Warum ich die EURO ignoriere

Heute beginnt die EURO in Frankreich. Ich werde sie ignorieren. Als erstes internationales Turnier seit 20 Jahren.

Was hab ich in den vergangenen 20 Jahren bei EMs (wie das früher hieß) und WMs gejohlt, geflucht, gezetert, gehofft, gebangt, geweint, gefreut, gejubelt.

Immer übrigens für „les bleus“. Beim Fußball bin ich ein alter Franzose. Auch in den düsteren Zeiten der Équipe Tricolore. Bis zur Selbstbeschädigung. Die trat in den vergangenen Jahren eher oft ein.

Es fällt mir nicht leicht, diese EURO zu ignorieren, ja zu boykottieren. Tun werde ich es. Es geht nicht mehr anders.

Es wäre ein etwas eigenartiges Gefühl, ein Turnier zu verfolgen in einem Land, in dem Millionen Arbeiter und Angestellte auf der Straße gegen Gesetze kämpfen, die ihnen wesentliche Recht wegnehmen.

Es würde sich anfühlen wie Streikbruch. Für so was bin ich ein viel zu eingefleischter Gewerkschafter.

Es wäre auch eigenartiges Gefühl, ein Turnier zu verfolgen in einem Land, in dem nach wie vor der Notstand gilt. Ein Notstand, der immer wieder auch zu Maßnahmen gegen die kämpfenden Arbeiter und Angestellten benützt wird. Für so etwas bin ich viel zu eingefleischter Demokrat.

Ich will diese Zustände nicht legitimieren, indem ich das Turnier und damit auch die gastgebende Nation bejuble.

„Die haben das Publikum ausgetauscht“

Die UEFA vermiest mir das Turnier zusätzlich.

„Die haben das Publikum ausgetauscht“, hat schon bei der EURO in Wien ein lieber Freund mehr oder weniger entgeistert geschildert. Er hatte soeben ein Match besucht.

Der Mann ist Arbeiterkind und hat seit Jahrzehnten ein Abo beim Wiener Traditionsverein Rapid. Er hat hunderte Spiele im Stadion gesucht. Nebenbei ist er einer der besten Kenner der österreichischen Fußballgeschichte.

Gelenkter Jubel, keine echte Stimmung, Zuschauer, die Großteils keine Ahnung hätten vom Sport. Brave Mittelschichtler eben statt der gestandenen Fans, die zum überwiegenden Teil aus der Arbeiterschicht kommen. So hat er das Match geschildert.

Das wird diesmal nicht nur nicht anders sein. Es wird schlimmer sein.

Mittelschichtfamilien statt Fans aus der Arbeiterschicht

Das Ticket-Regime ist seitdem verschärft worden. Aus Sicherheitsgründen, wie es heißt, und um den Schwarzmarkt abzudrehen.

Mag sein. Nur ist es eben eine ziemliche Hürde für Menschen, die zum Beispiel keine Kreditkarte haben.

So bleiben wieder großteils die Leute vor den Toren der Stadions, die sonst Sonntag für Sonntag den Fußball mit ihrer Begeisterung am Leben erhalten. Und mit dem Geld, das sie für die Eintrittskarten bezahlen und an den Kiosken ausgeben.

Dazu kommt, dass die UEFA den Stadien während des Turniers nahezu klinische Sterilität verordnet hat. Es wird nur mehr alkoholfreies Bier ausgeschenkt und in diesem Turnier gilt erstmals striktes Rauchverbot am Stadions-Gelände. (Mit Sicherheit ein Vorbote eines neuen Reglements für sämtliche Klub-Bewerbe.)

Die Sorge um die Gesundheit der Fans ist rührend. Um die 22 Männer am Rasen macht sich die UEFA weniger Sorgen. Erschöpft von den Klub-Bewerben der vergangenen Monate noch einmal Match für Match mindestens 90 Minuten Höchstleistung. Das steigert die Verletzungsgefahr enorm.

Kurzum: Die UEFA sorgt sich um die Gesundheit des bezahlenden Publikums und bezahlt die Athleten, ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Sie bezahlt sie gut. Nur verdient sie noch bedeutend mehr damit.

Das hat mit Fußball nichts mehr zu tun

Mit Fußball, wie ich ihn kenne und zumindest ein, zweimal im Jahr genieße, hat das nichts mehr zu tun.

Der lebt von der Emotionalität, der Rauheit, die manchmal ins Derbe übergeht, ja ins Brutale, vom Un-Perfekten, das seine eigene Ästhetik entwickelt, lebt davon, dass die Kenner unter uns auch noch den Schuss Rationalität mitreinbringen, uns Laien die Taktik am Feld erklären. (Zu mehr als zur Abseitsregel hat’s bei mir bislang kaum gereicht.)

Und ja, das vorzugweise am Fußballplatz. Zur Not darf’s auch im Beisel sein, wobei das mittlerweile auch schon unter „Public Viewing“ rennt und damit auch – zumindest theoretisch – der UEFA-Marketingmaschine unterworfen wird. Nur nichts dem Zufall überlassen, nur keine Spontaneität aufkommen lassen.

In den Stadien schon gar nicht. Dort kommt die von mir beschriebene Stimmung gar nicht mehr auf. Ja, sie soll auch nicht mehr aufkommen. Fangesänge, Klatschen – bitte nach Möglichkeit nur nach Aufforderung.

Nicht, dass dem ausgetauschten Publikum in diesen Stadien etwas anderes einfiele. Aber man weiß ja nie.

Dieses Fußball-Turnier ist Anti-Fußball, der sich als Fußball tarnt. Da brauche ich nicht mitzumachen. Da will ich nicht mehr mitmachen.

Ich freue mich lieber auf den Herbst. Da geht die Saison wieder los. Vielleicht schaff ich’s ja wieder zum Wiener Sportklub.

Die Burschen mögen technisch nicht so viel drauf haben wie die Profis bei der EURO. Aber sie spielen mit Herz. Und das Publikum ist echt.