Im Jugo-Beisl

Ferdl tanzt. Karli fängt beinahe eine Ohrfeige von Maja. Erinnerungen an den letzten Sommertag.

Im Schanigarten des Nachbarlokals spielen sie Tango. Am Platz davor tanzen die Paare. Ein Beitrag der Bobos zur allgemeinen Kultur. Davon haben auch wir im proletarischen Beisl etwas.

Ferdl sagt „Remmidemmi“.

„Er hat Remmidemmi gesagt“, sagt Max.

„Er hat Remmidemmi gesagt“, sagt Robert.

„Wenn Ferdl Remmidemmi sagt, sind das mindestens zwei Promille“, erklärt Georg vorsichtshalber nicht vorhandenen Außenseitern.

Ferdl schwankt in Richtung der Tanzenden.

Ferdl schnappt sich eine unglückseligerweise Alleinstehende im Abendkleid. Es ist unklar, ob er sich an ihr festhalten oder mit ihr tanzen will.

Sie ist bestenfalls halb so alt wie er.

Der Chef des Nachbarlokals hat ein Kind im Rucksack. Er schaut seelenruhig zu. Offenbar kennt er Ferdl nicht.

„So lange Ferdl Frauen belästigt, sind wenigstens nicht die Juden an allem schuld“, sagt Max.

Vor wenigen Monaten hat Max Ferdl aus einem anderen Lokal hinauskomplimentiert, bevor sich Ferdl einer Studentin allzusehr nähern konnte.

Seitdem ist Ferdl sauer auf Max.

Ein neuer Tango beginnt. Ferdl tanzt Walzer mit der Unglückseligen.

So lange er sich dreht, kann er sich aufrecht halten.

Als die Musik aufhört, bleiben sie stehen. Ferdl torkelt zu Boden.

Die Nicht-mehr-Unglückselige schnappt sich, so schnell sie kann, den Chef mit Kind im Rucksack für den nächsten Tanz.

Ferdl wankt auf eine Asiatin zu, die nicht schnell genug im Schanigarten verschwindet.

Das Jugo-Beisl ohne Jugos

Maja, unsere Kellnerin, schüttelt den Kopf. „Bezahlt hat er schon“, sagt sie in dickem Akzent.

Heute sind außer ihr keine Leute aus Ex-Jugoslawien hier. Beban mit dem selbst gemachten Rakija ist auf zwei Wochen nachhause gefahren.

Makedonac ist verschollen.

Er heißt in Wirklichkeit irgendwie anders. Wie, weiß keiner mehr. Alle nennen ihn so, weil er aus Mazedonien ist.

Beide sind gute Geschichtenerzähler.

Dafür eine starke Kärntnerpräsenz heute abend, gewissermaßen deutschsprechende Nord-Jugos.

Wenn auch etwas weniger stark als vor fünf Minuten. Ferdl tanzt weiter mit der armen Asiatin und macht zur allgemeinen Erleichterung keine Anstalten, zurückzukommen.

Es scheint, als hätte er seine Reden vom deutschen Volk von eben erst gründlich vergessen.

Ein weiterer Kärntner ist Karli. Er ist auch nicht mehr ganz nüchtern.

Let’s Get The Band Back Together

„Ich will die Band wieder zusammenbringen“, sagt er.

Früher war er Gitarrist.

Seit Jahren redet er davon, die Band wieder zusammenbringen zu wollen. Leider trägt er keine dunklen Ray Ban.

„Das waren super Zeiten mit der Band.“

An seinem Tisch sitzt Koloman, ebenfalls Musiker. Koloman nickt verständnisvoll.

„Wir haben doch früher gut zusammengespielt“, fleht Karli Koloman an.

„Eigentlich nicht“, sagt Koloman.

Ein anderer von Karlis Kumpels ist mit seiner Freundin da.

Die geht auf die Toilette. Karli geht ihr nach.

Die Tür geht zu. Das schloss rastet ein. Beide sind am Damen-WC.

Maja wird sauer

Maja schaut irritiert. „Das ist deine Freundin“, sagt sie Karlis Kumpel. „Du musst aufpassen auf sie. Das geht doch nicht, dass dein Freund mit ihr aufs Klo geht.“

Der Freund bestellt noch ein Bier.

