Die ORF-Reihe „Der Geschmack Europas“ hat diesen Sonntag Halt in der Gironde im Südwesten Frankreichs gemacht. Was macht diese wundervoll gefilmte Doku über den vielleicht besten Wein der Welt, die seltensten Rinder Europas, frische Flußkrebse und andere Köstlichkeiten interessant für Balkan Stories? Der Schöpfer der preisgekrönten Reihe ist niemand anderer als Verleger, Autor und Genießer Lojze Wieser.
Heribert Senegacniks Bilder lassen die Gironde ebenso zu ihrer Geltung kommen wie Martin Traxlers Regie und Lojze Wiesers Suche nach den kulinarischen Spezialitäten der Region.
Den Bordeaux-Wein wird man nicht groß vorstellen müssen, nur führt die Reise eben auch zu einer der ersten Chocolatières Frankreichs, zum letzten Flußkrebsfischer der Garonne und zu mindestens zwei verschiedenen Arten, die weißen Crevettes zuzubereiten.
Auch wenn’s Frankreich ist, hier fühlt man sich als Balkan-Fan zuhause.
Den Balkan schätzt nur, wer gutes Essen liebt. Das gibt es eben auch in Frankreich.
Dass dieses Essen eine Geschichte hat, dass diese Geschichte – wie jede andere Geschichte auch – keine Erbpacht ist sondern Ergebnis vieler Einflüsse, und wie sehr gutes Essen verbindet, das ist das Ziel der Reihe „Der Geschmack Europas“, die Lojze Wieser ins Leben gerufen hat.
Vervollständigt wird sie mit Rezepten, die als Bücher im Wieser Verlag erschienen sind, der nicht zufällig so heißt wie Lojze.
Seit seinen Anfängen als Verleger setzt sich der Kärntner Slowene ein, das Gemeinsame, das Übergreifende an der Kultur herauszustreichen und auch den östlichen Regionen Europas eine literarisch anspruchsvolle Stimme zu geben.
Dazu gehören nicht nur die verschiedenen literarischen Genres, dazu gehört nicht nur, zu Unrecht unbekannte Schriftstellerinnen und Schriftsteller ins Programm aufzunehmen, zeitgenössisch wie tot, dazu gehört für Lojze seit jeher auch kreatives Engagement.
Das umfasst auch die Kulinarik.
Von Istrien über den Karst an die Gironde
Wenn man sagt, über guten Geschmack lasse sich streiten, betrifft das in der Regel nur Detailfragen.
Man mag diese oder jene Zutat nicht mögen, der Meinung sein, dieses Restaurant bereite eine Speise besser als jenes, bei gutem Essen finden normale Menschen freilich eigentlich immer zusammen.
Vor allem, wenn sie Regionaltypisches vor sich haben. Die Speisen, die die Natur und Kultur in einer Region wachsen lassen, und aus denen die Menschen aus der Region jeden Tag „den Himmel im Mund“ ( (c) Lojze Wieser) zaubern können.
Das trifft sogar in England zu, man muss nur suchen.
Weniger suchen als finden wird man wie bei dieser Doku in der Girone, in der Alpen-Adria-Region, in der Lojze mit seiner zweiten Ausgabe seines Kochführers Geschmackshochzeit den Gourmand World Cookbook Awards 2022: Best in the World 2021 gewonnen hat, in Istrien, dem Schauplatz einer der Ausgaben der Reihe „Der Geschmack Europas“, oder in Dalmatien, wo Lojze vergangene Woche ein Menü zu sich genommen hat, das einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt.
Gern würde Lojze auch das ehemalige Jugoslawien näher vorstellen.
Im Facebook-Chat für diesen Eintrag frage ich ihn, woran er da als Erstes denkt.
„Lamm, Lamm, Lamm, Kajmak und Prebranac“ ist seine Antwort.
Wer will’s ihm verdenken.
Worin sich die kulinarische Seite der Region nicht erschöpft.
Ist das eine letzten Ausgaben der Reihe?
Geht es nach Lojze, sollte „Der Geschmack Europas“ auch in die Vojvodina vorstellen, Fruška gora, Niš, Bosnien und Mazedonien.
Mit wenigen Ausnahmen hat sich die Sendung bisher eher an den Westeuropäern bekannten Gegenden orientiert. Der Osten und Südosten Europas blieben ausgespart.
Das hat der ORF immer noch die westliche Brille auf – völlig vergessend, dass allein in Wien 200.000 Menschen ersten und zweiter Generation aus dem ehemaligen Jugoslawien leben, nebst Bulgaren, Rumänen, Polen.
Die würden sicher auch gerne die Speisen ihrer Heimat oder ihrer Eltern als den Himmel im Mund vorgestellt haben, der sie ja sind.
Es könnte sein, dass es bei diesem Stand der Dinge bleibt.
Dem ORF stehen größere Reformen ins Haus. Die allermeisten sind gröbere Einsparungen. Auch „Der Geschmack Europas“ steht zur Disposition.
Am 4. 12. könnte die letzte Ausgabe der Sendung ausgestrahlt werden, hört man.
Das wäre schade.
Nicht, dass je eine Sendung alle Variationen des Himmels im Mund erkunden könnte. Aber um wie viel ärmer wäre Österreich, wenn hierzulande nie ein breites Publikum erfahren würde, wie herrlich eine Riblja čorba in der Vojvodina ist, nie die Klepe im Avlija in Sarajevo zumindest gesehen hat, nicht einmal weiß, dass Tavče Gravče das mazedonische Nationalgericht ist?
Und kann man als kulinarisch orienterter Mensch leben ohne das Lamm von Jablanica probiert zu haben oder sich wenigstens danach sehnen?
Was soll das für ein Leben sein, lieber ORF?
Titelbild: Screenshot
😋
LikeLike