Die UNESCO hat den Šljivovic zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt. Ein begrüßenswerter Schritt. Mit einem kleinen Schönheitsfehler. Gemeint ist – vorerst – „nur“ in Serbien hergestellter Zwetschkenschnaps. Das wird für Diskussionen sorgen. Gleichzeitig freut sich eine Gruppe, von der man es nicht erwartet hätte.
Eine Fußball-WM kommt oder geht, vor allem die umstrittenste aller Zeiten wie dieses Jahr in Qatar.
Der Šljivovic bleibt. Oder die Šljivovica, je nach Geschmack.
Besonders in Serbien.
Am Wochenende hat die UNESCO den Zwetschkenschnaps zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt – allerdings „nur“ für Serbien.
Das hat einen – kleinen – Schönheitsfehler.
Und das liegt nicht daran, dass es der serbische Zwetschkenschnaps nicht verdient hätte.
Das hat er über jeden Zweifel hinaus.
Sarajevski doručak
Getrunken wird Šljivovic in allen Nachfolgestaaten Jugoslawiens gerne, und in allen Nachfolgestaaten machen Bauern hervorragenden Zwetschkenschnaps.
Im Dva Ribara am Miljacka-Kai in Sarajevo etwa haben der Kellner und ich unseren kleinen Insider-Schmäh.
Wenn ich vor zwölf komme, bestelle ich bei ihm „sarajevski doručak“. Ein Frühstück Sarajevoer Art.
Er bringt mir einen kleinen Espresso und Šljivovic.
Dass der Zwetschkenschnaps „nur“ in Serbien UNESCO Kulturerbe ist, wird so manchem Kroaten, Bosnier, Mazedonier etc. sauer aufstoßen.
Ich erinnere mich da eine Diskussion mit einem kroatischen „Spezialisten“, der der Meinung war, Šljivovic sei vor 1878 im Osmanischen Reich verboten gewesen, und daher auch nicht vorher nach Serbien gekommen.
Man wundert sich, wie viel Zeit jemand aufwenden kann, um sich solchen Unsinn auszudenken.
In der Regel bringen die einzelnen Mitgliedsstaaten Vorschläge bei der UNESCO ein, was in ihrem Gebiet zum materiellen oder immateriellen Kulturerbe zählen soll.
Beim Šljivovic hat eben nur die serbische Regierung eingereicht. Ein übernationales Komitee, etwa für Serbien, Kroatien und Bosnien, hat sich leider nicht gefunden.
Übernationale Vorschläge gibt es sonst immer wieder, wenn die entsprechenden Gesellschaften ein normales Verhältnis zueinander haben.
Die Gesellschaften in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens haben bis heute kein normales Verhältnis zueinander.
Das macht ein gemeinsames Vorgehen schwieriger.
Der Geist der Zwetschke ist ein universaler Glücklichmacher
Egal, die meisten normalen Menschen im ehemaligen Jugoslawien und in der Dijaspora werden sich freuen, dass der Šljivovic Weltkulturerbe ist und hoffentlich ein Stamperl drauf trinken.
Die Tschechen tun das ja auch. Šljivovic ist in ganz Osteuropa ein beliebtes Getränk. Die Namen variieren nur leicht.
Das Wichtigste ist: Es ist der Geist der Zwetschke, der die Menschen erfreut.
Besonders freut sich über die UNESCO-Entscheidung übrigens eine Gruppe, die man als Außenstehender gar nicht mit Rakija in Verbindung bringt, ob aus Zwetschke oder nicht.
Das sind die Ashkenazim, die osteuropäischen Juden.
Siehe diesen Artikel in der Times of Israel.
Oder diesen Artikel aus Mexiko.
Oder diesen Artikel aus Frankreich.
Oder dieses Video.
Dass Benzion Lang die Meinung vertritt, Cognac sei ein angemesseneres Getränkt für Pessach als Šljivovic – geschenkt. Das ist wirklich Geschmacksfrage.
Man kann auch davon ausgehen, dass auch die Sephardim gerne Šljivovic getrunken haben – und hoffentlich heute noch trinken.
Das sind die spanischen Juden, die nach der Vertreibung im Osmanischen Reich Zuflucht fanden.
Der Geist der Zwetschke macht glücklich – wenn in Maßen genossen.
Mit Ausnahme der Vojvodina waren die Gemeinden im heutigen Serbien übrigens sephardisch, auch in Bosnien waren die Juden fast ausschließlich sephardisch. Ashkenazim kamen erst 1878, nach der Okkupation durch Österreich-Ungarn, in nennenswertem Ausmaß nach Bosnien.
Das nur der Vollständigkeit halber.
Wenn wir bei der Vollständigkeit sind: Überall im ehemaligen Jugoslawien gibt es gute Rakija.
Guten Šljivovic gibt es nicht überall.
In der Hercegovina und in Dalmatien würde ich eher zu Loza raten oder in der Vojvodina zu Kajsija.
Und: Šljivovic ist Zwetschkenschnaps und kein Pflaumenschnaps, wie man es leider in fast allen deutschen Medien und auch der deutschsprachigen UNESCO-Seite liest.
Zwetschken (in Deutschland: Zwetschgen) sind keine Pflaumen.
Sie sind eine Unterart der Pflaume und kleiner und vor allem süßer – was fürs Schnapsbrennen besonders wichtig ist.
Leider unterscheiden in Deutschland die meisten Menschen nicht mehr zwischen diesen zwei unterschiedlichen Früchten.
Wie man im ehemaligen Jugoslawien guten Šljivovic macht, könnt ihr auf dem Blog von David Pejčinović-Bailey nachlesen und nachsehen, besser bekannt als „An Englishman in die Balkans„.
Titelfoto: (c) Petar Milošević, CC BY-SA 4.0
Ein mit selbstgebrannter šljivovica sehr alt gewordener Onkel, teče M., ist mir noch in Erinnerung. Zum Brennen ging er, alleine, an den Fluss.
Er ist ein ganz ruhiger und viel lächelnder Mensch gewesen.
Der Verwandtschaft zum Trotz habe ich für besonders schwere oder schöne Stunden stets eine Flasche Stara Sokolova daheim – Lebensmittel haben keine Religion, keinen Pass und keine Fahne. 😉
LikeGefällt 2 Personen
Oh. Dass Zwetschgen und Pflaumen nicht das gleiche sind, das war mir auch neu.
Gut, dass ich kein Schnapsbrenner bin.
In Montenegro ist es mir beim Wandern manchmal passiert, dass mich ein Schäfer oder ein Bauer auf ein Glas eingeladen hat. Keine Ahnung, was da drin war, aber es war immer ziemlich stark. Und immer eine schöne Begegnung, ein paar Minuten zusammen zu sitzen, zu trinken, und nach den paar Wörtern in der jeweils anderen Sprache zu suchen, an die man sich noch erinnert.
LikeLike