Der Chronist des nur allzu Möglichen

Gnadenlos zeigt der Cartoonist mit dem Pseudonym Milan Dog die Verlogenheit und Abgehobenheit der politischen Klasse in seinem Heimatland Serbien auf – und vor allem des Regimes. Längst ist er zum Star für die kritischen Kräfte im Land geworden. Balkan Stories hat Milan Dog besucht.

Novi Sad.

Wo sonst kann ein Cartoonist seinen Sitz haben, der seit Jahren die Politik in Serbien aufs Korn nimmt.

Novi Sad, die vielsprachige Stadt, seit jeher Zentrum der Comic-Kultur im ehemaligen Jugoslawien.

Im fünften Stock in einem modernen Wohnhaus etwas außerhalb des Stadtzentrums öffnet mir ein freundlicher, hagerer Mann mit Brille die Tür, ein bisschen älter als ich.

Und bereitet mir gleich eine Überraschung, als er mich ins Studio bringt.

Dort stehen Mischpulte herum, die eine oder andere Gitarre, Lautsprecher.

Igor Lečić, so heißt Milan Dog mit bürgerlichem Namen, ist hauptberuflich Musiker. Er komponiert Jingles, ganze Songs für Kulturprojekte, manchmal für Werbung, und wenn Zeit bleibt, für eigene Auftritte.

„Ich hab mit den grafischen Kommentaren begonnen, weil ich immer mehr genervt war von dem Widerspruch zwischen den Aussagen unserer Spitzenpolitiker und der Realität im Land“, erzählt mir Igor, den alle Leka nennen.

Die dauernde Beschwörung der Nation, die Verstrickung mit der orthodoxen Kirche, der ständige Mief von Korruption und Vetternwirtschaft und ein Präsident, den all das in seinen praktischen täglichen Fernsehauftritten so gar nicht kümmert.

Bei der Mehrheit der Serben hat das eine tiefe politische Apathie ausgelöst.

Wer im Land das Sagen hat, interessiert in der Durchschnittsbevölkerung nur mehr die, die in irgendeiner Form vom System Vučić abhängig sind. Das sind viele. Und eine Handvoll von Menschen, die das nicht in Ordnung finden.

Leka ist einer.

„Milan Dog war da eigentlich ein logisches Pseudonym“, erzählt er. „Klarerweise ist das eine Anspielung auf Dylan Dog. Milan habe ich als Namen genommen, damit klar ist, dass das die serbische Variante ist.“

Dylan Dog ist eine populäre italienische Comicserie über einen ehemaligen Scotland Yard-Ermittler, der als Privatdetektiv ständig in Kontakt mit dem Unglaublichen ist.

Wahrscheinlich sind etliche der Folgen hier in Novi Sad gezeichjet worden. Seit Jahrzehnten lagern italienische Comicverlage einen Teil ihrer Produktion hier aus.

Seit Anfang 2019 kommentiert Leka das politische Geschehen beißend in grafischer Form.

Als Cartoons will er seine mehr als 800 Schöpfungen nicht verstanden wissen.

Das Telefon als Ort der Kreativität

„Ich zeichne die nicht selbst“, erklärt er seine Vorgangsweise und zückt sein Telefon.

„Wenn eine Pressekonferenz im Fernsehen oder ein Nachrichtenbeitrag läuft, mache ich einen Screenshot. Das Bild bearbeite ich in einem kleinen Programm zu Schwarz/Weiß-Grafiken und dazu lasse ich mir eine Sprechblase einfallen.“

Diese Sprechblasen sind legendär.

Eine jüngere Grafik etwa lässt den allgegenwärtigen Präsidenten Aleksandar Vučić bei einer Pressekonferenz sagen: „Heute bauen wir eine Umfahrungsstraße zur Europäischen Union“.

Das spielt auf mehrere Dinge an.

Da wäre das ambivalente Verhältnis von Vučić zur EU.

Die Perspektive auf einen EU-Beitritt ist die Karotte, die er den Serben vor die Nase hält, und der EU hat er zu einem wesentlichen Teil auch seinen politischen Aufstieg zu verdanken.

Gleichzeitig laviert Vučić zwischen EU, Russland und China und macht jede noch so kleine Einigung mit einer der drei Parteien zu einer welterschütternden Sensation, die als solche von den fast geschlossen regimetreuen serbischen Medien aufgegriffen wird.

Das stößt vor allem Vertreter der EU regelmäßig vor den Kopf.

