prize for Literature.
„Oft wurde sie einem Atemzug mit ihrer kroatischen Kollegin Slavenka Drakulić genannt, womit das „westliche“ Kultur-Biz seine Oberflächlichkeit und seinen Kulturalismus offenbarte. „Exotische“ Autor_innen werden vom Markt zu oft nicht nach ihrer Qualität gecastet, sondern nach ihrer Herkunft, als die authentischen Stimmen und Kassandras ihrer Gesellschaften und Kulturen. Bei Dubravka Ugrešić ist jeder Gedanke gedeckt durch Erfahrung, Schmerz, Widerstand und Engagement. Und sie hat noch dazu Witz. Das haben sehr wenige“, schreibt Richard Schuberth.
Ehrungen und Schweigen
Jutarnji List war die einzige größere kroatische Tageszeitung, die einen längeren Nachruf auf die verstorbene Schriftstellerin brachte. Das konservative Konkurrenzblatt Večernji list versteckte seinen Artikel hinter einer Paywall.
Dagegen reagierte die antinationalistische Wochenzeitschrift Novosti der serbischen Minderheit in Kroatien noch nach Redaktionsschluss am Freitag mit einem kurzen Nachruf, der auf die umfangreiche Berichterstattung von Novosti über die verstorbene Schriftstellerin verwies.
Auch „Voce del Popolo“ reagierte auf den Tod der Schriftstellerin. Das ist die Tageszeitung für die italienischsprachige Minderheit in Istrien und der Kvarner Bucht.
Es ist wohl kaum Zufall, dass gerade Publikationen für Kroatiens nationale Minderheiten Dubravka Ugrešić würdigen.
Stramm kroatisch nationalistische Medien schwiegen sich nach Möglichkeit über den Tod von Ugrešić aus oder versteckten ihn im Newsfeed.
Etwas eigenartig muten die Reaktionen in Serbien an.
Ausgerechnet die Boulevardblätter Blic und Telegraf berichteten über das Ableben der Künstlerin.
„Dubravka Ugrešić hat tiefe Spuren hinterlassen und gilt als eine der profiliertesten europäischen Schriftstellerinnen und Essayistinnen“, schrieb etwa der Telegraf.
Keines dieser Boulevardblätter ist frei von serbischem Nationalismus.
Nachlass soll von einer Stiftung verwaltet werden
Was bleibt von Dubravka Ugrešić ist ihr jahrzehntelanges, kompromissloses, Schaffen, ihr literarisches Werk.
Das soll von einer Stiftung verwaltet werden, die demnächst gegründet wird, heißt es vom Multimedijalni Institut in Zagreb.
Essays von Dubravka Ugrešić könnt ihr in Übersetzung im Band Slawonien aus der Reihe „Europa erlesen“ im Wieser Verlag lesen.
Beim Buchhändler Thalia gibt es in Übersetzung „Die Kultur der Lüge“ und „Karaoke-Kultur“ zu bestellen.
Im Original hat das Wiener Buchgeschäft Knjige mehrere ihrer Werke lagernd.
Titelfoto: David Shankbone, Creative Commons Lizenz CC BY 3.0
Danke für die Nachricht. 😞
Ich wartete seit Jahren auf ein neues Buch von ihr. Auch das ist nun vorbei.
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