Karli und die Freundin seines Freundes kommen zurück. Es sieht nicht danach aus, als ob etwas Näheres zwischen ihnen vorgefallen wäre.

„Was machst du mit seiner Freundin am Klo?“, fährt Maja Karli an. „Was gehst du überhaupt aufs Damen-Klo? Da hast du nichts verloren!“

Karli grinst und zuckt mit den Schultern.

Vor dem Nebenlokal tanzen sie noch weiter.

Ferdl ist verschwunden. Vermutlich sind er und die Asiatin irgendwann stehengeblieben und er hat sich im Stehen vertorkelt. Oder sie hat ihm eine gescheuert und wir haben es in der Karli-Aufregung nicht mitbekommen.

Bärbel und der Regentanz

„Tanzt du?“, fragt mich Elvira vom Nebentisch. Auch sie ist aus Kärnten.

„Nein“, sag ich.

„Dann tanzt du wohl auch nicht mir“, stellt sie leicht enttäuscht fest. „Keiner will mit mir tanzen. Ihr Männer seid so fad.“

Sei froh, dass der Ferdl nicht mit dir tanzen wollte, schießt es mir durch den Kopf.

„Dann tanz doch alleine“, sagt Elviras Mit-Kärnterin und Tischnachbarin Bärbel.

„Allein ist fad“, sagt Elvira.

Heut sind wirklich viel Kärntner da, denk ich mir.

„Aber geh, das geht schon“, sagt Bärbel. Sie beginnt, im Sessel zu schunkeln, im Takt zur Musik oder was sie eben für den Takt hält.

„Ich tät so gern tanzen“, sagt Elvira.

Bärbel springt auf und läuft auf den Platz hinaus.

Sie bleibt auf einem freien Platz zwischen den etwas spärlicher gewordenen Tanzenden stehen.

Der Chef mit Kind im Rucksack legt eine neue Nummer auf.

Bärbel tanzt mit. Bärbel streckt beide Arme seitlich aus und dreht sich.

In der Drehung geht sie in die Knie, schließt die Augen und dreht ihr Gesicht Richtung rötlich gewordenem Himmel.

Es sieht aus wie ein Regentanz.

Bärbel stammt aus einer Kärntner Ärztefamilie. Bei der Abnabelung hat sie einen leichten Eso-Schaden davon getragen.

Maja gibt Karli beinahe eine Watsche

Karli trinkt sein Bier aus und will die Rechnung.

„Ich hab heut doch schon einmal bezahlt“, jammert er, als er selbiger ansichtig wird.

„Nein, du hast noch nicht bezahlt“, sagt Maja.

„Doch, wohl, hab ich“, stöhnt Karli.

„Nein, und du zahlst jetzt alles, sonst red ich mit Dragica. Du machst heute nur Probleme. Ich krieg schon Kopfweh“, fährt ihn Maja an.

Karli kratzt ein paar Münzen zusammen. „Das ist für das, was ich nicht bezahlt hab“.

Maja stampft wütend mit dem Fuß auf den Fliesenboden. „Du zahlst alles, hörst du?“

Maja stemmt die Hände in die Hüften und lehnt sich nach vor.

Ihre Augen funkeln kampfeswillig.

Maja schnauft.

Majas Schultern zucken.

„Alles, hörst du?“

Wenn Karli nicht aufpasst, scheuert ihm Maja eine, dass er gegen die Litfaßsäule am Platz fliegt und drei Tage nicht aufwacht.

Karli zuckt zusammen.

Karli kratzt zwei Scheine aus seinem Geldbörsel.

Bei seinem Gesichtsausdruck fällt mir ein Dreijähriger ein, dem man gerade den Lutscher geklaut hat.

Karli murmelt etwas und verschwindet. Die Band wird er heute nicht zusammenbringen.

Der (ost-)österreichische Ausdruck Beisl, auch Beisel oder Beis’l geschrieben, entspricht etwa der deutschen Kneipe.

Weitere Folgen der losen Serie „Im Jugo-Beisl“ findet ihr hier.

 

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