Serbiens stille Heldin

In Serbien eskaliert seit einigen Tagen der Konflikt um die steigende Klerikalisierung des Landes. Hauptopfer ist eine Direktorin einer Volksschule in der Vojvodina. Sie hat versucht, die verfassungsgemäße Trennung von Staat und Kirche beizubehalten. Und sieht sich jetzt einer Hexenjagd ausgesetzt – unter anderem durch den Bildungsminister.

Liest man die serbische Verfassung, wäre es eine Selbstverständlichkeit zu tun, was Olivera Marjanović getan hat.

Sie hat am Feiertag des Heiligen Sava am Freitag den 110 Schülern ihrer Schule in Sečanj freigestellt, ob sie einen orthodoxen Gottesdienst in einer Kirche besuchen wollen.

Nur in der Schule sollte es keinen Gottesdienst geben, und schon gar nicht verpflichtend für alle Schülerinnen und Schüler, von denen bei weitem nicht alle orthodox getauft sind.

Serbiens Verfassung sieht vor, dass Religion und Staat getrennt sind und der Staat keine religiöse Missionierung unternehmen soll.

Der Feiertag selbst sollte in der Schule ausführlich begangen werden, inklusive eines breiten Kulturprogramms.

Das entschied die Direktorin, und verhandelte sogar mit dem örtlichen Popen einen Modus Vivendi.

Der Konflikt eskaliert

Nur, der hielt sich nicht daran.

An der Spitze eines Protestmarsches von der Kirche zu Marjanovićs Volksschule marschierte er Freitagfrüh in das Schulgebäude ein und feierte seinen Gottesdienst.

Das hätte er vielleicht aus eigenem Antrieb nicht gemacht. Klären lassen wird sich das nie.

In den Tagen davor war Marjanovićs Entscheidung, keinen Gottesdienst in der Schule feiern zu lassen, mehreren regierungsnahen Medien gesteckt worden.

Die bliesen landesweit zum Angriff.

Von einem Anschlag auf eine serbische Tradition war zu lesen, empörte Eltern bekamen ein breites Forum.

Übliche Verdächtige wie der „Informer“ taten so, als hätte die Direktorin den Feiertag des Heiligen Sava an sich verboten.

Man hätte meinen können, die Direktorin hätte die nächstgelegene Kirche eigenhändig angezündet und die Kinder in satanische Sekten zwangsrekrutiert.

Auf sozialen Medien hagelte es Beschimpfungen und Drohungen gegen Marjanović.

Der Minister fällt seiner Direktorin in den Rücken

Der serbische Bildungsminister Branko Ružić fiel der Direktorin öffentlich in den Rücken.

Im Fernsehen verkündete er, Gottesdienste in Schulen am Tag des Heiligen Sava hätten Tradition. Und was sei das für eine Feier, wenn nicht ein Priester den Festkuchen anschneide.

Davon, dass Serbiens Verfassung eine strikte Trennung zwischen Kirche und Staat vorsieht, und dass verpflichtende Schulgottesdienste keine Grundlage in Serbiens Unterrichtsgesetzen haben, sagte Ružić kein Wort.

Der Minister ist offiziell Mitglied der Sozialistischen Partei Serbiens.

In Sečanj selbst schrien „besorgte Eltern“ Zetera und Mordio, mit Unterstützung örtlicher Nationalisten wurde der Protestmarsch organisiert.

Selbst den stellten die Boulevardzeitungen wie Telegraf und Informer noch so dar, als hätten sich Direktorin und Pope auf einen Kompromiss geeinigt.

Wie einiges andere in der Boulevardberichterstattung erwies sich das als Fehlinformation.

„Es gab keine Einigung“, sagte Marjanović gegenüber Medien.

Was letztendlich sogar Telegraf und Informer zitieren mussten.

Auf eine Bitte um Stellungnahme gegenüber Balkan Stories hat die Direktorin bislang nicht reagiert.

Das erscheint nachvollziehbar.

Man darf vermuten, dass sie aktuell mit persönlichen Nachrichten zugemüllt wird, und dass viele dieser Nachrichten sehr unfreundlich sein werden.

Man könnte das als Provinzposse abtun.

Die normalen Serben unterstützen Marjanović

Nur, es ist das erste Mal, dass sich eine Schuldirektorin offen gegen eine verfassungswidrige Tradition stellt, die in den 1990-ern Einzug in Serbiens Schulen hielt, als Kirche und Staat immer näher zusammenrückten.