Dann wäre da Vučićs Neigung, Straßen im ganzen Land bauen zu lassen.

Bei jedem Infrastrukturprojekt, das größer ist als eine Dorfstraße ist er mindestens bei Spatenstich und Eröffnung dabei.

Nicht selten spielen Lekas Kommentare auf aktuelle Korruptionsaffären im Land an. Und darauf, dass die so gut wie nie Konsequenzen haben.

Vor allem auf Facebook hat ihm das eine breite Anhängerschaft gebracht. Mehr als 20.000 Menschen folgen den beißenden Kommentaren von Milan Dog – zu Spitzenzeiten waren das freilich auch schon deutlich mehr.

Die Realität hat die Satire überholt

„Am Anfang hab ich noch jeden Tag kommentiert, manchmal sogar mehrfach“, erzählt mir Leka. „Aber mittlerweile schaff ich das bedeutend seltener.“

Er, der politische Mensch, schaut viel weniger fern als früher. Die Nachrichten seien giftig geworden, erzählt er. Und vor allem: Vorhersehbar. „Es ist einfach so: Es wiederholt sich täglich das Gleiche. Ich hab da oft einfach keine Ideen mehr, wie ich die Aussagen in den Nachrichten noch zuspitzen kann, weil sie für sich schon so absurd sind.“

Die Realität hat die Satire überholt.

Der Detektiv des Unmöglichen, wie das Original Dylan Dog im Untertitel heißt, ist in Serbien zum Chronist des nur allzu Möglichen geworden.

Das mag kein spezifisch serbischer Missstand sein. Man kennt das auch aus Österreich. Nur hier hat es gravierendere Auswirkungen als in vielen anderen Staaten.

Man denke daran, wie stark die Bevölkerung des Landes durch Emigration geschrumpft ist und weiter schrumpft. Oder daran, dass kaum noch jemand der dauernden Leugung des Völkermord von Srebenica etwas entgegenzusetzen hat.

Sich in den Spiegel schauen können

Das lässt sogar einen wie Leka gelegentlich resignieren, der seit seiner Jugend gegen die Zustände aufgebehrt.

Er zählt zu den Pionieren der elektronischen Musik in Serbien, gründete ein Internetradio mit, setzte Musik als Statement gegen den Krieg ein.

Jahrelang stellte er auch im öffentlich-rechtlichen Radio der Vojvodina zeitgenössischen Rock vor. Bis 2012.

Damals übernahm nach den Wahlen Vučićs Partei SNSD auch in der autonomen Teilrepublik Vojvodina das Kommando – unter anderem im traditionell unabhängigen Radio Vojvodina.

„Nach den Wahlen kam ich ins Studio und hörte die Nachrichten. Da wusste ich, ich will kein Teil davon sein.“ Leka warf während der Sendung hin.

Auch beim legendären EXIT-Festival war Leka von Anfang an dabei. Bis es zur Kommerzshow wurde, die kostenlos vom kulturellen Erbe Novi Sads profitiert.

Das zeigt sich auch, als ich ein Portaitfoto mache.

„Wenn schon, dann mit Zigarette“, sagt Leka. „Rauchen ist ja immer unerwünschter.“

Die Prinzipientreue hat ihn viel Geld gekostet. Das regelmäßige Einkommen als Radiomoderator. Und viele Aufträge als Musiker, nicht zuletzt im laufenden Projekt Novi Sad als Kulturhauptstadt Europas.

Da wurde ein Füllhorn an öffentlichem Geld über den Künstlern der Stadt ausgeleert.

An den Aufmüpfigen ging der Geldregen vorbei.

Immerhin, mit Milan Dog ist ihm eine für viele Menschen in Serbien und darüber hinaus prägende Analyse des Zeitgeschehens gelungen. Das bleibt als künstlerisches Erbe.

Und eine Auswahl der Milan Dog-Kommentare gibt es auch als Buch zu kaufen.

Auch wenn sich das Buch recht verkauft, die Verluste der vergangenen Jahre macht das nicht einmal annähernd wett.

Man würde sich mehr Bitterkeit erwarten, wenn Leka über diesen Teil spricht.

Er nimmt das sehr gelassen hin. Schmunzelt sogar ein wenig.

„Es gibt Dinge, da will ich nicht mitmachen“, sagt er. „Was habe ich von Geld, wenn ich mir nicht in den Spiegel sehen kann?“

Und schnappt sich eine Gitarre und beginnt zu spielen.

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