Das gibt dem Konflikt von Sečanj eine Bedeutung, die weit über die 3.000-Einwohner-Stadt oder die Autonome Provinz Vojvodina hinausreicht.

Auf der einen Seite die klerikalen und meist stramm nationalistischen Kräfte, die die Einheit von Kirche, Staat und Volk beschwören.

Auf der anderen eine breite Koalition aus liberalen, antifaschistischen, linken und anderen säkularen Menschen und Organisationen, die diese Einheit zurecht als Bedrohung empfinden – und von denen viele ebenso zurecht sagen, dass die Idee einer Einheit von Kirche, Staat und Volk einer der wesentlichen Beiträge zum blutigen Zerfall Jugoslawiens in den 1990-ern war.

Sie sind es, die für die Direktorin in die Bresche springen. Die Vereinigung Atheisten Serbiens etwa spricht ihr nicht nur Unterstützung aus sondern mobilisiert mit einer Online-Peition.

Eindeutig solidarisch erklärt sich auch die Bürgerinitiative der Vojvodina.

Ateisti Srbije befürchtet, dass sich der Konflikt in den nächsten Tagen zuspitzen könnte. Die Vereinigung befürchtet, dass Bildungsminister Ružić Olivera Marjanović als Direktorin absetzen könnte, oder der Druck auf sie so groß wird, dass sie von selbst gehen muss.

Dass der Konflikt zwischen den klerikal-nationalistischen Kräften und den Verteidigern einer säkularen Verfassung just rund um den Feiertag des Heiligen Sava am 27. Jänner hochkocht, ist alles andere als ein Zufall.

Dragan Bursać, einer der wichtigsten kritischen und antinationalistischen Journalisten der Region, zeichnet am Samstag in seiner Kolumne für Al Jazeera Balkans den Werdegang dieses Feiertags nach.

Der Feiertag ist alles andere als unschuldig

Dieser ist keineswegs eine alte Tradition.

Erst in den 1930-ern wurde der frühmittelalterliche serbische König Rastko Nemanjić und spätere Mönch Sava zum Gründungsvater der serbisch-orthodoxen Kirche und damit indirekt der modernen serbischen Nation hochstilisiert.

Hintergrund war der immer heftigere Konflikt zwischen nationalistischen Kroaten und nationalistischen Serben im Königreich Jugoslawien.

Beide Seiten führten diesen Konflikt über die Gleichsetzung von Kirche, Staat und Volk, und beide strebten ein religiös wie ethnisch reines Vaterland an.

Bei den kroatischen Klerikalnationalisten führte der Weg noch in den 1930-ern und 1940-ern direkt zu den Ustaša und nach Jasenovac.

Bei den serbischen Klerikalnationalisten führte dieser Weg in den 1990-ern nach Srebrenica.

Maßgebliche Kräfte in Serbien, die angeblich Sozialistische Partei Serbiens offenbar eingeschlossen, scheinen entschlossen, diesen Weg weitergehen zu wollen.

Das zeigt der Konflikt, den sie am Rücken von Olivera Marjanović angezettelt haben.

Sie führt indes diesen Konflikt augenscheinlich ruhig und bestimmt weiter.

Gegenüber der Öffentlichkeit verteidigt sie ihre Haltung – und damit die serbische Verfassung -, vermeidet aber, so gut es geht, sich selbst in den Mittelpunkt zu rücken.

So bittet sie darum, dass keine Fotos von ihr veröffentlicht werden.

Balkan Stories kommt diesem Wunsch nach.

Ihr geht es um die Sache, nicht um sich.

Oder, wie es Dragan in seiner Kolumne beschreibt: „Sveti Sava oder die Verfassung Serbiens, das ist jetzt die Frage, und die Antwort wird den geistigen, kognitiven und ideologischen Weg Serbiens für lange Zeit maßgeblich bestimmen.“

Mitarbeit: Dušan Stojanović

Mehr über die Hintergründe könnt ihr auch in dieser Reportage über die Ateisti Srbije nachlesen.

Ein Gedanke zu “Serbiens stille Heldin

  1. Unsäglich peinlich.
    Vielleicht wird das eine Menge junge Leute durchrütteln und staatlich verordnete Religion hinterfragen beginnen. Hoffe ich zumindest.

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